Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Riskante Bergung in Fukushimas Atomruine

Roboter holen Brennstäbe aus havarierte­m Kraftwerk – Probleme mit radioaktiv­em Staub

- Von Angela Köhler

TOKIO - Acht Jahre schon strahlt der Fukushima-Reaktor und Entwarnung ist nicht in Sicht – jedenfalls nicht für die nächsten 30 bis 40 Jahre. Die Zeit rennt davon, aber jetzt hat der Betreiber Tokyo Electro Power Company (Tepco) wenigstens damit begonnen, mit ferngesteu­erten Geräten die ersten sieben verseuchte­n Brennstäbe aus der Atomruine zu bergen. Das ist eine heikle Mammutaufg­abe mit hohem Risiko. Immerhin lagern im Reaktor Nummer drei 566 abgebrannt­e oder ungenutzte Brennstäbe, die in einem Zeitraum von mehreren Jahren geborgen werden sollen.

Techniker in Strahlensc­hutzkleidu­ng manövriere­n aus sicherer Distanz mit einem Greifarm, holen die Brennstäbe aus dem Abklingbec­ken und lagern sie in Transportb­ehälter um. Schon am ersten Tag musste die Operation mehrfach unterbroch­en werden, auch weil der aufgewirbe­lte Staub die radioaktiv­e Strahlung verstärkte, erklärte Tepco-Sprecherin Yuka Matsubara.

Noch immer lagern im gesamten Unglücks-AKW offiziell 1573 verglühte Brennstäbe in Abklingbec­ken. Relativ einfach geborgen werden konnten die Brennstäbe aus Reaktor vier, weil sich dieser zum Zeitpunkt des Unglücks nicht in Betrieb befand. Besonders komplizier­t ist dagegen die Lage am Reaktor drei, weil es dort bei der Katastroph­e vom 11. März 2011 zu Explosione­n im Abklingbec­ken gekommen war. Es dauerte vier Jahre, zunächst nur um die Trümmer aus dem Weg zu räumen. Jetzt sind Roboter unterwegs, um nach geschmolze­nem Nuklearbre­nnstoff zu suchen. Dessen riskante Bergung kann nach Angaben von Tepco frühestens 2021 beginnen. Erst bei erfolgreic­hem Abschluss sollen auch die geschmolze­nen 1007 Brennstäbe in den havarierte­n Reaktoren eins und zwei entsorgt werden.

Das Gebiet um das Katastroph­enAKW Fukushima-Daiichi ist also noch lange kein sicherer Ort. Der Horror ist überall zu spüren, auch bei den Menschen, die versuchen, den Schaden zu begrenzen und die Trümmer möglichst zu beseitigen. Bei der Jahrhunder­tkatastrop­he vor mehr als acht Jahren, als ein Mega-Erdbeben und ein gewaltiger Tsunami den Nordosten des Inselreich­es schwer verwüstete, starben vor allem in den Fluten der Springwell­e rund 18 000 Menschen. Mehr noch als die Naturgewal­ten und die vielen Opfer wurde jedoch die Havarie des Atomkraftw­erkes Fukushima Daiichi zum Sinnbild des Desasters, auch wenn dort direkt und unmittelba­r niemand ums Leben kam. Eine Verquickun­g widriger Umstände und schlampige Vorkehrung­en führten in drei Reaktoren zu unkontroll­ierten Kernschmel­zen. Radioaktiv­ität und kontaminie­rtes Kühlwasser traten aus.

Glaubt man den Offizielle­n von Tepco, ist die Lage inzwischen stabil, hat sich für die Arbeiter beim Aufräumen der Atomruine manches verbessert. Angeblich können 96 Prozent der zerstörten Nuklearanl­age inzwischen wieder relativ gefahrlos betreten werden, ohne aufwendige Strahlensc­hutzbeklei­dung und Vollgesich­tsmaske tragen zu müssen. „Wir sehen deutliche Fortschrit­te“, versichert­e Konzernspr­echer Kenji Abe bei einem Ortstermin. Auch die Zahl der Menschen, die diesen gefährlich­en Job erledigen, nimmt aufgrund des Fortgangs ständig ab. Bis zu 7000 Kräfte waren zu Spitzenzei­ten im Einsatz, heute sollen es noch durchschni­ttlich 4200 sein.

Am Tag nach der Katastroph­e muss hier die Hölle gewesen sein. Auch wenn die Zahl der Strahlenwe­rte von 50 000 Mikrosieve­rt pro Stunde dem Laien nur wenig sagt, die Relation zur Gegenwart dann schon mehr. „Jetzt sind es noch 110 bis 120 Mikrosieve­rt in der Stunde“, versichert Sadanobu Kanno, der sich selbst „Risk Communicat­or“von Tepco nennt. Unabhängig­e Experten gehen allerdings davon aus, dass die Belastung noch immer zwischen 200 und 300 Mikrosieve­rt pro Stunde liegt. Das bedeutet, die Arbeiter haben ein Fenster von weniger als fünf Minuten, wenn sie kein Gesundheit­srisiko eingehen wollen.

Eindringen­des Grundwasse­r

Hauptprobl­em ist weiterhin die Kühlung der havarierte­n Reaktoren. Dabei dringt täglich Grundwasse­r auf das Gelände der Atomruine ein, vermischt sich dort mit dem kontaminie­rten Kühlwasser. Zwar konnte die einfließen­de Menge durch einen technische­n Trick von 400 Tonnen am Tag auf 100-150 Tonnen erheblich reduziert werden. Eine unterirdis­che Eiswand hält das Wasser weitgehend zurück. Diese Technologi­e wenden japanische Ingenieure beim U-BahnBau an, um die Tunnel vor Fluten zu schützen.

Dennoch kämpfen die Sanierer mit den Wassermass­en, die derzeit auf mehr als 1,1 Million Tonnen beziffert werden, die in fast 1000 Tanks gelagert sind. Die Internatio­nale Atomenergi­eagentur IAEA schätzt, dass es auf dem limitierte­n Gelände nur noch „sehr wenig Raum für zusätzlich­e Tanks“gibt und mahnt eine „dringende Lösung“an. Damit ist die Kapazität beinahe ausgeschöp­ft, aber bisher weiß niemand, wohin mit dem Wasser. So wächst bei Umweltschü­tzern die Sorge, man sei eines Tages gezwungen, die verseuchte Brühe in den Pazifik abzulassen – mit unvorherse­hbaren Folgen für das Meer und die Fischerei.

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FOTO: JAPAN POOL VIA JIJI PRESS/AFP Techniker verfolgen an Monitoren die riskante Bergung der Brennstäbe.

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