Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kanzlerin trifft Trauernde in Hanau
Die katholischen Bischöfe suchen einen neuen Vorsitzenden – Gewaltige Aufgaben warten
BERLIN (epd) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Mittwoch an der zentralen Trauerfeier für die Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau teilnehmen. Das bestätigte ein Regierungssprecher in Berlin. Ob die Kanzlerin auch Angehörige der Opfer treffen wird, sei noch offen.
ULM - Er ist das „Gesicht“der katholischen Kirche in Deutschland: Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, seit 2014 auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Noch bis Dienstagmittag vertritt er als „Primus inter Pares“die Oberhirten: Völlig überraschend hatte der 66-Jährige vor gut zwei Wochen angekündigt, für eine zweite Amtszeit nicht antreten zu wollen. Nun ist offen, wer dem Westfalen nachfolgen wird: Ab Montag treffen sich die 68 Orts- und Weihbischöfe zu ihrer Frühjahrsvollversammlung in Mainz und wählen am Dienstag ihren neuen Vorsitzenden.
Die vier großen inhaltlichen Herausforderungen an Marx’ Nachfolger sind schnell zusammengefasst: Die Opfer des Missbrauchsskandals warten immer noch auf eine Entschädigungsregelung. Vielleicht gibt es in der kommenden Woche bereits eine Entscheidung: Die Rede ist von einem mittleren fünfstelligen Eurobetrag, nachdem im Herbst sechsstellige Summen im Raum gestanden hatten. Vor allem aber stehen die weitere Aufarbeitung des Skandals und Präventionsarbeit auf der Agenda.
Weiter muss der künftige Vorsitzende die Versammlungen des Synodalen Wegs moderieren, bei denen Laien, Priester und Bischöfe in aller Offenheit über die Zukunft der Kirche in Deutschland diskutieren. Schon bei der ersten Synodalversammlung Ende Januar wurde deutlich, dass dieses „Experiment im rechtsfreien Raum“eine Eigendynamik entfaltet, die kluge Interventionen und Moderationen erfordert. Der Bischofskonferenz-Vorsitzende ist – neben dem Präsidenten des Laien-Dachverbandes ZdK und den Sekretären von ZdK und Bischofskonferenz – einer von vier Köpfen dieses einzigartigen Gebildes.
Viel weiter aber reichen die Fragen nach der Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland: Die rasant steigenden Austrittszahlen, der gesellschaftliche Relevanzverlust, die sinkende Attraktivität der kirchlichen Berufe, die Auflösung des einst so starken „katholischen Milieus“auch in ehemals „schwarzen Gegenden“wie Bayern, dem Rheinland oder dem Münsterland sind existenzbedrohend. Als Folge der demografischen Entwicklung im Klerus wird sich der Priestermangel voll entfalten – quer durchs Land werden immer mehr Gemeinden ohne eigenen Priester dastehen. Die verbleibenden Priester müssen gleichzeitig immer mehr Aufgaben übernehmen, was für diese heute schon zur Überlastung führt. Wird sich die katholische Kirche aus der Fläche zurückziehen? Soziale Aufgaben abgeben? Nur noch für die „Treuesten der Treuen“Angebote bereithalten?
In der Bischofskonferenz sind die Meinungen sehr gespalten. Den Kreis der zerstrittenen Oberhirten wieder zusammenzuführen ist die vierte Aufgabe des neuen Vorsitzenden, nachdem sich mit dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki und den bayerischen Bischöfen Rudolf Voderholzer (Regensburg), Stefan Oster (Passau) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt) eine starke konservative Fraktion gegen Marx herausgebildet hat.
Wer kann diese Aufgaben stemmen? Woelki hat bereits abgewunken, will nicht Vorsitzender der Bischofskonferenz werden. Er bekäme wohl auch nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.
Hinzu kommt: Der „Neue“muss auch in Rom, vor allem im Vatikan, gut vernetzt sein, verhandlungssichere Italienischkenntnisse aufweisen, römischen „Stallgeruch“erkennen lassen und gleichzeitig die deutschen Interessen überzeugend gegenüber dem Papst, den stets skeptischen Kurienkardinälen und der Weltkirche vertreten können. Reinhard Marx hatte durch seinen direkten Zugang zu Papst Franziskus – er gehört dem Kardinalsrat an – stets Vorteile im Kurienapparat.
Von den jüngeren deutschen Bischöfen bringen nur wenige diese Voraussetzungen mit. Zu nennen sind Franz-Josef Overbeck (55) aus Essen, Heiner Wilmer (58) aus Hildesheim, Karl-Heinz Wiesemann (59) aus Speyer und Franz Jung (53) aus Würzburg. Während Overbeck und Wiesemann langjährige Führungserfahrungen aus ihren Diözesen
vorweisen können, hat Wilmer als Generaloberer von 2015 bis 2018 die Kongregation der Herz-JesuPriester mit weltweit 2200 Mitbrüdern geleitet. Gegen Jung spricht, dass er in der Diözese Würzburg gewaltige Restrukturierungen meistern muss.
Gut möglich, dass sich die Mehrheit der Oberhirten ganz anders entscheidet: In Mainz, dem Tagungsort, wirkt mit Bischof Peter Kohlgraf (52) ein Pastoraltheologe, der im geistigen Erbe des langjährigen Vorsitzenden der Bischofskonferenz und Bischofs von Mainz, Kardinal Karl Lehmann, handelt. Seine Grundüberzeugung: „Nur eine dienende Kirche dient der Welt.“Kohlgraf hat die Gabe, im Medienzeitalter überzeugend und „sprechfähig“aufzutreten. Nicht zuletzt dieses Kriterium bescherte Marx vor sechs Jahren eine Mehrheit, denn seine rhetorischen Fähigkeiten standen und stehen außer Zweifel.