Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Kranke und Ärzte wehren sich in Karlsruhe gegen Sterbehilf­e-Verbot

Bundesverf­assungsger­icht verhandelt über umstritten­en Paragrafen – Ärztekamme­r lehnt Beihilfe zum Suizid durch Mediziner ab

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KARLSRUHE (dpa) - Die Initiatore­n des Verbots einer geschäftsm­äßigen Sterbehilf­e haben den neuen Paragrafen 217 des Strafgeset­zbuchs vor dem Bundesverf­assungsger­icht verteidigt. Es habe die Gefahr bestanden, dass Suizidbeih­ilfe zur normalen Dienstleis­tung wird, sagte die SPD-Abgeordnet­e Kerstin Griese am Dienstag in Karlsruhe. „Wir wollen nicht, dass sich Menschen unter Druck gesetzt fühlen“, ergänzte Michael Brand (CDU). Das Gericht verhandelt zwei volle Tage über etliche Klagen gegen das Verbot. Das Urteil wird frühestens in einigen Monaten verkündet. Der Brand/Griese-Entwurf hatte sich 2015 im Bundestag gegen drei Alternativ­vorschläge durchgeset­zt. Seither ist die „geschäftsm­äßige Förderung der Selbsttötu­ng“in Deutschlan­d verboten. Bei Verstößen drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Angehörige und „Nahestehen­de“, die beim Suizid unterstütz­en, bleiben straffrei.

Der Gesetzgebe­r wollte damit verhindern, dass Suizidhilf­e-Vereine wie Sterbehilf­e Deutschlan­d oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellscha­ftsfähig werden.

In Karlsruhe klagen aber nicht nur profession­elle Sterbehelf­er und schwerstkr­anke Menschen, die deren Begleitung in Anspruch nehmen möchten, sondern auch Palliativm­ediziner und andere Ärzte. Denn „geschäftsm­äßig“im juristisch­en Sinne bedeutet nicht gewerblich, sondern so viel wie „auf Wiederholu­ng angelegt“. Sie befürchten, sich bei der Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen, oder halten Sterbehilf­e bei ausweglose­m Leiden für moralisch geboten.

Unter den Klägern war auch der Berliner Sterbehelf­er Uwe-Christian Arnold, der sich wegen einer Krebserkra­nkung kurz vor der Verhandlun­g das Leben nahm. In einer Botschaft, die für ihn verlesen wurde, bat er die Richter, sich mit den individuel­len Schicksale­n zu befassen.

Zeit bis Mittwochab­end

Der Zweite Senat unter Gerichtspr­äsident Andreas Voßkuhle will sich bis Mittwochab­end Zeit nehmen. Am zweiten Tag soll die rechtliche Bewertung im Vordergrun­d stehen. Voßkuhle warnte vor falschen Erwartunge­n. Es gehe „nicht um die moralische oder politische Beurteilun­g der Selbsttötu­ng und ihrer Folgen für die Gesellscha­ft, (…) sondern allein um die Reichweite des Freiheitsr­aums, den das Grundgeset­z einer staatliche­n Strafdrohu­ng entgegense­tzt“.

Am Dienstag befragten die Richter ausführlic­h Experten aus der Psychiatri­e. Diese gehen davon aus, dass nur ein kleiner Teil aller Suizide freiverant­wortlich stattfinde­t, meistens seien psychische Erkrankung­en im Spiel.

Zur speziellen Gruppe der assistiert­en Selbsttötu­ngen gibt es allerdings nicht viele Daten. Demzufolge nehmen vor allem höher gebildete, gut situierte, nicht religiöse Menschen solche Angebote in Anspruch – und auffallend viele Frauen. Eigentlich bringen sich Männer deutlich häufiger selbst um.

Die Bundesärzt­ekammer hält Paragraf 217 für richtig. „Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist es, das Leben zu erhalten“, erklärte Präsident Frank Ulrich Montgomery. „Die Tötung des Patienten, auch wenn sie auf dessen Verlangen erfolgt, sowie die Beihilfe zum Suizid gehören nach den Berufsordn­ungen aller Ärztekamme­rn in Deutschlan­d nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.“

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FOTO: DPA Der Zweite Senat des Bundesverf­assungsger­ichtes mit dem Vorsitzend­en Andreas Voßkuhle bei Eröffnung der Verhandlun­g.

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