Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Als Kameramann bist du ein Spiegel für die Schauspieler“
Holly Fink gestaltet bei der ARD-Serie „Charité“die Filmbilder – Im Interview erzählt der Lindenberger auch, wie Hauptdarsteller Ulrich Noethen am Set auftritt
LINDENBERG - Kameramann Holly Fink aus Lindenberg hat schon wiederholt den Deutschen Fernsehpreis gewonnen. Vor zwei Jahren drehte er die ARD-Serie „Charité“, die das bekannte Berliner Krankenhaus und den Medizinbetrieb gegen Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt. Nun ist die zweite Staffel fertig, welche in der Zeit des Nationalsozialismus spielt. Auch hier wirkte Fink mit. Wenige Tage vor der Premiere erzählt er im Gespräch mit Ingrid Grohe, wie vor seiner Kamera die Klinik in dieser Epoche lebendig wurde.
Herr Fink, in der Serie Charité sind Sie unter dem Begriff „Bildgestaltung“genannt. Was machen Sie?
Schon in der Vorbereitungsphase erarbeite ich gemeinsam mit Regisseur, Kostümbildnerin und Produktionsdesigner das Farbkonzept, die Raumgestaltung und den Kamerastil. Am Drehtag selbst gestalte ich die Kamerabilder durch Lichtsetzung, Komposition, Objektivwahl und das sogenannte Stellen der Schauspieler im Bild. Es geht mir bei alledem nicht darum, wie schön die Bilder sind, sondern wie stimmig. Ich glaube, das ist in Staffel 2 noch besser gelungen als in Staffel 1. Sie entwickelt einen richtigen Sog.
Wie schaffen Sie Atmosphäre?
Wenn es um einen historischen Stoff geht, versuche ich, diese bestimmte Zeit zu erspüren. Um sie zu inszenieren, benutze ich einen hohen Anteil Tageslicht, das ist eher kaltes Licht, gemischt mit warmem Kunstlicht. Mischlicht ermöglicht eine bessere Annäherung an die Realität. Dabei riskiere ich auch, dass eine Frau mal nicht zu 100 Prozent toll ausschaut.
Wie eng war Ihre Zusammenarbeit mit Regisseur Anno Saul?
Wir haben fast sechs Monate zusammen in Prag verbracht: In den drei Monaten Vorbereitung sprachen wir intensiv über die Drehbücher. Es ist wichtig zu verstehen, was der dramaturgische Kern der jeweiligen Szenen ist. Nicht immer ist man da sofort der gleichen Meinung – jeder bringt seine Lebenserfahrung und Interpretation ins Spiel. Während der 62 Drehtage ist der zeitliche und finanzielle Druck leider extrem hoch. Da muss man sich auf seinen Partner verlassen können. Mit Anno war es ein guter, kreativer Prozess.
Wie eng ist Ihr Austausch mit Darstellerinnen und Darstellern?
Als Kameramann bist du eine Art Spiegel für die Schauspieler. Man bewegt sich oft während einer Einstellung sehr in ihrer Nähe. Sie spüren dabei, wie ihr Spiel mich emotional trifft – oder auch nicht. Es ist wichtig für beide Seiten, sich zu schätzen und einander zu vertrauen.
Die zweite Staffel spielt in der Zeit des Nationalsozialismus. Schon in den Filmen „Dresden“und „Die Flucht“haben Sie sich mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte befasst.
Ja, diese Filme haben mich während der Dreharbeiten auch emotional sehr gefordert. Und jetzt war ich zunächst nicht sicher, ob ich mich mit dieser Thematik erneut filmisch auseinandersetzen wollte. Gereizt hat mich allerdings zu erleben, wie der Geist der Kriegszeit die Mediziner angestachelt hat, technisch und erfinderisch über sich hinauszuwachsen.
Ärzte beteiligten sich teils auch an den grausamen Menschenversuchen und am Massenmord der Nazis. Wie findet man im Film die Balance zwischen der brutalen historischen Realität und einer Erzählung, mit der sich Zuschauer identifizieren?
Das lösen die Drehbuchautorinnen grandios. Sie haben zu den historischen Figuren fiktive herausgearbeitet, um uns mit ihrem Schicksal und ihren Taten auch emotional durch die Staffel zu tragen. Wer hier eine weiße Weste hat und wer nicht, ist erst mal gar nicht so leicht zu sagen.
Schildert der Film die historischen Figuren realitätsgetreu?
Soweit das überhaupt möglich ist, ja. Sie wurden allesamt von deren Nachkommen abgenickt. Das war der Produktionsfirma wichtig, um Schwierigkeiten zu vermeiden.
In der Rolle des renommierten Arztes Professor Ferdinand Sauerbruch stand Ulrich Noethen vor Ihrer Kamera. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Uli hat mich mit seiner Interpretation von Sauerbruch vollkommen mitgerissen. Er lässt den Zuschauer die Zeit spüren und auch Sauerbruchs Allüren und seine Menschlichkeit. Am Set wahrte Uli eher Distanz.
Als Kulisse für die Charité Ende des 19. Jahrhunderts diente ein leerstehendes Invalidenkrankenhaus in Prag. Wo haben Sie die zweite Staffel gedreht, die die Charité 50 Jahre später als bereits moderne Klinik zeigt?
Auch in Prag. Die Außenansicht der Charité liefert ein Krankenhaus, das in Funktion ist. Innenaufnahmen entstanden in einem ehemaligen Postgebäude, den OP-Saal fanden wir in der Kunstakademie. Wie heutzutage üblich, haben wir unsere Mo- tive teils mit Computer generierten Bildern ergänzt, sodass am Ende eine schlüssige Welt entsteht.
Sie haben auch schon „Tatort“-Folgen gedreht. Was mögen Sie lieber: Abendkrimi oder Historiendrama?
Ehrlich gesagt: Mich langweilen Krimis. Es ist schade, interessante Themen in Krimis reinzupressen, wo man keine Zeit hat, sie vernünftig zu erzählen. Ich bin auf der Suche nach Stoffen, die mich interessieren – darum finde ich Historienfilme spannender.
Die Dreharbeiten zur zweiten Staffel zogen sich über 62 Drehtage hin. Tauchen Sie während dieser Phase total ab, oder bleibt Ihr Zuhause in Lindenberg ein Ankerpunkt?
Ich habe versucht, aus Prag jedes Wochenende heimzukommen. Das ist mir wichtig. Und ab und zu kommt meine Familie zu mir.
Die zweite, sechsteilige Staffel von Charité läuft ab Dienstag, 19. Februar, 20.15 Uhr, im Ersten.