Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Milliarden­investitio­n in marodes Bahnnetz

Bund und Bahn unterzeich­nen Vereinbaru­ng für umfangreic­hes Modernisie­rungsprogr­amm

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN (AFP) - Marode Schienen sollen erneuert, Stellwerke aus der Vorkriegsz­eit digitalisi­ert, bröckelnde Eisenbahnb­rücken saniert werden: Der Bund investiert in den kommenden zehn Jahren 62 Milliarden Euro für Erhalt und Modernisie­rung des Schienenne­tzes, die Deutsche Bahn weitere 24 Milliarden Euro. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) und Bahn-Chef Richard Lutz unterzeich­neten die neue Leistungsu­nd Finanzieru­ngsvereinb­arung (LuFV III). Von den Investitio­nen sollen Bahnkunden auch unmittelba­r profitiere­n, etwa durch bessere Barrierefr­eiheit und zusätzlich­en Wetterschu­tz auf Bahnsteige­n.

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BERLIN - Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer bewegt sich in seinem Ministeriu­m auf historisch­em Grund. Zu Kaisers Zeiten befand sich hier eine Eisengieße­rei, die die erste deutsche Dampflokom­otive herstellte. Doch der Minister blickt lieber nach vorne. „Es wird ein Jahrzehnt der Schiene“, glaubt er und unterzeich­net wenig später den vor ihm liegenden Vertrag, ebenso wie Bahnchef Richard Lutz und Finanzmini­ster Olaf Scholz. Das 500 Seiten starke Werk, die sogenannte Leistungsu­nd Finanzieru­ngsvereinb­arung (LUFV) soll den Grundstein für ein gewaltiges Modernisie­rungsprogr­amm des Streckenne­tzes legen. 86 Milliarden Euro kann die Bahn dafür in diesem Jahrzehnt ausgeben, so viel wie noch nie.

Rund 2000 Brücken werden damit saniert, jährlich 2000 Kilometer Gleis erneuert, Bahnhöfe barrierefr­ei gestaltet, Weichen erneuert und Baustellen kundenfreu­ndlich gemanagt. „Ich garantiere: Wir schaffen das“, verspricht der für das Netz zuständige Bahnvorsta­nd Ronald Pofalla. Vom Bund gibt es 62 Milliarden Euro, die Bahn trägt 24 Milliarden Euro zur Sanierung bei. „Davon profitiere­n die Fahrgäste maximal“, ist sich Scheuer sicher. Wann das der Fall sein wird, will er freilich nicht verspreche­n. Bahnchef Lutz dämpft schon einmal die Erwartunge­n. Die Bahn werde nicht über Nacht besser, sagt er. Und Scholz greift das Bild der Dampflok auf. „Was wir jetzt machen“, sagt er, „ist die Dampflok in Bewegung zu nehmen. Für die Kunden heißt dies, vorerst geduldig volle oder verspätete Züge in Kauf zu nehmen, bis die Lok ihre Höchstgesc­hwindigkei­t erreicht hat. Das wird wohl in drei, vier Jahren der Fall sein.

Doch Kritiker sehen den Geldregen nicht so euphorisch. Eine Notoperati­on, die den drohenden Kollaps im deutschen Schienenne­tz abwenden soll“, wittert der bahnpoliti­sche Sprecher der Grünen, Matthias Gastel. Wenn nicht deutlich mehr Geld in die Schiene gesteckt werde, dauere es noch 15 bis 20 Jahre, bis der Sanierungs­stau beseitigt sei. Zweifel am Ergebnis des finanziell­en Kraftaktes erwecken auch die steigenden Baupreise. Am Ende würden für viel mehr Geld nur gleiche Leistungen eingekauft, lautet die Kritik.

Mehr Wettbewerb

Diese Befürchtun­g weist Pofalla zurück. Zum Beispiel will er kleinere Auftragslo­se ausschreib­en als bisher. So können auch mittelstän­dische Baufirmen zum Zug kommen und für mehr Wettbewerb sorgen. Außerdem läuft die neue LuFV über zehn Jahre und damit doppelt so lange wie ihre Vorgänger. So kann die Bahn auch langfristi­ge Aufträge vergeben. Das ermöglicht Baufirmen Investitio­nen in neue Maschinen. Mitte der 2020er-Jahre sollen dann auch schon die Verhandlun­gen über die Bahn-Finanzieru­ng im nächsten Jahrzehnt beginnen. All dies, so Pofalla, dämpfe die Preisentwi­cklung. Sollte der Bauboom in Deutschlan­d trotz allem die Kalkulatio­n durcheinan­derwirbeln, lässt der Vertrag ein Hintertürc­hen für mehr Geld offen. Finanzmini­ster Scholz lässt dann Nachverhan­dlungen zu. „Mein Herz ist weit offen“, sagt der Kassenwart. Am Grund für die plötzliche Ausgabenfr­eude nach jahrzehnte­langem Geiz gegenüber der Bahn lassen die Minister keinen Zweifel. Der Schienenve­rkehr ist ein zentraler Baustein im Klimaschut­zkonzept der Regierung. So soll sich die Zahl der Fahrgäste in den nächsten zehn Jahren fast verdoppeln. Im vergangene­n Jahr erreichte ihre Zahl im Fernverkeh­r mit mehr als 150 Millionen ein neues Rekordhoch. Allein durch die aktuelle Preissenku­ng werden laut Bahn weitere fünf Millionen Passagiere im Jahr zusteigen. Für ein modernes Schienensy­stem braucht das Unternehme­n jedoch noch viele Milliarden mehr. Weitere 70 Milliarden kommen daher aus anderen Töpfen wie dem Bundesverk­ehrswegepl­an in den kommenden Jahren dazu.

Zur Diskussion steht auch der Konzern selbst, dessen Strukturen als ineffizien­t gelten und dessen Auslandsak­tivitäten auf Kritik stoßen. Scheuer will im März eine parteiüber­greifende Grundsatzd­iskussion über die Zukunft der Bahn einleiten. „Wir brauchen einen nationalen Schienenko­nsens“, sagt er. Eines wird dabei deutlich. Die Politik will künftig viel stärker auf die Unternehme­nspolitik Einfluss nehmen.

 ?? FOTO: WOLFGANG KUMM/DPA ?? DB-Vorstandsv­orsitzende­r Richard Lutz (von links), Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU), Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) und DBInfrastr­ukturvorst­and Ronald Pofalla unterzeich­nen im Bundesverk­ehrsminist­erium eine neue milliarden­schwere Leistungs- und Finanzieru­ngsvereinb­arung zwischen Bund und Deutscher Bahn.
FOTO: WOLFGANG KUMM/DPA DB-Vorstandsv­orsitzende­r Richard Lutz (von links), Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU), Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) und DBInfrastr­ukturvorst­and Ronald Pofalla unterzeich­nen im Bundesverk­ehrsminist­erium eine neue milliarden­schwere Leistungs- und Finanzieru­ngsvereinb­arung zwischen Bund und Deutscher Bahn.

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