Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Hat Corona die Luft besser gemacht?
Forscher nutzen Zeppelin NT aus Friedrichshafen – „Einzigartige Bedingungen“
FRIEDRICHSHAFEN - Wie wirkt sich der Corona-Shutdown auf die Luftqualität aus? Diese Frage versuchen Forscher ab Mittwoch zu beantworten – mithilfe des Zeppelin NT aus Friedrichshafen. Denn seit Wochen gibt es in Deutschland Ausgangsbeschränkungen, der Reiseverkehr ist gestoppt, große Teile der Wirtschaft ruhen.
„Wir haben zurzeit einzigartige atmosphärische Bedingungen“, beschreibt es Elektroingenieur Benjamin Winter vom rheinländischen Institut für Troposphäre. Eckhard Breuer, Geschäftsführer der Deutsche Zeppelin-Reederei, formuliert es so: „Wir haben eine Laborsituation in der Realität.“
Zwischen 8 und 10.30 Uhr soll der Zeppelin am Mittwoch in Friedrichshafen aufsteigen – sofern das Wetter mitmacht und es keinen zu starken Gegenwind gibt. Außer den beiden Piloten fliegen auch ein bis zwei Ingenieure, so genannte Operatoren, des Forschungsinstituts aus Jülich mit. Sie überwachen die Geräte und halten Kontakt zu Jülicher Wissenschaftlern, welche die Messdaten von Bord in Echtzeit mitverfolgen können.
Zunächst fliegt der Zeppelin zum Flughafen Bonn-Hangelar, wo die vier- bis fünftägige Forschungskampagne startet. In etwa 40 Flugstunden wird anschließend die Luft über Köln, Düsseldorf, dem rheinischen Braunkohlerevier und der naturnahen Eiffel gemessen. „Auf dem Weg dorthin werden auch über der Stuttgarter Innenstadt Messdaten gesammelt“, erklärt Zeppelin-Chef Breuer.
Hochmoderne Geräte messen Kohlenmonoxid, Stickoxide und Ozon. Dazu kommen zwei Partikelzähler, die den Feinstaubgehalt der Luft erfassen. Möglich ist das dank verschiedener Sensoren im MiniFormat, die in einer 20 Kilogramm schweren Alubox unterhalb der Passagierkabine befestigt werden. Temperatur und Luftfeuchte werden ebenfalls gemessen. Das Instrumentenpaket kam bereits früher bei Passagierflügen mit dem Zeppelin im
Rheinland zum Einsatz, um Veränderungen der Luftqualität während des dortigen Strukturwandels zu erfassen. Geplant ist, die Geräte langfristig an Bord des Zeppelins mitfliegen zu lassen. Zehn Mitarbeiter von Zeppelin NT habe man für das aktuelle Projekt auf die Reise geschickt – am Boden und in der Luft, sagt der Reederei-Geschäftsführer. Normalerweise dauert die Vorbereitung einer solchen Mission drei bis vier Monate. Dieses Mal gelang es, das Projekt innerhalb von zwei Wochen auf die Beine zu stellen.
Das außerordentliche Engagement hat natürlich auch wirtschaftliche Gründe: „Dieser Auftrag hilft uns in der aktuellen Situation sehr“, sagt Breuer. „Gerechnet hatten wir dieses Jahr von Ende März bis Anfang Oktober mit 25 000 Passagieren.“Daraus wird freilich nichts. „Deshalb freuen wir uns, dass wir diesen Forschungsauftrag gewinnen konnten.“Anschlussaufträge im laufenden Jahr seien nicht ausgeschlossen. Ziel sei aber dennoch, so schnell wie möglich wieder touristische Flüge anzubieten.
Die Jülicher Troposphärenforscher nutzen den Zeppelin NT seit 2007 als Messplattform. Seine besonderen Flugeigenschaften machen ihn zu einem idealen Transportmittel für die Messgeräte: „Der Zeppelin NT kann in niedriger Flughöhe sehr langsam fliegen und auf der Stelle schweben – und das über mehrere Stunden hinweg, länger als jeder Hubschrauber“, lobt Breuer. Diese Eigenschaft sei wichtig, um möglichst genaue Messdaten zu bekommen.
Bei bestimmten Messprofilen kann der Zeppelin außerdem vertikal in größere Höhen aufsteigen. „Dabei verursacht er nur geringe Lärmemissionen und wird daher auch bei Flügen über Wohngebieten kaum als störend wahrgenommen.“Während die reguläre Flughöhe 300 Meter beträgt, wird der Zeppelin für bestimmte Messungen zwischen 150 und 1000 Meter über dem Boden schweben.
Seinen bisher größten wissenschaftlichen Einsatz hatte der Zeppelin NT 2012 und 2013 für das Jülicher Institut: Im Rahmen des EUGroßforschungsprojekts Pegasos ging es für drei Wochen in die Niederlande, um die Alpen über das italienische Festland, die Adria und nach Finnland. Untersucht wurden dabei die Zusammenhänge zwischen Atmosphärenchemie und Klimawandel.