Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Virus erschwert Arbeit massiv“
Humedica: Es gibt weniger Hilfstransporte, weil viele Länder sich komplett abschotten
KAUFBEUREN - Mit Katastrophen und Krisen in aller Welt gehen die Experten bei der Allgäuer Hilfsorganisation Humedica professionell um. Medizinische Teams machen sich innerhalb von Stunden auf den Weg. Und die Logistik für Sachspenden läuft zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk ab, wenn sich humanitäre Dramen abspielen, die Erde bebt oder Flutwellen ganze Landstriche unter Wasser setzen. Nun arbeitet man in der Kaufbeurer Humedica-Zentrale selbst im Krisenmodus. „Das Coronavirus erschwert unsere Arbeit massiv“, sagt Lagerleiter Hermann Schäffler.
Die Halle mit Hilfsgütern ist noch gut gefüllt. Verbandsmaterial, Arzneien, Windeln, Nahrungsmittel, Spielsachen – zur Verfügung gestellt von Unternehmen und privater Seite. Aber die Spendenbereitschaft geht zurück. „Das Coronavirus drängt viele humanitäre Katastrophen in aller Welt aus dem öffentlichen Bewusstsein“, sagt Schäffler. „Gebraucht werden die Spenden aber dringend weiterhin.“
Hilfsgüter und Einsatzteams in die betroffenen Regionen zu bringen, ist viel schwerer geworden, seit das Virus die Welt lähmt. Viele Länder riegeln sich ganz ab oder schicken Ausländer bei der Einreise erst einmal in eine zweiwöchige Quarantäne. Humedica musste deutsche Koordinatoren von internationalen Hilfseinsätzen abziehen, weil der Flugverkehr ausgesetzt wurde.
Zudem herrschen in vielen Regionen Ausgangssperren aus Angst vor Ansteckungsgefahr. Menschen werden komplett isoliert. „Alle weltweiten Projekte laufen zwar weiter“, sagt Humedica-Sprecher Sebastian Zausch. „Wenn auch mit vielen lokalen Einschränkungen.“
Die ohnehin schon schwierige Betreuung auf engstem Raum im größten Flüchtlingslager Europas auf Lesbos wird unter erschwerten Bedingungen und mit hohem Infektionsrisiko für die Helfer fortgesetzt. Projektkoordinatoren steuern die medizinische Versorgung für Bedürftige und Flüchtlinge etwa im Libanon nun teilweise von daheim aus. Viele Projekte funktionieren laut Zausch derzeit auch gut mithilfe einheimischer Helfer und Partnerorganisationen vor Ort.
Die Pandemie hat jedoch auch in Deutschland die Verhältnisse verschoben. Was sonst international als Mangelware gilt, ist mittlerweile hierzulande heiß begehrt. „Die Preise für Mundschutz sind explodiert“, sagt Schäffler. Zudem müsse immer wieder mit Ausfuhrbeschränkungen gerechnet werden. Ärzte und Pflegepersonal, die auf einer Liste mit mehreren hundert Ehrenamtlichen verzeichnet und im Notfall meist sofort einsatzbereit sind, werden nun selbst an deutschen Kliniken unabkömmlich. In vielen Unternehmen, die Humedica regelmäßig mit Sachspenden versorgen, ist die Verunsicherung zudem groß. Oft droht dort Kurzarbeit. „Die Engpässe bei den Hilfsgütern kommen vielleicht erst noch“, vermutet Schäffler.
„Und wüsste ich, dass morgen die Welt untergeht, würde ich doch weiter Sachspenden abholen und Menschen in Not unterstützen“, sagt Hermann Schäffler frei nach Luther.
Wenngleich es um den Lagerleiter und sein Logistikteam einsam geworden ist: Ein großer Teil der 60-köpfigen Humedica-Belegschaft arbeitet aus Sicherheitsgründen im Home-Office. Telefonkonferenzen oder Emails ersetzen direkte Treffen.
Und auch der überwiegende Teil der mehr als 100 ständig tätigen Ehrenamtlichen in der Zentrale ist nicht an Bord. Aufgrund ihres Alters zählen sie zur Risikogruppe. Deshalb sucht Humedica für die Logistik nun jüngere Helfer mit Führerschein, die wegen der Einschränkungen im Schul- und Studienbetrieb etwas Zeit haben. „Corona bedeutet auch: Raum für Solidarität“, sagt Schäffler. „International und vor der Haustür.“