Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das blühende Leben im Land erhalten
Streuobstwiesen lassen es blühen, regulieren das Mikroklima und liefern Obst – Verschiedene Initiativen in Baden-Württemberg versuchen, die gefährdeten Ökosysteme zu pflegen und zu retten
Zartes Rosa, strahlendes Weiß, zartes Grün: Wenn der Frühling das Land erreicht, zeigen sich die Streuobstwiesen in Baden-Württemberg von ihrer schönsten Seite. Die in lichten Reihen auf den Wiesen wachsenden Bäume, neben verschiedenen Apfelsorten sind das auch Kirschen, Birnen, Zwetschgen und anderes Obst, bilden rund ums Jahr ein einzigartiges Ökosystem für mehr als 5000 Arten.
Hans-Martin Flinspach vom Vorstand der Karlsruher Streuobstinitiative kennt die Vorzüge dieser alten Kulturlandschaft seit vielen Jahren. Die Arten- und Sortendurchmischung sei es, die den Wert ausmache. Die extensiv genutzten und in der Regel nicht gedüngten Wiesen mit den Obstbäumen böten von Frühjahr bis zum Herbst die Lebensgrundlage für eine große Insektenvielfalt. Die Naturschutzreferentin bei der Umweltschutzorganisation BUND, Almut Sattelberger, spricht von einem Hotspot der Artenvielfalt.
Große Anstrengungen seien nötig, um Streuobstwiesen zu erhalten, sagt Flinspach. In früheren Zeiten dienten diese am Rande von Dörfern und Höfen angelegten Baumwiesen vor allem der Selbstversorgung. Für die Vermarktung im Nachkriegsdeutschland erschienen die alten Sorten und großen Bäume wenig geeignet. „Der Generalobstbauplan 1957 hatte das Ziel, den alten Obstbau zu beseitigen und einen modernen Marktobstbau aufzubauen“, erinnert sich der Ingenieur für Landschaftspflege.
Mit EU-Prämien seien bis 1974 zwischen 15 000 und 16 000 Hektar Streuobstwiesen in Baden-Württemberg gerodet worden. Der Rückgang setzte sich auch danach noch fort. Eine Zählung 1965 ergab einen Bestand von rund 18 Millionen Bäumen. 2005 waren es nach der Ausund wertung von Luftbildern rund 9,3 Millionen Stück. 2015 zählten Wissenschaftler noch 7,1 Millionen Bäume. „Das ist ein gewaltiger Verlust“, sagt Flinspach. Weil Streuobstwiesen oft an den Rändern der Ortschaften liegen, fallen sie neuen Baugebieten zum Opfer. Die Umwelt- und Naturschutzorganisation fordert daher die Pflicht, einen gleichwertigen Ersatz zu schaffen. Trotzdem ist Baden-Württemberg noch immer das Zentrum der Streuobstwiesen in Europa. Gut 41 Prozent der deutschen Streuobstwiesen liegen im Südwesten. In Europa macht Deutschland etwa die Hälfte des Bestands aus.
Die Obstproduktion habe immer im Vordergrund gestanden. „Aber irgendwann hat man sich auch mal Gedanken gemacht, dass die Streuobstwiesen ganz andere Funktionen in unserer Kulturlandschaft haben“, sagt Flinspach. Sie seien wichtig für den Biotop- und Artenschutz. „Sie sind der reichhaltigste Lebensraum in den landwirtschaftlichen Kulturen.“Streuobstwiesen haben einen großen Erholungswert für Menschen, sie dienen dem Klimaschutz und sie regulieren das Mikroklima. „Ihre Bedeutung als Genreservoir ist wichtig, denn wir haben eine unglaubliche Sortenvielfalt.“
Die Streuobstinitiative im Stadt
Landkreis Karlsruhe betreut knapp 200 Hektar. Rund 1200 Grundstücke von etwa 300 Eigentümern sind unter Vertrag. Der Generationenübergang gelinge oft, aber nicht immer. Besonders wichtig ist die Pflege der Bäume. „Wenn sie nicht mehr geschnitten werden, gehen sie kaputt. Das ist unser Hauptanliegen, dass gepflegt wird.“Ein unbeschnittener Baum wächst immer weiter in die Breite und wird innen kahl, irgendwann bricht er zusammen. Sattelberger lobt die Baumschnittprämie des Landes. Eine weitere Prämie, die Landwirten zum Erhalt von Obstbäumen gezahlt wird, sollte auch auf Privatpersonen ausgedehnt werden.
Flinspach hofft auf mehr Unterstützung des Landes. „Seit 20 Jahren wünsche ich mir eine Imagekampagne. Es geht darum, dass das Land seine Verantwortung für die Streuobstwiesen wahrnimmt.“Auch Agrarminister Peter Hauk (CDU) sieht in den Streuobstbeständen ein wertvolles Natur- und Kulturgut, das bewahrt werden soll. Leider seien viele Streuobstwiesen heute akut bedroht, schreibt er im Grußwort zum Streuobstportal seines Ministeriums. „Ihr Erhalt erfordert eine aktive Bewirtschaftung, Nutzung, Verwertung und Vermarktung – Arbeit, die sich heute wirtschaftlich oft nicht mehr lohnt.“
Das beobachtet auch Maria Schropp, Geschäftsführerin des Vereins „Schwäbisches Streuobstparadies“auf der Schwäbischen Alb. Bereits im Jahr 2012 haben sich hier sechs Landkreise zwischen den Burgen Hohenstaufen und Hohenzollern zusammengeschlossen – als Reaktion auf den anhaltenden Schwund von Streuobstbäumen, den eine Luftbildanalyse zutage brachte. Nun versucht der Verein, mit lokalen Geschäften zur Streuobstvermarktung ins Gespräch zu kommen.
„Ökologisch wertvolle biologisch angebaute Früchte der Streuobstwiesen bleiben immer öfter auf dem Boden liegen, weil etwa für den Doppelzentner Äpfel oft unter zehn Euro bezahlt wurden und werden. Auf der anderen Seite wird in Supermärkten geschmacklich minderwertiges und mit Spritzmittel behandeltes Übersee-Obst zu Tiefstpreisen angeboten“, ergänzt ihre Kollegin Maria Ziehe. Seit jeher kennzeichnen unzählige Mostereien und Brennereien das „Schwäbische Streuobstparadies“, das mit seinen neun Millionen
Streuobstbäumen auf rund 26 000 Hektar Land zwischen Schwäbischer Alb und Neckar die größte zusammenhängende Streuobstlandschaft Europas ist und für ein sauerstoffreiches Mikroklima sorgt. „Hier leben besonders geschützte Pflanzen
und Vogelarten auf sehr engem Raum. Das ist weltweit einzigartig“, beschreibt Schropp diesen jahrhundertealten „urschwäbischen Schatz“, der die Landschaft unter der Alb prägt.
Diesen Schatz zu erhalten, ist das Ziel des Netzwerks Streuobst in
Mössingen. Hier sitzt das Infozentrum im „Schwäbischen Streuobstparadies“. Betreut wird es von Menschen mit und ohne Behinderungen der „Arbeit in Selbsthilfe“(AiS), einer Tochter der Körperbehindertenförderung Neckar-Alb, im benachbarten Pausa-Café. „Eine ideale Kombination“, erläutert Mitinitiatorin Maria Schropp die Wahl Mössingens als „Streuobstparadies-Hauptstadt“, wozu überdies die 40 000 Streuobstbäume und die besondere Vernetzung bis hin zur Inklusion beigetragen hätten.
Die AiS sei eine große Stütze, machen ihre Mitarbeiter doch die Baumkartierarbeiten und die Schnittgutabfuhr, wie Ulrich Eder vom Netzwerk Streuobst erklärt. Letztere leiste als „Energiebündel & Flowerpower“-Projekt wertvollen Beitrag zum Klimaschutz. Das Streuobstschnittholz ersetzt in nahe gelegenen Kraftwerken als Brennmaterial so manche Tonne Heizöl. Zum Erhalt der Streuobstwiesen hat die Voralbgemeinde auch Baumpatenschaftund Stücklepachtprojekte ins Leben gerufen. Damit es auch in Zukunft blüht und wächst in den Streuobstwiesen im Land.
„Hier leben besonders geschützte Pflanzenund Vogelarten auf sehr engem Raum. Das ist weltweit einzigartig.“
Maria Schropp vom Verein „Schwäbisches Streuobstparadies“