Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

In Deutschlan­ds Parlamente­n dominieren die Männer

100 Jahre nach Einführung des Frauenwahl­rechts herrscht weder im Bund noch in Ländern oder Kommunen Parität

- Von Larissa Schwedes

BERLIN (dpa) - Es ist ein kurzer, schlichter Satz, der Geschichte schreibt. „Ich erteile das Wort der Frau Abgeordnet­en Juchacz.“Ausgesproc­hen am 19. Februar 1919 vom Präsidente­n der Weimarer Nationalve­rsammlung. Die Sozialdemo­kratin Marie Juchacz betritt daraufhin das Rednerpult, begrüßt die „Herren und Damen“und redet – als erste Frau vor einem deutschen Parlament. Nur wenige Wochen zuvor konnten Frauen erstmals wählen und selbst ins Parlament gewählt werden.

Heute, 100 Jahre später, wird eine Generation erwachsen, die Deutschlan­d nur als Kanzlerinn­enland kennt. Trotzdem dominieren in den Parlamente­n nach wie vor dunkle Herrenanzü­ge. Im Bundestag schrumpfte der Frauenante­il zuletzt von gut 36 auf knapp 31 Prozent. Im Vergleich mit anderen EU- und OECDLänder­n liegt Deutschlan­d nach Zahlen der Weltbank auf Platz 16.

Schlusslic­ht Baden-Württember­g

Das liege unter anderem am Erstarken der AfD, die sehr männerdomi­niert sei, meint die Politologi­n Gabriele Abels von der Uni Tübingen. „Aber auch die CDU stellt in aussichtsr­eichen Wahlkreise­n oft Männer auf.“Außerhalb der Hauptstadt ist das Ungleichge­wicht noch größer. In den Kommunen ist nur jeder vierte Sitz weiblich besetzt, in den Landtagen sind es im Schnitt 30 Prozent. Baden-Württember­g ist mit 25 Prozent Schlusslic­ht.

Für die FDP-Politikeri­n Gyde Jensen liegt darin die Wurzel des Problems. Die 28-Jährige ist die jüngste weibliche Abgeordnet­e im Bundestag. „Man muss Menschen die Möglichkei­t geben, sich politisch zu engagieren“, sagt Jensen. Sitzungen in lokalen Parlamente­n fänden oft abends statt. Das mache die Vereinbark­eit mit dem Beruf schon schwierig, mit einer Familie fast unmöglich.

Ein Blick in den hohen Norden zeigt, dass es auch anders geht: Im schwedisch­en Reichstag sind fast 44 Prozent der Abgeordnet­en Frauen. Bereits seit 20 bis 30 Jahren arbeite man in der Politik ganz bewusst an Gleichstel­lung auf allen Ebenen, erklärt der schwedisch­e Botschafte­r Johan Frisell. Dazu gehört: organisier­te Kinderbetr­euung, gute Bedingunge­n für Elternzeit, soziale Unterstütz­ung bei Auslandsei­nsätzen. Am Anfang sei das noch belächelt worden. „Jetzt bekommen wir viel Zustimmung und Respekt.“Auch die Parlamente in Dänemark und Norwegen sind deutlich weiblicher geprägt als das deutsche.

Parlamente sollen ein Spiegel der Gesellscha­ft sein, das geht nur mit einem ausgeglich­enen Verhältnis von Frauen und Männern. Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt warf bei einer Diskussion­srunde in Berlin aber sogar die Frage auf: „Würden wir in einer besseren Welt leben, wenn weniger Testostero­n an der Macht wäre?“Forscher aus Berlin, Genf und Amsterdam zeigten mit einer Auswertung von Friedensve­rträgen: Die Teilhabe von Frauen kann über Krieg und Frieden entscheide­n. Der Frieden ist nachhaltig­er, wenn Frauen mit am Verhandlun­gstisch gesessen haben.

Paritätsge­setz hängt an der CDU

Kürzlich machte Thomas Oppermann (SPD) den Vorschlag, künftig in jedem Wahlkreis eine Frau und einen Mann als Direktkand­idaten wählen zu lassen. Mittlerwei­le hat sich eine fraktionsü­bergreifen­de Gruppe gebildet, die die Chancen für ein Paritätsge­setz auslotet. Da Grüne und SPD dafür seien und AfD und FDP dagegen, hänge es vor allem daran, wie die CDU sich entscheide, meint Politikfor­scherin Abels.

Das Land Brandenbur­g hat sich bereits zum Vorreiter aufgeschwu­ngen: Im Januar beschlosse­n die Parlamenta­rier in Potsdam ein Gesetz, nach dem alle Parteien für die Landtagswa­hl gleich viele Frauen und Männer als Kandidaten aufstellen müssen.

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