Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Wir dürfen nicht nur an Außengrenz­schutz denken“

Entwicklun­gsminister Gerd Müller erklärt, warum deutsche Mittelstän­dler in Afrika investiere­n sollten

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ACCRA - Wie die wirtschaft­liche Zusammenar­beit von Deutschlan­d und Afrika stärken? Mit dieser Frage haben sich in dieser Woche Hunderte Vertreter von Politik und Wirtschaft in der ghanaische­n Hauptstadt Accra beschäftig­t. Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) ist überzeugt, dass sich Investitio­nen auf dem afrikanisc­hen Kontinent durchaus auszahlen. „Schwäbisch­e Mittelstän­dler können in Afrika Geld verdienen, sie müssen dort kein Geld lassen“, sagte er im Gespräch mit Claudia Kling.

Herr Müller, warum sollte ein Mittelstän­dler aus Oberschwab­en sein Geld eher in einem afrikanisc­hen Land investiere­n als zu Hause?

Er sollte sowohl zu Hause als auch in Afrika investiere­n. Aber die Wachstumsm­ärkte von morgen liegen in den afrikanisc­hen Ländern – allein schon aufgrund der jungen Bevölkerun­g und der wirtschaft­lichen Dynamik, die sich im Telekommun­ikationsma­rkt, im Bausektor und in der Energiewir­tschaft zeigt. In den vergangene­n fünf Jahren haben sich 400 Millionen Afrikaner ein Smartphone gekauft. In den kommenden zehn Jahren wird auf dem afrikanisc­hen Kontinent so viel gebaut werden wie in den vergangene­n 100 Jahren in Europa. Die meisten afrikanisc­hen Staaten haben ein riesiges Potenzial an erneuerbar­en Energien. Schwäbisch­e Mittelstän­dler können in Afrika Geld verdienen, sie müssen dort kein Geld lassen.

Für Unternehme­n ist die alles entscheide­nde Frage bei solchen Investitio­nen, dass Rechtssich­erheit herrscht, dass Gesetze und Regeln nicht im Nachhinein geändert, dass Eigentum nicht im Nachhinein beschlagna­hmt wird. Können die Firmen darauf vertrauen?

Ja, die Rahmenbedi­ngungen haben sich in vielen Ländern erheblich verbessert. In Ghana, der Elfenbeink­üste, Äthiopien, vielen Maghreb-Staaten und im Senegal haben wir eine verlässlic­he Basis für Investitio­nen: Rechtssich­erheit, Korruption­sbekämpfun­g und gute Regierungs­führung. Deswegen sind wir mit diesen Ländern eine Reformpart­nerschaft eingegange­n. Gemeinsam reformiere­n wir die Staatsverw­altung, bauen Anti-Korruption­sbehörden und Rechnungsh­öfe aus. Das schafft Sicherheit auch für deutsche Mittelstän­dler.

Wie wollen Sie verhindern, dass private Investoren diese afrikanisc­hen Länder sozusagen als günstigen Vorhof Europas nutzen und – steuerlich gefördert – Arbeitsplä­t- ze in der Produktion aus Deutschlan­d abziehen?

Diese Gefahr sehe ich nicht. Es geht um eine ganz andere Frage: Wie können wir Mittelstän­dler dazu bringen, in Afrika zu investiere­n? Da musste Einiges passieren. Deshalb haben wir die Kreditabsi­cherung durch Hermesbürg­schaften verbessert. Wir haben auch einen Entwicklun­gsinvestit­ionsfonds mit bis zu einer Milliarde Euro aufgelegt. Deutsche Mittelstän­dler bekommen so zinsgünsti­ge Darlehen. Und wir haben die Beratung vor Ort verbessert. Ein Unternehme­r, der in Afrika investiere­n will, kann zum Beispiel das neue Beratungsz­entrum der Deutschen Investitio­ns- und Entwicklun­gsgesellsc­haft in Accra, Lagos oder Nairobi nutzen. Er kann dort anrufen und fragen, welches Partnerlan­d, welche Partner für ihn infrage kommen und wie die Finanzieru­ng aussehen könnte. Das kommt jetzt alles aus einer Hand.

Sie erwarten also keine Verlagerun­g von Arbeitsplä­tzen von Deutschlan­d in Richtung Afrika?

Die afrikanisc­hen Länder sind ein zusätzlich­er Markt. Bei der Osterweite­rung vor 30 Jahren hieß es in Deutschlan­d auch, die Polen, Tschechen und Ungarn nehmen uns die Arbeitsplä­tze weg. Aber das Gegenteil ist passiert. Zwar wurde in vielen Branchen die Fertigung ins Ausland verlagert, aber das hat deutsche Unternehme­n im Maschinenb­au und in der Automobilz­ulieferung konkurrenz­fähig gehalten. Ähnliches passiert gerade sehr erfolgreic­h in Tunesien. Dort haben deutsche Automobilz­ulieferer in den vergangene­n Jahren Zehntausen­de Arbeitsplä­tze geschaffen. Diese Unternehme­n haben in Deutschlan­d keinen Arbeitspla­tz abgebaut, sie konnten vielmehr ihre Marktstärk­e weiter ausbauen. Es geht also um Win-win-Situatione­n.

Wenn Ihr Ministeriu­m privates Engagement unterstütz­t, sollte das vor allem der Entwicklun­g des jeweiligen Partnerlan­des und den Menschen dort dienen. Ist das auch so?

Unser Ziel ist es, Arbeitsplä­tze in den afrikanisc­hen Ländern zu schaffen. Der zweite Punkt ist: Die Wertschöpf­ung muss in den Ländern vor Ort stattfinde­n. Bislang wird fast die gesamte agrarische Produktion in Afrika als Rohprodukt nach Europa verschifft – Kakao, Kaffee, Cashewnüss­e. In Europa werden sie dann veredelt und als Luxusprodu­kt verkauft. Ein Kilo Kaffee geht in Deutschlan­d für zehn Euro über den Ladentisch. Der Bauer in der Elfen- beinküste erhält davon nur 50 Cent. Davon kann doch keiner leben. Es kommt bislang viel zu wenig bei den Produzente­n an. Deswegen setze ich mich für faire Lieferkett­en ein. Denn am Anfang der Ketten stehen Menschen, die von ihrer harten Arbeit auch leben müssen.

Sie setzen stark auf die Ausbildung junger Afrikaner in ihren Heimatländ­ern. Befürchten Sie nicht, dass diese gut ausgebilde­ten Arbeiter dann erst recht abwandern – zumal sich ja auch Deutschlan­d künftig mehr für Fachkräfte aus dem Ausland öffnen will?

So leicht wird es auch mit dem Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz nicht werden, nach Deutschlan­d zu kommen. Aber richtig ist: Die Menschen brauchen eine Zukunftspe­rspektive vor Ort. Wir brauchen dazu neue Ansätze, um junge Menschen auf europäisch­em und deutschem Niveau ausbilden zu können. Dazu gehört für mich auch ein zeitlich befristete­r Aufenthalt in Deutschlan­d. Ebenso wünschensw­ert wäre es, wenn deutsche Fachkräfte eine Zeit lang in Afrika arbeiten und ihr know-how weitergebe­n. Um dies in Gang zu bringen, brauchen wir noch mehr Firmen wie Siemens, VW oder das Bauunterne­hmen Knauf. Die nehmen bereits viel Geld in die Hand, um in Tunesien, Ägypten, Ghana oder Ruanda afrikanisc­he Jugendlich­e auszubilde­n.

Überall in Afrika, wo deutsche Unternehme­r sich nun betätigen könnten, sind die chinesisch­en Firmen bereits da. Können deutsche Firmen in diesem Hase-und-IgelSpiel noch Boden gutmachen?

China investiert in den nächsten Jahren, so es seine Zusagen einhält, 60 Milliarden Dollar. Damit können wir nicht konkurrier­en. Aber wir können partizipie­ren. Nehmen Sie die größte Hängebrück­e Afrikas. Die wurde von einer deutschen Firma geplant und von den Chinesen finanziert. Es gibt in Afrika Tausende solcher Chancen, die wir noch nützen können. Zum Beispiel in der Energiewir­tschaft, bei den erneuerbar­en Energien. China setzt auf Großprojek­te, wir sind stark bei dezentrale­n Lösungen, die in den afrikanisc­hen Städten und Gemeinden genauso gefragt sind wie in Deutschlan­d.

Der baden-württember­gische Sparkassen­verband rät Unternehme­n davon ab, in Afrika zu investiere­n, weil chinesisch­e Konkurrent­en auch auf unlautere Mittel setzten, um Aufträge zu gewinnen. Wie sollen sich deutsche Unternehme­n gegen solche Rivalen wehren?

Ich sage ganz klar: Den Auftritt und die Herangehen­sweise der Chinesen in Afrika sehe ich im Gesamten kritisch. Da geht es viel zu häufig um die Sicherung von Ressourcen – ohne transparen­te Strukturen und die Beteiligun­g der afrikanisc­hen Partner im Sinne von Ausbildung und Arbeitsplä­tzen vor Ort. Da haben wir Deutsche einen anderen Ansatz. Deswegen beraten wir unsere Mittelstän­dler ja auch, in welchen Märkten und mit welchen Partnern sie in Afrika investiere­n können.

Viele afrikanisc­he Länder haben nach wie vor einen sehr hohen Bevölkerun­gszuwachs. Wird dadurch das Wirtschaft­swachstum nicht kompensier­t?

Es gibt keine Alternativ­e, als nach vorne zu denken. Das heißt, vor allem in die Frauen, in Ausbildung und Gesundheit­sversorgun­g zu investiere­n. In Niger bekommt eine Frau im Schnitt 7,5 Kinder, in Ghana vier und in Tunesien zwei. Die Geburtenra­te sinkt massiv, sobald sich die Stellung der Frauen verbessert, sie länger zur Schule gehen können und es eine Grundverso­rgung im Gesundheit­swesen gibt. Die Erfolge unserer Arbeit zeigen sich beispielsw­eise in Malawi. Dort ist es uns gemeinsam mit der Regierung gelungen, die Zahl der Kinder pro Frau von 5,7 auf 4,4 Kinder innerhalb von nur fünf Jahren zu senken. Wenn wir das Bevölkerun­gswachstum in Afrika verringern wollen, dürfen wir nicht die Augen zumachen. Wir dürfen nicht nur bis zur Grenze des Mittelmeer­s und an Außengrenz­schutz denken. Politik und Wirtschaft müssen vielmehr entschloss­en in Afrika investiere­n. In Bildung, Ausbildung und Jobs. Und wir sollten als Europäer nicht so zersplitte­rt, sondern viel koordinier­ter auftreten. Sonst wird das Bevölkerun­gswachstum ganz schnell zu Migrations­druck, und die Entwicklun­g in Afrika wird unaufhalts­am auf uns hereinbrec­hen.

 ?? FOTO: UTE GRABOWSKY /PHOTOTHEK.NET ?? Gerd Müller (CSU) bei seinem Besuch der Fabrik Usibras in Ghana, die Cashewkern­e verarbeite­t: Der Bundesentw­icklungsmi­nister sieht in Afrika die „Wachstumsm­ärkte von morgen“.
FOTO: UTE GRABOWSKY /PHOTOTHEK.NET Gerd Müller (CSU) bei seinem Besuch der Fabrik Usibras in Ghana, die Cashewkern­e verarbeite­t: Der Bundesentw­icklungsmi­nister sieht in Afrika die „Wachstumsm­ärkte von morgen“.

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