Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Angela Merkel zitiert Greta Thunberg
Klimakabinett legt Eckpunkte vor – Benzin und Öl werden teurer, mehr Geld für Pendler und neue Heizungen
BERLIN - Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte es befürchtet: Das Klimakabinett tagte die ganze Nacht hindurch. Bei der Pressekonferenz am frühen Nachmittag überfällt Söder der Sekundenschlaf, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer kämpfen sichtbar. Kann man nach so vielen Stunden ohne Schlaf überhaupt noch vernünftige Beschlüsse fassen? Merkel meint, den Schlaf werde sie nachholen, und das lange Ringen habe sich gelohnt: Die Bepreisung von CO2 sei ein „Paradigmenwechsel“in der Klimapolitik. Dann zitiert sie die Klimaaktivistin Greta Thunberg: „Unite behind the science“– versammelt euch hinter den Wissenschaften. Das sei nötig, denn „wir leben heute nicht nachhaltig“, sagt Merkel, die selbst Naturwissenschaftlerin ist.
Die Politiker der Großen Koalition sind durch die Bank zufrieden mit ihrem Paket. Kramp-Karrenbauer spricht von einem Tag, „der nicht schlecht ist für den Klimaschutz und nicht schlecht für das Klima in der Großen Koalition“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bemüht gar Johannes Raus berühmten Spruch, man sei „ins Gelingen verliebt“, man habe ein „lautes und hörbares Signal“für mehr Klimaschutz gesendet. Auf 22 Seiten hat die Koalition ihre Pläne festgehalten, es sind Eckpunkte, die jetzt in Gesetzesform gebracht werden müssen.
Die Union hat sich durchgesetzt mit ihrem
Ziel, über den Handel mit Zertifikaten die Menge an Kohlendioxid zu verringern, die
SPD hatte eine CO2Steuer gefordert. Doch der Einstiegspreis in die Zertifikate liegt mit zehn Euro so tief, dass der Verband der Familienunternehmer kritisiert: „Statt entschlossen sofort mit dem effizienten Handel der Zertifikate im Schnellzug auf die Strecke zu gehen, tuckern wir zum Festpreis bis 2026 kreuz und quer im Regionalzug.“Ähnliche Kritik kommt von der Opposition. Damit werde man die Klimaziele 2030 nicht erreichen, so die Grünen.
Hier die wichtigsten Punkte des Klimapakets:
Verbraucher müssen sich wegen ● des Zeritifikatehandels auf steigende Preis für Tanken und Heizen
einstellen. Allerdings wird beim Einstiegspreis ● der Zertifikate damit gerechnet, dass sich der Preis pro Liter Benzin erst einmal nur um drei Cent erhöht. Fliegen wird teurer: Die Luftverkehrsabgabe ● soll von 2020 an steigen, um wie viel steht noch nicht fest.. Bahnfahren wird billiger: Die ● Fahrkartenpreise sollen um zehn Prozent sinken, weil die Mehrwertsteuer für Bahntickets auch im Fernverkehr auf sieben Prozent gesenkt wird. „Wir geben die Absenkung eins zu eins an unsere Kunden weiter und verzichten darüber hinaus auf eine Preiserhöhung“, erklärte Bahnchef Richard Lutz in Berlin. ● Die Kfz-Steuer soll sich künftig mehr am CO2-Ausstoß orientieren. ● Der Kauf von E-Autos soll mit Prämien gefördert werden. Damit die Fahrer keine Angst vor leeren Batterien haben, sollen bis 2030 eine Million öffentliche Ladepunkte zur Verfügung stehen.
●Die Pendlerpauschale soll von 2021 ab dem 21. Kilometer auf 35 Cent steigen, befristet auf fünf Jahre.
● Die Stromkosten sollen sinken, indem die EEG-Umlage um 0,25 Euro pro kWh gesenkt wird. Ein Mehrpersonenhaushalt,
der zum Beispiel 4000 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht, kann so zehn Euro sparen. Und es wird von Jahr zu Jahr mehr. Um den Austausch alter Ölheizungen zu beschleunigen, soll eine Austauschprämie mit einem Förderanteil von 40 Prozent für ein neues Heizsystem kommen. Windkraft onshore und offshore
soll weiter ausgebaut werden. Bayern erhält aber „Bestandsschutz“für seine besonders hohen Abstandsregeln bei den Windanlagen. Die Akzeptanz von Windanlagen soll gesteigert werden, indem die Kommunen an den Gewinnen beteiligt werden.
Mit diesen Vorhaben soll der CO2Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent sinken und 2050 soll die Klimaneutralität
erreicht sein.
Alle Beteiligten lobten das Paket als sozial ausgewogen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) meinte, man wisse, dass sich nicht jeder morgen ein neues Auto oder eine neue Heizung leisten könne. Wie Merkel betonte auch er, dass man trotz des Klimapakets den ausgeglichenen Haushalt einhalten könne. Die Maßnahmen, die rund 54 Milliarden Euro kosten sollen, seien „gut finanzierbar aus den Einnahmen“, so Scholz.
„Schlechter Witz“
Auch wenn Merkel die Klimaaktivistin Thunberg zitierte – die Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“überzeugte sie mit diesem Paket nicht. Der deutsche Ableger schrieb auf Twitter, es sei ein „schlechter Witz“, wenn die Bundesregierung die Bewegung lobe und „uns dann Entscheidungen verkaufen möchte, mit denen unsere Zukunft weiter mit Füßen getreten wird“.