Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kopfsalat, Gurken, Kreuzfahrten
Der Allgäuer Günther Holdenried hat aus dem elterlichen Dorfladen ein millionenschweres Touristikunternehmen gemacht
HEIMENKIRCH - Das Gebäude ist nicht zu übersehen: Mit der leuchtend gelben Farbe, den Terrassen und den roten Fenstern entspricht es nicht zu hundert Prozent dem üblichen Baustil in dem verschlafenen Allgäuörtchen. Ein wenig sieht es nach Finca auf Mallorca aus, und das passt ja irgendwie auch, schließlich residiert hier ein Reisebüro, und zwar kein gewöhnliches. Im Erdgeschoss mit der breiten Fensterfront sitzt Firmengründer Günther Holdenried an seinem großen Schreibtisch, klopft eine Portion Schnupftabak auf seinen Handrücken, schnieft ihn ins rechte Nasenloch und sagt: „Ich bin der Gründer der deutschen Kreuzfahrt.“Was großspurig klingt, ist von der Wahrheit nicht weit entfernt. Im Jahr 1988, als sich das Kreuzfahrtgeschäft in Deutschland auf breiter Front durchsetzte, war Holdenried schon fast zehn Jahre im Geschäft. 35 Jahre nach der Eröffnung des Reisebüros in seinem Geburtshaus in Heimenkirch ist der 73Jährige als „Kreuzfahrtkönig aus dem Allgäu“weit über die Grenzen der Region bekannt.
Im vergangenen Jahr hat er 5400 Menschen eine Kreuzfahrt verkauft. Tendenz steigend. Um die vielen Kunden zu betreuen, unterstützen ihn inzwischen zwölf Mitarbeiter in Heimenkirch. Weitere zehn hat er als Reisebegleiter angestellt. Holdenrieds Umsatz liegt nach Expertenschätzungen im höheren einstelligen Millionenbereich. Den Gewinn verrät er nicht, versichert aber: „Wir sind profitabel.“Kein Wunder: Seit Jahren boomt die Kreuzfahrtbranche. Um sechs Prozent ist der Markt im vergangenen Jahr gewachsen. Seit 2007 hat sich das Fahrgastaufkommen im deutschen Hochsee-Kreuzfahrtmarkt sogar mehr als verdreifacht.
„Holdenried ist ein Pionier“, sagt Oliver P. Mueller, der mehrere Standardwerke über die Kreuzfahrtbranche geschrieben hat. „Er hat vielen Deutschen vor 35 Jahren Kreuzfahrten zugänglich gemacht, als diese Art des Reisens noch als Luxus galt und es kaum irgendwo deutsche Reisebegleitungen auf internationalen Schiffen gab.“Funktioniert habe das vor allem über die Rundumbetreuung. „Holdenried holt seine Kunden in jeder Hinsicht ab. Er kümmert sich von der Anreise bis zur Betreuung an Bord um alles. Seine Zielgruppe legt darauf bis heute großen Wert.“Holdenried habe damit einen regelrechten Kult um seine Person geschaffen, erklärt Mueller.
Um aus dem Boom Profit zu schlagen, brauchen die Reedereien vor allem eines: volle Schiffe. Holdenried macht sich das zunutze. Er kauft Restplatzkontingente auf Kreuzfahrtschiffen auf, organisiert für seine Gäste eine Reisebegleitung und den Transfer zum Ablegehafen und verkauft die Reise dann als Rundum-sorglos-Paket an die Kunden. Das ist für die Reedereien ein Segen, weil sie ihre Schiffe – dank Holdenrieds guter Kundenbindung – auch sehr kurzfristig vollbekommen. Als Gegenleistung bekommt Holdenried gute Preise für seine Klientel. „Es war schon immer mein Ziel, einfachen Leuten Kreuzfahrten zu ermöglichen“, sagt er.
Die meisten der Holdenried-Kunden sind deshalb Stammkunden. Zur Buchung kommen sie persönlich nach Heimenkirch. Sie schätzen die Beratung und den freundlichen Empfang durch die Mitarbeiter, vor allem aber wollen sie Holdenried persönlich treffen. „Ohne Holdi geht nichts“, sagt ein Mann aus Laupheim, der gerade seine 16. HoldenriedKreuzfahrt gebucht hat. Da sei man einfach „den ganzen Ring rum gut versorgt“. „Deshalb buchen meine Kunden nicht online oder im Apothekerheftle, sondern bei mir“, erklärt der Unternehmer – und schenkt der Stammkundschaft aus Laupheim höchstpersönlich ein Glas Rotwein zum Anstoßen ein – morgens um zehn.
Fragt man bei der Reederei Costa nach Günther Holdenried, setzt deren Deutschlandchef zu einer ausgewachsenen Laudatio an. Jemanden wie Holdenried gebe es kein zweites Mal, sagt Jörg Rudolph. „Der holt die Leute manchmal persönlich vom Bahnhof ab. So etwas erleben wir sonst nie.“Holdenried hole einfach immer das Maximum für seine Kunden heraus. „Wenn einer außerplanmäßig nach einer Außenkabine verlangt, ruft er eben so lange bei uns an, bis er sie bekommt“, sagt Rudolph. Die Zufriedenheit seiner Gäste sei „unfassbar“. Das schlage sich auch in den Zahlen nieder. Mehr CostaKreuzfahrten als Holdenried verkaufe seit Jahren niemand. Um ihn für sein Lebenswerk auszuzeichnen, hat die Reederei deshalb im Vorjahr extra einen Preis geschaffen: den „Lifetime Achievement Award“.
Alle wichtigen Zahlen im Kopf
Der gläserne Pokal steht seither auf Holdenrieds Schreibtisch in Heimenkirch. Daneben Souvenirs aus aller Welt, stapelweise Zettel, Klebenotizen, mehrere Telefone, von denen fast immer eins klingelt. Trotzdem verliert Holdenried nie den Überblick. Wichtige Zahlen hat er einfach im Kopf: den Preis für seine erste Kreuzfahrt etwa (620 Mark), die Anzahl der Kreuzfahrten, die er selbst insgesamt gemacht hat (213), oder das Jahr, in dem er beschloss, das Reisen zu seinem Beruf zu machen (1984).
Der Umgang mit Zahlen und das Verkaufstalent stecken dem 73-Jährigen in den Genen. In seinem Geburtshaus betrieben seine Eltern seit 1907 den Heimenkirchener Dorfladen. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in München zog es ihn dorthin zurück. Seine wahre Berufung fand Holdenried dann eher zufällig. Im Jahr 1979 startete er zu seiner ersten privaten Kreuzfahrt, einer Rundreise von Genua über Mallorca, Barcelona, Malta und Neapel. Holdenried ärgerte sich über die hohen Anreisekosten nach Ligurien ans Meer. „Die wollten 120 Mark für den Transfer nach Genua. Da ist ja die Suppe teurer als das Hauptgericht“, empört er sich noch heute. Kurzerhand entschied der damals 33-Jährige, einen eigenen Bus zu mieten. Er pries die Reise im Laden seiner Eltern an und überredete die Kunden, nicht nur Zigaretten und Tomaten zu kaufen, sondern gleich noch eine Kreuzfahrt dazu. Wer nicht mit aufs Schiff wollte, sollte eben einen Tagesausflug nach Genua machen – für 35 Mark. Das Konzept ging auf, der Bus war ausgebucht, und Holdenried hatte nicht nur gespart, sondern sogar ein Geschäft gemacht.
Auf die Fahrt nach Genua folgten schon bald Tagesausflüge an den Gardasee und nach Südtirol. Im Jahr 1980 ging es dann auch mal übers Wochenende nach Wien. Das Konzept blieb dabei immer das gleiche: „Holdi“mietete einen Bus, suchte ein Ausflugsziel aus und verkaufte dann an der Ladentheke seiner Eltern – „zwischen Kopfsalat und Gurken“– für ein paar Mark Ausflugstouren an die Kundschaft. Schon bald folgte die erste selbst organisierte Kreuzfahrt in Richtung Türkei. 1984 beschloss er schließlich, ein Gewerbe anzumelden.
Aufhören? Expandieren!
35 Jahre später denkt Holdenried noch lange nicht ans Aufhören. Im Gegenteil, er expandiert. 2018 hat er ein Büro in Rostock eröffnet. Von der Küstenstadt aus sollen vor allem Kunden aus Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und dem Ostseeraum angesprochen werden. Geschäftsführer in Rostock ist Holdenrieds Neffe Peter Zick. „Der soll mein Erfolgskonzept nach Norddeutschland tragen“, sagt Holdenried, der nie eine eigene Familie gegründet hat. „Ich bin mit meinen Kunden verheiratet“, sagt er.
Viel Zeit fürs Privatleben bleibt Holdenried ohnehin nicht. Wann immer die Zeit es zulässt, begleitet er seine Reisen persönlich. „Um die Leute zu aktivieren. Wenn in der Ausschreibung steht, dass ich persönlich an Bord bin, buchen viel mehr Leute.“Mehr als 100 Tage an Bord kommen jedes Jahr zusammen. Über die Jahre knüpfte er auf See auch die ein oder andere prominente Bekanntschaft. „Niemand in Deutschland kann so viel erzählen wie ich“, behauptet er und zeigt stolz auf die Wände seines Büros, die überladen sind mit Fotos: Holdenried Arm in Arm mit Tony Marshall, lächelnd neben Sophia Loren oder an Deck mit Miss Germany.
Vor ein paar Tagen ist Holdenried wieder aufgebrochen. Gemeinsam mit seinen Kunden schippert er noch bis Anfang März auf der MS Albatros von Australien über Indonesien bis auf die Philippinen.
„Ich bin der Gründer der deutschen Kreuzfahrt.“Der Allgäuer Touristikunternehmer Günther Holdenried
„Wenn ich persönlich an Bord bin, buchen viel mehr Leute.“Holdenried erklärt, weshalb er mehr als 100 Tage jährlich an Bord ist