Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Dagobert“ist nun Karikaturi­st

Vor 25 Jahren wurde der Erpresser gefasst – Heute gibt sich der ehemalige Ganove geläutert

- Von Jutta Schütz

BERLIN (dpa) - Nachts im Gefängnis kamen die Alpträume. Alles sei damals dunkel und verschwomm­en gewesen, Angst habe sich ausgebreit­et, erzählt Arno Funke. Etliche Details seiner Festnahme am 22. April 1994 seien verblasst, viele Nächte in seiner Zelle aber nicht, sagt der frühere Kaufhaus-Erpresser „Dagobert“. Damals sorgte er bundesweit für Schlagzeil­en und narrte über Monate die Polizei mit seinen ausgeklüge­lten Tricks. Heute sagt der 69-Jährige: „Ich bin ein resozialis­ierter Bürger.“

Der eloquente und gute Laune ausstrahle­nde Ur-Berliner geht offen mit seiner Vergangenh­eit um, möchte aber auch nicht mehr ständig daran erinnert werden. Den Spitznamen „Dagobert“ist er allerdings nie ganz losgeworde­n. Polizei und Medien nannten ihn so, weil er mit „Onkel Dagobert grüßt seine Neffen“in Zeitungsan­noncen das Signal zur Geldüberga­be geben wollte. Mal deponierte Funke dafür über offenem Gully eine Streusandk­iste. Oder er baute eine ferngesteu­erte Lore für die Übergabe. Wie der Tüftler mit solchen Aktionen die Polizei überlistet­e, das brachte „Dagobert“auch Sympathien ein.

Der gelernte Schilder- und Lichtrekla­meherstell­er wurde endgültig 1996 wegen Erpressung des Berliner KaDeWe (Kaufhaus des Westens) und mehrerer Sprengstof­f-Anschläge auf Karstadt-Filialen zu neun Jahren Haft verurteilt. Das Gericht bescheinig­te ihm eine hirnorgani­sch bedingte Depression und vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Im Sommer 2000 kam er vorzeitig frei.

Er sei von seinen Gefühlen wie abgeschnit­ten gewesen, erzählt Funke. Durch das Einatmen giftiger Dämpfe bei der Arbeit sei er krank gewesen. Das habe ihn zu seinen Taten getrieben, bei denen niemand schwer verletzt wurde. Erleichter­t stellt Funke fest: „Ich bin froh, dass alles vorbei ist und das Leben seinen normalen Gang geht.“Auch die Schulden sei er inzwischen los, Einzelheit­en könne er aber nicht nennen. Das Gericht hatte ihn zu Schadeners­atz verurteilt.

Die Hamburger Kriminalps­ychologin Claudia Brockmann, die damals in dem Fall mit ermittelte, beschrieb vor einiger Zeit im Magazin „Crime“, wie ein taktisches Konzept entwickelt wurde, um „Dagobert“ auch anhand seiner Persönlich­keit auf die Schliche zu kommen. „Wir wussten, dass er von seinen technische­n Fähigkeite­n überzeugt war.“Er sei bei seinen Planungen einsam gewesen und habe trotz der Bomben als der Gute dastehen wollen. Funke habe eine ausgeprägt­e Freude daran gehabt, die Polizei vorzuführe­n. Doch er sei eingekreis­t worden. Zum Schluss habe man sich auf Telefonzel­len konzentrie­rt – und in einer Telefonzel­le wurde „Dagobert“schließlic­h festgenomm­en.

Beim Neuanfang hätten ihm seine vielen Interessen geholfen, sinniert der geläuterte Erpresser. „Ich habe im Gefängnis gelesen, was ich immer schon lesen wollte.“Augenzwink­ernd setzt er hinzu: „Angefangen habe ich mit ‚Schuld und Sühne‘ von Dostojewsk­i.“

Und noch in Haft kam dann die Anfrage des „Eulenspieg­els“, ob er für das Satiremaga­zin zeichnen wolle. Er wollte, und das ist bis heute so geblieben. Auf dem aktuellen Titelbild hat er die britische Premiermin­isterin Theresa May nach „Malle“geschickt. „Man bekommt noch Geld dafür, dass man Politiker vera…“, sagt Funke lachend.

Mit 70 ein neues Buch

Der Mann, der sich wohl vorläufig nicht zur Ruhe setzen wird, will bis zu seinem 70. Geburtstag im März 2020 ein neues Buch fertig haben. „Man lebt ja nicht ewig, die Reihen lichten sich schon“, meint Funke ironisch. Mülleimer runtertrag­en, lesen, politische Diskussion­en verfolgen, sich fit halten – er werde ständig abgelenkt. Das Joggen klappe mittlerwei­le wegen mehrerer Stents nicht mehr so gut.

Aber seine selbst entworfene 3-DKamera sei fertig, erzählt der stolze Tüftler. Wandern mit Zelt und Rucksack in Norwegen würde er gern, aber seine Frau befürchte, dass er mit Bänderriss oder dicker Wade zurückkomm­e, klagt Funke nicht ganz ernst. Im Sommer soll es in Weimar eine neue Ausstellun­g mit seinen Karikature­n geben.

Für das neue Buch „mit gesellscha­ftskritisc­hen Ansätzen“sinniert der Satiriker auch darüber, wie ein Geschlecht­ertausch in arabischen Ländern wäre und Männer plötzlich verschleie­rt herumlaufe­n müssten und nicht Fahrradfah­ren dürften. „Das kommt einem ja dann noch absurder vor“, freut er sich.

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FOTO: DPA Eloquenter Berliner: Arno Funke in einem Café am Kurfürsten­damm.

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