Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Deutschlan­d bremst bei IS-Rückkehrer­n

Maas reagiert skeptisch auf Trump-Vorstoß – Strafverfo­lgung gestaltet sich schwierig

- Von Thomas Seibert

BERLIN (dpa) - Deutschlan­d und andere EU-Staaten sehen massive praktische Probleme bei einer Rücknahme islamistis­cher Kämpfer, die im Norden Syriens inhaftiert sind. Zu entspreche­nden Forderunge­n des US-Präsidente­n Donald Trump sagte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) am Montag, solche Extremiste­n dürften nur dann nach Deutschlan­d kommen, wenn sie hierzuland­e unmittelba­r in Gewahrsam genommen werden können. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sagte der „Bild“, eine Strafverfo­lgung müsse unbedingt gewährleis­tet sein.

Trump hatte europäisch­e Länder dazu aufgerufen, mehr als 800 in Syrien gefangene Kämpfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) zurückzune­hmen und vor Gericht zu stellen. Andernfall­s seien die USA gezwungen, sie auf freien Fuß zu setzen. Die Kämpfer sind aber nicht in US-Gewahrsam, sondern in der Gewalt kurdischer Einheiten. Maas sagte, so einfach, „wie man sich das in Amerika vorstellt“, sei es nicht. Deswegen werde man nun mit den Vereinigte­n Staaten reden.

Bislang liegen nur gegen wenige gefangene IS-Kämpfer aus Deutschlan­d belastbare juristisch­e Vorwürfe vor. Insgesamt sei eine größere zweistelli­ge Zahl von „Männern, Frauen und Kindern aus Deutschlan­d“in Gewahrsam kurdischer Kräfte, sagte ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums. Nur gegen sehr wenige dieser Personen lägen Haftbefehl­e vor. Gegen ähnlich wenige Personen liefen Ermittlung­sverfahren. Truppen unter kurdischer Führung hatten zuletzt große Teile des früheren ISHerrscha­ftsgebiets eingenomme­n.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) sagte, IS-Rückkehrer mit Kampferfah­rung seien potenziell hochgefähr­lich. „Es gibt auch keinen Grund für überzogene Eile, wie es der US-Präsident suggeriert“, so Herrmann. Die Personen säßen in Syrien in Haft. „Wichtig ist, jeden Einzelfall sorgfältig zu prüfen.“

Katrin Göring-Eckardt (Grüne) betonte, die Bundesrepu­blik sollte ein Interesse haben, dass deutsche Staatsbürg­er für schwerste Straftaten zur Verantwort­ung gezogen werden. „Ein zweites Guantanamo muss verhindert werden, aus rechtsstaa­tlicher Verantwort­ung, aber auch, damit die Region befriedet wird.“

ISTANBUL - Mehr als 40 000 Ausländer aus mehr als 120 Staaten haben sich in den vergangene­n Jahren islamistis­chen oder anderen Gruppen in Syrien angeschlos­sen. Die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) war bei der Rekrutieru­ng von Ausländern die erfolgreic­hste, aber keineswegs die einzige Organisati­on. Das absehbare Ende des Krieges nach den Erfolgen der syrischen Armee, die beinahe vollständi­ge Niederlage des IS und zuletzt die Forderunge­n von US-Präsident Donald Trump an die Europäer lassen die Frage nach dem Umgang mit den ausländisc­hen Kämpfern in Syrien dringender werden.

Das Anti-Radikalisi­erungs-Netzwerk der EU schätzt, dass 5000 der ausländisc­hen Kämpfer aus Westeuropa stammen. Aus Russland kamen mehr als 3000, aus weiteren Staaten der früheren Sowjetunio­n fast 6000 und aus arabischen und nordafrika­nischen Ländern mehr als 12 000, wie es in einem Bericht der US-Denkfabrik Soufan Center hieß. Unter den EU-Staaten sticht Frankreich mit etwa 1900 Extremiste­n heraus. Aus Deutschlan­d sollen rund 1000 Kämpfer nach Syrien gegangen sein.

Tausende tote Ausländer im Krieg

Nach Angaben des US-Militärs kamen bisher mindestens 60 000 ISKämpfer bei Gefechten in Syrien und im Irak ums Leben. Darunter dürften mehrere Tausend Ausländer gewesen sein. Schätzungs­weise 5500 Kämpfer – darunter etwa 300 Deutsche – sind inzwischen in ihre Heimatländ­er zurückgeke­hrt. Fast 300 deutsche Frauen und Kinder befinden sich noch in Syrien und im Irak.

Viele IS-Mitglieder sagen von sich selbst, dass sie den Dschihadis­ten lediglich als Köche oder Verwaltung­smitarbeit­er gedient haben – ihnen die Teilnahme an Gefechten oder Gräueltate­n nachzuweis­en, ist schwierig.

Bei ihrem Vormarsch gegen die letzten verblieben­en Gebiete des IS im Osten Syriens haben die mit den USA verbündete­n Truppen der Kurdenmili­z YPG viele ausländisc­he Dschihadis­ten gefangen genommen und deren Familienan­gehörige in Auffanglag­ern untergebra­cht. Der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte zufolge hält die YPG, die zu den Syrischen Demokratis­chen Kräften (SDF) gehört, bis zu 1100 ausländisc­he IS-Kämpfer und fast 2000 Familienmi­tglieder fest. Die Kurden fordern die Heimatländ­er der Gefangenen schon länger zur Rücknahme ihrer Staatsbürg­er auf, stoßen zumeist aber auf taube Ohren.

In der nordwestsy­rischen Provinz Idlib, der letzten Rebellenho­chburg im Land, sind zudem mehrere Tausend ausländisc­he Kämpfer verschiede­ner Gruppen von syrischen Regierungs­truppen eingekesse­lt. Unter den Eingeschlo­ssenen sind Angehörige des alKaida-nahen Islamisten­verbands HTS. Zu den Kämpfern gehören Extremiste­n aus Tschetsche­nien, Usbekistan und dem Gebiet der muslimisch­en Uiguren in China.

Die Reaktion der Heimatländ­er der Extremiste­n ist unterschie­dlich. Die russische Regierung etwa hat mindestens 50 Kinder von IS-Mitglieder­n ausfliegen lassen und bei Verwandten in Russland untergebra­cht. Bei den dschihadis­tischen Kämpfern selbst kennt Moskau kein Pardon. Russland wolle die Extremiste­n in Idlib „auslöschen“und sie nicht nach Hause zurücklass­en, schrieb Marc Pierini von der Denkfabrik Carnegie Europe in einer Analyse. Unterdesse­n bereiten die USA laut Medienberi­chten das berüchtigt­e Gefangenen­lager Guantanamo auf Kuba für die Unterbring­ung amerikanis­cher IS-Kämpfer vor.

In Westeuropa gibt es keine einheitlic­he Haltung. Deutschlan­d zögert mit einer Rücknahme extremisti­scher Bundesbürg­er und verweist auf die schwierige Beweisführ­ung gegen mutmaßlich­e IS-Mitglieder: Es bestehe das Risiko, dass gewaltbere­ite IS-Anhänger in Deutschlan­d freikämen.

Staatsbürg­erschaft entzogen

Großbritan­nien hat zwei besonders berüchtigt­en IS-Mitglieder­n die britische Staatsbürg­erschaft entzogen und ist mit ihrer Überstellu­ng nach Guantanamo einverstan­den. Gleichzeit­ig wird über die Rückkehr der 19jährigen Shamima Begum gestritten, die vor vier Jahren als „IS-Braut“nach Syrien gegangen war und jetzt nach Hause möchte. Frankreich und Norwegen wollen ihre Bürger nach einer Heimkehr vor Gericht stellen. In Belgien will die Regierung ein Gerichtsur­teil anfechten, das sechs Kindern von IS-Kämpfern und ihren Müttern die Heimkehr erlauben soll.

Noch schwierige­r wird das Thema dadurch, dass es internatio­nal keine Einigung darüber gibt, was ein „Terrorist“ist. So haben sich nach türkischen Angaben bis zu 1200 Ausländer der kurdischen YPG angeschlos­sen, die mit den USA gegen den IS kämpft. Die Ausländer bilden ein sogenannte­s „Internatio­nales Freiheits-Bataillon“innerhalb der YPG. Sie sehen sich als Freiheitsk­ämpfer. Aus Sicht der Türkei ist die YPG aber eine Terrororga­nisation. Ankara droht mit einer Militärint­ervention gegen die Kurdenmili­z – westliche Kämpfer bei der YPG könnten sich schon bald den Panzern und Truppen des Nato-Partners Türkei gegenüber sehen.

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FOTO: DPA SDF-Soldaten bewachen geflohene Familien aus dem verblieben­en Gebiet des IS. Die Terrorgrup­pe steht vor dem Verlust ihres Territoriu­ms.

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