Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Glücksfall für die Allgäuer Geschichte
Autorin Elischewa German rollt Zeit um 1945 in Eisenharz auf – Querverweis nach Isny
ISNY/EISENHARZ - Im Dorfgemeinschaftshaus Eisenharz wird man am Mittwoch Bekanntschaft mit Menschen schließen, die alle ein Gedanke vereint: Sie wollen einen wichtigen Teil der Geschichte lebendig erhalten. Die Klammer dazu sind Ereignisse, die sich im Frühjahr und Sommer des schicksalsträchtigen Jahres 1945 in Eisenharz ereignet haben.
Es ist „das Jahr Null“. Der Jude Hermann Jülich, der zehn Jahre in Nazihaft verbringen musste, überquert nach Kriegsende die französische Zonengrenze in Richtung Eisenharz. Hier sucht er nach seiner Schwester Elise Helmes aus Düsseldorf, die von Bürgermeister Hermann Kinkele beim Bauern Benedikt Harlacher versteckt gehalten wurde.
Dabei war Kinkele selbst gefährdet, hatte er sich doch als Bürgermeister in Rexingen bei Horb für die dortige jüdische Gemeinde eingesetzt und war deshalb nach Eisenharz strafversetzt worden. Kinkele wurde 1945 von den Franzosen als Bürgermeister von Isny eingesetzt und 1946 durch freie Wahlen bestätigt. Im Amt war er bis Anfang 1950.
Kinkele bewahrte nicht nur Helmes, sondern auch die jüdische Sängerin Elisabeth Klepner vor dem Tod in einem Vernichtungslager, indem er sie unter falschem Namen als Hilfskraft in einem Bauernhof mit Gaststätte in Sandraz unterbrachte.
In geheimer Zusammenarbeit mit dem damaligen Ortsgruppenleiter Carl Wunderlich war es etwas später möglich, sie sogar vor der Ergreifung durch die Gestapo zu bewahren. Kinkele brachte sie zu seinem Schwager Gustav Schmid auf den „Bromerhof“in Isnyberg, wo sie bis zur Kapitulation noch ein Jahr lang in einer Dachkammer leben musste. Bis zu ihrem Tod 1983 verbrachte Klepner übrigens jedes Jahr im Sommer 14 Tage bei Ursula Westhäußer, der Tochter von Kinkele, und deren Familie in Isny.
Hermann Jülich lernte in Eisenharz das Kindermädchen Veronika Vendt kennen, das ebenfalls aus Jülichs Heimat stammte. Ihr erzählt er von den schrecklichen Erlebnissen im Konzentrationslager Buchenwald, Veronika ihm von der politischen Stimmung gegen Kriegsende im Dorf. Wobei auch Kinkeles heimliches Entfernen von Panzersperren auf der Zufahrtsstraße zum Ort und die Übergabe von Eisenharz mit weißem Bettlaken an die heranrückenden Franzosen nicht fehlen dürfen.
Elischewa German, die Tochter des nach Düsseldorf zurückgekehrten Paares, wird 1946 geboren. Schon früh interessiert sie sich für die jüdische Vergangenheit ihres Vaters. Spätestens aber, als sie der „Zionistischen Jugend Düsseldorf“beitritt, fängt sie an, „von Israel zu schwärmen“. 1962 wandert sie mit den Eltern aus, studiert Geschichte, promoviert an der Ben-Gurion-Universität, ist als Lehrerin für Englisch und Geschichte tätig und erhält nach der Promotion einen Lehrstuhl für römische Geschichte. Elischewa German heiratet einen aus Rumänien stammenden Atomphysiker, mit dem sie zwei Töchter bekommt.
Die Zurruhesetzung vor sieben Jahren ermöglichte es German, zu schreiben. Zunächst erscheint das Buch „Wir wollen trotzdem Ja zum Leben sagen“, jetzt „Ein Sommer in Eisenharz“. Die Autorin weiß, welche Bedeutung für sie Dokumente, Aussagen von Zeitzeugen sowie überlassene Fotos haben, um überhaupt diese Dokumentation, die sich wie ein Roman liest, herausbringen zu können.
Allen voran nennt sie Ursula Westhäußer, geborene Kinkele, dann Alice Seidel, geborene Harlacher, und nicht zuletzt Gemeindearchivar Paul Mayer, denen sie für die Unterstützung von Herzen dankt, es fallen auch die Namen Wolfram Benz sowie die der Familie Westhäußer. „Sie waren es, die zu beachtenswerten Korrekturen des Textes und der fotografischen Aufbesserung von Bildern anregten“, sagt Autorin German.
Kreisarchivar Reiner Falk schließlich fasst das, was da geschaffen wurde, so zusammen: „Ein derartiger Glücksfall kommt nur alle zwanzig Jahre vor. Nämlich, dass einzelne Aspekte einer Gemeindegeschichte so gründlich und kompetent bearbeitet werden.“
Im Rahmen einer Lesung stellt die Autorin Elischewa German ihr Buch „Ein Sommer in Eisenharz – Begegnung zweier Welten im Jahre Null“am Mittwoch, 26. Juni, um 20 Uhr, im Sonnensaal des Dorfgemeinschaftshauses Eisenharz vor. Die Begrüßung wird Bürgermeister Roland Sauter vornehmen.