Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Tierisch in Not

Das Artensterb­en auf dem australisc­hen Kontinent soll gestoppt werden – Die Naturschüt­zer in Victoria zählen dabei auch auf die Hilfe von Touristen

- Von Mona Contzen

Teddy zischt los. In Windeseile hat die ausgebilde­te Spürnase das kleine Häufchen im kniehohen Dickicht gefunden. Schließlic­h ist Teddy eine Veteranin in einem stinkenden Geschäft. Das Spezialgeb­iet der Ridgeback-Boxer-Hündin: der Kot von Riesenbeut­elmardern und Kaninchenk­ängurus. Ihre Mission: der Artenschut­z.

„Durch den Kot erhalten wir Informatio­nen über Verhalten und Nahrungsge­wohnheiten – das ist so etwas wie das Facebook-Profil der Tiere“, erklärt Herrchen Shayne Neal, der Gründer des Conservati­on Ecology Centres, die Suchaktion. Die niedlichen Minikängur­us sind in Australien eine bedrohte Art, die getupften Marder gefährdet. Bevor Teddy vor sechs Jahren den ersten Haufen erschnüffe­lte, dachte man gar, im Bundesstaa­t Victoria seien sie bereits ausgestorb­en.

Australien, das mit seinen Koalas, den Kängurus und anderen einmaligen Arten ein Paradies für jeden Tierfreund ist, hat ein Problem: Jede fünfte Spezies hier gilt als bedroht. Neben Krankheite­n und der Zerstörung von Lebensräum­en machen vor allem Füchse und Katzen, aus Europa eingeschle­ppte Räuber, den einheimisc­hen Tieren das Leben schwer. Auf keinem anderen Kontinent sterben mehr Säugetiere aus als hier: In den vergangene­n 200 Jahren waren es zehn Prozent der einst 273 Arten und damit ein Drittel aller ausgerotte­ten Säuger weltweit. Um diesen Prozess aufzuhalte­n, setzt man in Victoria jetzt auf die Hilfe von Touristen.

Schließlic­h konzentrie­rt sich die Region im Südosten Australien­s ganz auf das Naturerleb­nis: Zum Beispiel mit der berühmten Great Ocean Road, die – flankiert vom gleichnami­gen Fernwander­weg – an der Küste entlang zu den wellenumto­sten Zwölf Aposteln führt und zu den besten Koala-Hot-Spots des Landes gehört. Oder mit dem Nationalpa­rk Wilsons Promontory, einem traumhafte­n Wanderdora­do, in dem Begegnunge­n mit Kängurus, Emus und Wombats garantiert sind. Selbst die Metropole Melbourne ist nur eine Dreivierte­lstunde von wilden Känguruher­den und träge faulenzend­en Koalas entfernt.

Trotzdem sind Koalas die Sorgenkind­er von Kirby Leary. „Aktuell gibt es noch 50 000 bis 100 000 – es waren mal zehn Millionen“, erzählt die junge Touristenf­ührerin, die für den Touranbiet­er Echidna Walkabout auf der Suche nach Tieren durch die Wälder um Melbourne streift. Mit ihrem Fernglas identifizi­ert Kirby ein graues Fellknäuel, das regungslos in eine Astgabel gekuschelt döst, als Clansy. „Seit vier Stunden hat er sich nicht bewegt“, stellt sie lachend fest. Fotoappara­te klicken. Jedes Tier hat um die Nüstern ein individuel­les weißes Muster, wie ihre Chefin, die Koala-Forscherin Janine Duffy, herausgefu­nden hat. Doch Clansy ist ohnehin eine leicht zu erkennende Berühmthei­t. Der Koala hat nicht nur eine eigene Facebook-Seite, sondern ist auch Namensgebe­r für eines der Schutzproj­ekte, die Echidna Walkabout ins Leben gerufen hat: Wenn die Touristen nicht gerade hoch in die Bäume starren oder sich im Zickzack an verdutzt dreinblick­ende Kängurus heranschle­ichen, reißen sie unter dem Motto „Make a Home for Clansy“emsig Boneseed aus, eine invasive Pflanze aus Südafrika, die den Koalas den Zugang zum Eukalyptus versperrt. „Wir bringen jedes Jahr Tausende Menschen hierher, zusammen können die was bewirken“, erklärt Kirby.

Alle Touren der Öko-Agentur beinhalten solch kleine Umweltakti­onen, mal werden angespülte Fischernet­ze am Strand gesammelt, mal Vögel gezählt. Manchmal, wie im You Yangs Regionalpa­rk, ist der Erfolg sogar messbar: Von Jahr zu Jahr werden hier inzwischen mehr Koalas gesichtet.

In der Region Otway, durch die auch der Great Ocean Walk führt, haben Teddy und ihr Herrchen Shayne mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. Die Koala-Population ist hier so groß, dass das Conservati­on

Ecology Centre die Aufforstun­g von

Manna Gums – sozusagen das Schokolade­neis unter den Eukalyptus­bäumen – vorantreib­t. „Die Koalas fressen die Bäume kahl, die Bäume sterben, und die Koalas drohen zu verhungern“, erklärt Harley England den Kreislauf, den es zu stoppen gilt.

Der Wildlife Manager ist für die Tiere auf dem Gelände der Great Ocean Ecolodge zuständig, die nicht nur die Umweltarbe­it des Centers finanziert, sondern auch zu einer der 25 besten Ecolodges der Welt gekürt wurde. Wer nicht gerade passend da ist, um bei einer Pflanzakti­on zu helfen oder Kameras für das Koala-Monitoring-Programm zu installier­en, der kann ihn auf seinen Streifzüge­n begleiten: zu den wilden Kängurus, die entspannt am Waldrand grasen, und zu den beiden Kaninchenk­ängurus, die als Häufchen-Lieferante­n für Teddys Training gebraucht werden – und zum Dank Honig von den Fingern der Besucher schlecken dürfen. Zu Pippi, dem Wallaby-Baby, das seine Mutter bei einem Autounfall verloren hat und von Harley sorgsam aufgepäppe­lt wird. Und natürlich zu Olli, dem Riesenbeut­elmarder, der mit jedem „großen Geschäft“sein eigenes Forschungs­vorhaben voranbring­t.

Olli kommt ursprüngli­ch von der Mornington Peninsula, aus einem Zuchtprogr­amm, das Michael Johnson etabliert hat. Sein Moonlit Sanctuary, eine Art Zoo, hat sich ganz dem Schutz der australisc­hen Tierwelt verschrieb­en: 40 Prozent der Arten, die hier leben, sind bedroht oder gefährdet. Darunter der Tasmanisch­e Teufel, Dingos und die Kaninchenk­ängurus – in freier Wildbahn „Fuchsfutte­r“, wie der Direktor des Reservats zynisch feststellt. „Viele Tiere sind scheu und nachtaktiv. Die Menschen kennen sie gar nicht. Deshalb ist Aufklärung nötig“, sagt er. Die Koalas, die man vorsichtig streicheln darf, und die kleinen Wallabys, die verzückten Besuchern das Trockenfut­ter aus der Hand fressen, sind dabei nur Mittel zum Zweck: Die Besucherma­gneten finanziere­n die eigentlich­e Arbeit des Reservats rund um den Erhalt von Ollis Verwandten und anderen Spezies wie den Goldbauchs­ittichen, eine der seltensten Vogelarten der Welt. Gerade mal 19 Exemplare lebten im vergangene­n Jahr noch in freier Natur, weitere 46 warten jetzt auf ihre Auswilderu­ng.

Die Zwergpingu­ine von Phillip Island sind da schon einen großen Schritt weiter. Bis zum Jahr 2000 hatten Forscher die Auslöschun­g der nur 30 Zentimeter großen Vögel vorhergesa­gt. Doch ein knappes Vierteljah­rhundert und 38 Millionen Dollar später ist die Pinguin-Apokalypse

Wir schützen nur, was wir lieben. Hellen Masters Ziel ist es, den Touristen die Schönheit von Flora und Fauna ans Herz zu legen

abgewendet. Häuser wurden zurückgeba­ut, Golfplätze renaturier­t, Füchse vertrieben. Jetzt setzt NaturePark-Rangerin Helen Masters inmitten der sanft gewellten Dünenlands­chaft vorsichtig einen Fuß vor den anderen, um ja kein Heim zu zertreten. „In einem Umkreis von zehn Metern“, sagt sie und strahlt über das ganze Gesicht, „leben hier mindestens 30 Pinguine.“

Die Hausnummer 147 sieht schon ganz schön ramponiert aus, die Holzboxen nebenan sind so überwucher­t wie die Hobbit-Höhlen aus dem Herrn der Ringe – Pinguin-Notunterkü­nfte, die Touristen so lange bauen, bis die Natur das Gebiet vollständi­g zurückerob­ert hat. Interessen­ten gibt es genug: Mit einer halben Million Besuchern pro Jahr ist die Pinguin-Parade die zweitbelie­bteste Naturattra­ktion des Landes gleich nach dem Great Barrier Reef. Alle Einnahmen fließen in Forschung, Tier- und Naturschut­z. Den kleinsten Frackträge­rn der Welt freilich ist das egal: Abend für Abend watscheln sie nach dem Fischfang im Meer zu Hunderten den Strand hinauf und direkt hinein in die Herzen der Besucher. „Beim Ökotourism­us geht es darum, eine Verbindung herzustell­en zwischen den Menschen und dem, was wir schützen“, sagt Helen Masters dazu. „Denn wir schützen nur, was wir lieben.“

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FOTOS: MONA CONTZEN Die einzigarti­ge Tierwelt, zu der neben Kängurus, Koalas und Wombats auch Wallabys wie Pippi (links) gehören, braucht menschlich­en Schutz zum Überleben.
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 ?? FOTO: MONA CONTZEN ?? Bei einem Streifzug durch die Wälder um Melbourne entdecken Besucher auch Clansy, den berühmten Koala, in einer Astgabel.
FOTO: MONA CONTZEN Bei einem Streifzug durch die Wälder um Melbourne entdecken Besucher auch Clansy, den berühmten Koala, in einer Astgabel.

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