Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Fast jeder vierte Soforthilfe-Antrag aus dem Landkreis
Kreishandwerkerschaft über die bereitgestellten Summen: „Tropfen auf den heißen Stein“
KREIS RAVENSBURG - Der Friseur hat geschlossen, und vielen Handwerkern werden die Termine in Privathaushalten abgesagt, weil die Auftraggeber niemand Fremden im Haus haben wollen: Etliche Handwerksbetriebe in der Region müssen auf das Soforthilfeprogramm des Landes Bade-Württemberg zurückgreifen. Die Handwerkskammer Ulm hat in den ersten Tagen auffällig viele Anträge aus dem Kreis Ravensburg bewilligt.
In den ersten sechs Tagen, nachdem die Möglichkeit zur Antragsstellung bestand, hat die Handwerkskammer nach eigenen Angaben 4000 Anträge von den insgesamt 19 500 Handwerksbetrieben zwischen Ostalb und Bodensee erhalten und schon gut 1700 abschließend bearbeitet. Davon stammten gut 23 Prozent aus dem Landkreis Ravensburg, ebenso viele aus dem Ostalbkreis, deutlich weniger kamen aus dem Alb-Donau-Kreis und dem Bodenseekreis (je 15,5), Stadtkreis Ulm (11), den Kreisen Biberach und Heidenheim (je 10). Nur ein Antrag musste abgelehnt werden. Die zugeteilte Summe beläuft sich bereits auf 14 Millionen Euro, das sind im Durchschnitt gut 8200 Euro je Betrieb. Die überwiegende Zahl der Soforthilfeanträge komme von kleinen Betrieben mit bis zu fünf Mitarbeitern, so die Handwerkskammer.
Wie sind die Zahlen zu werten: Ist die Not im Kreis Ravensburg größer als anderswo oder waren die hiesigen Betriebe geschickter bei der Antragsstellung? Kreishandwerksmeister Michael Bucher, der in Hittelkofen eine Schreinerei betreibt, tippt auf Letzteres: Die Kreishandwerkerschaft habe viele Betriebe bei der Antragstellung beraten und früh Infos dazu zur Verfügung gestellt.
Das Geld, das ausgezahlt werde, reiche allerdings nicht, um einen Betrieb
über eine lange Schließungszeit finanziell stabil zu halten, sagt Bucher. „Das ist eher ein Tropfen auf den heißen Stein, zum Beispiel um Kredite bedienen zu können.“Er geht davon aus, dass Betriebe auch an ihre Reserven gehen müssen. „Wer keine hat, bekommt schnell Probleme“, ist er überzeugt.
Im Kreis Ravensburg dominieren nach Buchers Einschätzung kleine Handwerksbetriebe mit unter zehn Mitarbeitern. Nicht alle sind betroffen. Während der Friseur zuhat, der Uhrmachermeister nur noch in der Werkstatt arbeiten kann, der Heizungskundendienst auf die Zeit nach der Krise verschoben wird, läuft das Geschäft auf dem Bau noch, allerdings berichtet Bucher von Vorsichtsmaßnahmen: Die Gewerke seien jetzt auf vielen Baustellen strikter getrennt, sodass nur eine Firma vor Ort ist. Mancherorts komme es aber zum Stillstand: Auf einer Baustelle hätten jedoch die bauleitenden Architekten unter den aktuellen Bedingungen die Sicherheitskoordination abgelehnt, so Bucher. Außerdem hat er den Eindruck, dass Kommunen aktuell bei der Beauftragung von Handwerksbetrieben zögerlich sind. „Das ist schade.“Für das Handwerk sei Stillstand das Schlimmste. Er vermutet, dass sich Städte und Gemeinden um ihre eigene finanzielle Situation sorgen, so Bucher.
Bucher erwartet, dass in den Betrieben die Normalität und das gewohnte Auftragsvolumen frühestens Anfang 2021 zurückkehrt, viel wahrscheinlicher aber erst ein Jahr nach Ende des Krisenmodus – wann immer dieser Zeitpunkt sein wird. Bucher vergleicht die Situation mit einem Stau auf der Autobahn. Wenn ein Fahrer heftig abbremse, müsse das sein Hintermann auch tun – und letztlich bilde sich ein zehn Kilometer langer Stau, der eben auch seine Zeit brauche, bis er sich wieder auflöse.
Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“hatte kürzlich ein Obstbauer gefordert, dass es die Möglichkeit geben sollte, in guten Zeiten steuerfreie Rücklagen bilden zu dürfen, um sich in schlechten Jahren selbst helfen zu können. Das fände
ANZEIGE auch Bucher fürs Handwerk gut. Früher habe er die Möglichkeit gehabt, durch „Anspar-Abschreibungen“verdientes Geld im Betrieb zu halten. Doch diese Möglichkeit sei abgeschafft worden. Über die Stimmung unter den Handwerkern sagt
Bucher, einige Kollegen seien in den ersten Tagen der Einschränkung des öffentlichen Lebens aufgrund der Corona-Krise durchaus in Panik geraten, inzwischen seien die meisten aber „erstaunlich gelassen“. Viele nutzten die Kurzarbeiterregelung.