Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Durch Hemmstoffe Krankheitsverlauf verbessern“
RAVENSBURG - An der Ulmer Uniklinik bekommen Patienten, die an Covid-19 erkrankt sind, testweise ein Medikament, das sonst bei Erkrankungen des Knochenmarks eingesetzt wird. Ulrich Mendelin hat dazu den Ulmer Virologen Thomas Mertens befragt.
Welche Wirkung erhofft man sich durch die Therapiestudie in Ulm?
Ruxolitinib, so heißt der internationale Freiname, ist eine Substanz, die bestimmte wichtige Signalübertragungen im Menschen hemmt. Was bedeutet das? Damit die vielen Prozesse, die ständig im Organismus ablaufen, geregelt stattfinden können, müssen fortlaufend Informationen zwischen Zellen ausgetauscht werden. Das sorgt dafür, dass letztlich biochemische Vorgänge in den Zellen, je nach Bedarf, aktiviert oder auch gebremst werden. Die Zellen unseres Organismus verwenden verschiedene Methoden („Sprachen“), um sich zu verständigen. Eine der vielen Möglichkeiten, wie Zellen „sich unterhalten“, besteht in der Freisetzung von Botenstoffen, sogenannten „Zytokinen“. Da es sich hierbei um verschiedene, sehr potente Moleküle handelt, muss diese Freisetzung streng kontrolliert werden. Anderenfalls kommt es zu schwerwiegenden, manchmal tödlichen, überschießenden Wirkungen. Schon frühzeitig hat man die Beobachtung gemacht, dass es bei den schwer verlaufenden Covid-19Erkrankungen zu einem sogenannten „Zytokinsturm“kommt. Der Organismus schüttet, in dem „verzweifelten Bemühen“, mit dem Virus fertig zu werden, viel zu viel verschiedene Zytokine aus, die so unkontrolliert die schweren Verläufe von Covid-19 erst hervorrufen. Es gibt ganz verschiedene Medikamente (unter anderem auch monoklonale Antikörper, wir sprachen schon darüber), mit denen man die Zytokin-Freisetzung hemmen kann. Weltweit wird nun versucht, durch solche Hemmstoffe der ZytokinAusschüttung den Krankheitsverlauf zu verbessern. Gemeinsam mit mehreren anderen deutschen Universitätskliniken wird in Ulm der Hemmstoff Ruxolitinib, der ein für die Zytokin-Ausschüttung wichtiges Enzym hemmt, auf den erhofften therapeutischen Nutzen bei schweren Covid-19-Erkrankungen geprüft.
Wie lange wird es dauern, bis Ergebnisse vorliegen?
Das hängt davon ab, wie viele Patienten an den beteiligten Standorten in den kommenden Wochen in diese Studie eingeschlossen werden können und wie es mit der Kontrollgruppe aussieht. Den möglichen Effekt kann man bei einzelnen Patienten ja relativ rasch sehen. Um die Studie ausgewertet zu beenden, können schon wenige Monate reichen.
Besteht ein Risiko für den Patienten, wenn ein Medikament neu für eine Therapie eingesetzt wird, für die es eigentlich nicht getestet und zugelassen ist?
Der Vorteil ist, dass dieses Medikament bereits einige Zeit bei Blutkrankheiten angewendet worden ist und dass man Nebenwirkungen kennt. Nebenwirkungen sind bei so hochwirksamen Medikamenten immer möglich. Auf diese und gegebenenfalls weitere noch unbekannte Nebenwirkungen muss man in einer derartigen Behandlungsstudie natürlich sehr achten. Wichtig ist, dass die Ärzte, die so eine Studie durchführen, sehr erfahren darin sind. Das ist an der Ulmer Uniklinik der Fall.