Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das Gift des Antisemitismus unter den „Gelbwesten“
Die Bilder des Hasses waren auch am Montag noch in Dauerschleife in den französischen Sendern zu sehen. Ein Mann in gelber Weste hatte am Wochenende den jüdischen Philosophen Alain Finkielkraut in der Nähe des Pariser Bahnhofs Montparnasse mit antisemitischen Hasstiraden überzogen. „Dreckiger Scheiß-Zionist“, „Geh zurück nach Israel“und „Frankeich gehört uns“, rief der Mann dem prominenten 69-Jährigen zu, der zufällig in die Demonstration der „Gilets jaunes“geraten war. Es war der vorerst letzte Akt einer Reihe antisemitischer Ausfälle der Bewegung der „Gelbwesten“, die schon im vergangenen Jahr begonnen hatten. So hatten Demonstranten in der Pariser Metro vor einer Holocaust-Überlebenden die „Quenelle“gezeigt, den abgewandelten Nazi-Gruß des rechtsextremen Komikers Dieudonné. Und vor der Straßburger Synagoge beschimpften Demonstranten Juden, die am Sabbat das Gotteshaus besuchen wollten.
„Die Bewegung der „Gelbwesten“ist nicht antisemitisch, aber sie schafft einen Rahmen, der einen zutiefst verankerten Antisemitismus zum Ausdruck bringt. Er bringt die Juden mit der Macht in Verbindung und die Macht mit den Juden“, sagt der Historiker Pierre Birnbaum in der Zeitung „Le Monde“. Regelmäßig kritisieren die Demonstranten die Vergangenheit von Präsident Emmanuel Macron als Banker der Privatbank Rothschild, die in den Händen einer jüdischen Familie ist. „Wenn Macron der Direktor der Bank Crédit Agricole gewesen wäre, hätte niemand etwas gesagt“, bemerkt der Historiker Marc Knobel in der Zeitung „Libération“.
Mehrere Gruppen präsent
Unter den „Gelbwesten“sind gleich mehrere Formen des Antisemitismus zu finden. Der „klassische“Antisemitismus der Rechtsextremen findet sich mit einem Antisemitismus linksextremer Prägung zusammen, der sich durch den Hass auf Israel nährt. Auch die dritte Form, der von den radikalen Muslimen ausgehende Antisemitismus, ist unter den Protestteilnehmern zu finden. So soll der Mann, der Finkielkraut am meisten beschimpfte, einer salafistischen Gruppierung angehört haben.
In dem Klima der Gewalt, das die „Gelbwesten"-Proteste begleitet, werden antisemitische Sprüche zunehmend salonfähig. „Die Sprache hat ihre Tabus verloren“, sagt der Historiker Stéphane François. Dazu kommt: Die „Gelbwesten“glauben deutlich stärker an obskure KomplottTheorien als der Rest der Bevölkerung. So ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop, dass 44 Prozent der „Gilets jaunes“ein weltweites „zionistisches Komplott“am Werk sehen. Unter den Franzosen im allgemeinen sind es 22 Prozent.
Der Antisemitismus der „Gelbwesten“entspricht einer generellen Tendenz in der französischen Gesellschaft, die das Innenministerium im vergangenen Jahr verzeichnete. Laut Innenminister Christophe Castaner stieg die Zahl judenfeindlicher Schmähungen und Gewalttaten 2018 um 74 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr an. „Der Antisemitismus breitet sich wie Gift aus“, sagte Castaner.