Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Leinen los für die „Polarstern“
Die Vorfreude der Wissenschaftler auf ihr einjähriges Abenteuer im Eis ist riesig
TROMSØ (dpa) - Die Vorfreude stand dem Leiter der bisher größten Arktis-Expedition ihrer Art ins Gesicht geschrieben. „Es passiert. Es passiert wirklich. Ein Traum wird wahr“, sagt Markus Rex. Es fühle sich ein wenig unwirklich an, dass die Expedition nach Jahren der harten und intensiven Arbeit nun wirklich beginne, sagt Rex. Wenige Stunden später und eingehüllt von der abendlichen Dunkelheit ging es für den deutschen Eisbrecher Polarstern los in Richtung der zentralen Arktis. Dort wollen die Forscher das Schiff einfrieren lassen, um während der Drift des Eises entscheidende Kenntnisse zum Weltklima zu sammeln.
Ein Jahr lang wird das Forschungsschiff des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts bei der Mammutexpedition „Mosaic“mit dem Meereis durch die zentrale Arktis driften. Rund zwei Wochen nach dem Ablegen im Norden Norwegens werden Besatzung und Forscher nach einer geeigneten Eisscholle Ausschau halten. Die Wissenschaftler aus fast 20 Ländern, die während der Reise mehrfach ausgewechselt werden, wollen mit ihren Messungen vor allem den Einfluss der Arktis auf das Weltklima besser verstehen lernen. Sie erhoffen sich einen Meilenstein für die Klimaforschung.
Expeditionsleiter Rex ist nicht der Einzige, der sich auf das wohl größte Forschungsabenteuer der Polarstern freut. 600 Menschen, darunter rund 300 Wissenschaftler, beteiligen sich an der Expedition. Die Herausforderungen, vor denen sie stehen, sind immens: Im Winter werden Temperaturen von bis zu minus 45 Grad erwartet, Rex rechnet mit Stürmen und unvorhersehbaren Bedingungen. Auch Eisbären könnten ein Problem darstellen, weshalb es Eisbärwachen geben wird, die für die Sicherheit der Wissenschaftler sorgen sollen. Die Forscher sind sich zudem bewusst, dass die Sonne in der zentralen Arktis knapp 150 Tage lang nicht über den Horizont steigen wird. „Wir verabschieden uns bald von der Sonne“, sagt Rex.
Neben Vorfreude klingt auch Stolz in den Worten der Beteiligten mit. Pauline Snoeijs-Leijonmalm von der Universität in Stockholm sagt, sie sei schon zuvor an Arktis-Expeditionen beteiligt gewesen und habe zweimal auf dem geografischen Nordpol gestanden. Aber diesmal sei alles größer. Viele vollkommen neue Erkenntnisse könnten während der Expedition gesammelt werden. „Das ist die höchste berufliche Erfüllung, die ein Wissenschaftler erreichen kann.“Die Technik an Bord sei topmodern, das Schiff habe sich über Jahrzehnte bewährt, die Crew zudem extra Überlebensstrategien gelernt, sagte Stefan Schwarze, der Kapitän der „Polarstern“.
Eine Arktis-Expedition in dieser Größenordnung hat es laut Rex noch nie gegeben. Die Hälfte der Kosten von rund 140 Millionen Euro trägt Deutschland. Es handele sich um eine sinnvolle Investition für den Klimaschutz, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Die Erderwärmung sei im Nordmeer schon heute dramatisch – mit unmittelbaren Folgen auch für Europa und Deutschland. „Es ist also in unserem höchsten Interesse, die Arktis zu erforschen. Nur wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschland Vorsorge gegen Klimaveränderungen zu treffen und effektiv dem Klimawandel entgegenzuwirken.“Die Teilnehmer und Unterstützer der Expedition bezeichnete sie als „Helden unserer Zeit“.
Die „Polarstern“hat Platz für eine Crew von bis zu 44 Personen sowie maximal 55 Wissenschaftler und Techniker, die in neun Laboren ihren Forschungsarbeiten nachgehen können. Erst im Oktober 2020 wird sie zurück in Bremerhaven erwartet.