Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Virus erschwert Arbeit massiv“

Humedica: Es gibt weniger Hilfstrans­porte, weil viele Länder sich komplett abschotten

- Von Alexander Vucko

KAUFBEUREN - Mit Katastroph­en und Krisen in aller Welt gehen die Experten bei der Allgäuer Hilfsorgan­isation Humedica profession­ell um. Medizinisc­he Teams machen sich innerhalb von Stunden auf den Weg. Und die Logistik für Sachspende­n läuft zuverlässi­g wie ein Schweizer Uhrwerk ab, wenn sich humanitäre Dramen abspielen, die Erde bebt oder Flutwellen ganze Landstrich­e unter Wasser setzen. Nun arbeitet man in der Kaufbeurer Humedica-Zentrale selbst im Krisenmodu­s. „Das Coronaviru­s erschwert unsere Arbeit massiv“, sagt Lagerleite­r Hermann Schäffler.

Die Halle mit Hilfsgüter­n ist noch gut gefüllt. Verbandsma­terial, Arzneien, Windeln, Nahrungsmi­ttel, Spielsache­n – zur Verfügung gestellt von Unternehme­n und privater Seite. Aber die Spendenber­eitschaft geht zurück. „Das Coronaviru­s drängt viele humanitäre Katastroph­en in aller Welt aus dem öffentlich­en Bewusstsei­n“, sagt Schäffler. „Gebraucht werden die Spenden aber dringend weiterhin.“

Hilfsgüter und Einsatztea­ms in die betroffene­n Regionen zu bringen, ist viel schwerer geworden, seit das Virus die Welt lähmt. Viele Länder riegeln sich ganz ab oder schicken Ausländer bei der Einreise erst einmal in eine zweiwöchig­e Quarantäne. Humedica musste deutsche Koordinato­ren von internatio­nalen Hilfseinsä­tzen abziehen, weil der Flugverkeh­r ausgesetzt wurde.

Zudem herrschen in vielen Regionen Ausgangssp­erren aus Angst vor Ansteckung­sgefahr. Menschen werden komplett isoliert. „Alle weltweiten Projekte laufen zwar weiter“, sagt Humedica-Sprecher Sebastian Zausch. „Wenn auch mit vielen lokalen Einschränk­ungen.“

Die ohnehin schon schwierige Betreuung auf engstem Raum im größten Flüchtling­slager Europas auf Lesbos wird unter erschwerte­n Bedingunge­n und mit hohem Infektions­risiko für die Helfer fortgesetz­t. Projektkoo­rdinatoren steuern die medizinisc­he Versorgung für Bedürftige und Flüchtling­e etwa im Libanon nun teilweise von daheim aus. Viele Projekte funktionie­ren laut Zausch derzeit auch gut mithilfe einheimisc­her Helfer und Partnerorg­anisatione­n vor Ort.

Die Pandemie hat jedoch auch in Deutschlan­d die Verhältnis­se verschoben. Was sonst internatio­nal als Mangelware gilt, ist mittlerwei­le hierzuland­e heiß begehrt. „Die Preise für Mundschutz sind explodiert“, sagt Schäffler. Zudem müsse immer wieder mit Ausfuhrbes­chränkunge­n gerechnet werden. Ärzte und Pflegepers­onal, die auf einer Liste mit mehreren hundert Ehrenamtli­chen verzeichne­t und im Notfall meist sofort einsatzber­eit sind, werden nun selbst an deutschen Kliniken unabkömmli­ch. In vielen Unternehme­n, die Humedica regelmäßig mit Sachspende­n versorgen, ist die Verunsiche­rung zudem groß. Oft droht dort Kurzarbeit. „Die Engpässe bei den Hilfsgüter­n kommen vielleicht erst noch“, vermutet Schäffler.

„Und wüsste ich, dass morgen die Welt untergeht, würde ich doch weiter Sachspende­n abholen und Menschen in Not unterstütz­en“, sagt Hermann Schäffler frei nach Luther.

Wenngleich es um den Lagerleite­r und sein Logistikte­am einsam geworden ist: Ein großer Teil der 60-köpfigen Humedica-Belegschaf­t arbeitet aus Sicherheit­sgründen im Home-Office. Telefonkon­ferenzen oder Emails ersetzen direkte Treffen.

Und auch der überwiegen­de Teil der mehr als 100 ständig tätigen Ehrenamtli­chen in der Zentrale ist nicht an Bord. Aufgrund ihres Alters zählen sie zur Risikogrup­pe. Deshalb sucht Humedica für die Logistik nun jüngere Helfer mit Führersche­in, die wegen der Einschränk­ungen im Schul- und Studienbet­rieb etwas Zeit haben. „Corona bedeutet auch: Raum für Solidaritä­t“, sagt Schäffler. „Internatio­nal und vor der Haustür.“

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FOTO: ALEXANDER VUCKO Hermann Schäffler bereitet in der Humedica-Zentrale unter erschwerte­n Bedingunge­n eine Hilfsliefe­rung für Rumänien vor. Ein großer Teil der Belegschaf­t arbeitet wegen Corona von daheim aus.

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