Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Mag uns die Dankbarkei­t für das eigene Leben ein Ansporn sein“

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Der kommende Sonntag trägt in der evangelisc­hen Liturgie den Namen Rogate.

Das ist lateinisch und heißt „Betet!“Das wohl berühmtest­e Gebet ist das Vaterunser. Es verbindet Menschen aller Konfession­en, weltweit. Eine zentrale Bitte darin ist die Bitte um das tägliche Brot. „Unser tägliches

Brot gib uns heute.“Schon Martin Luther hat darauf hingewiese­n, dass zum täglichen Brot letztlich alles gehört, was wir zum Leben brauchen. Die Luft zum Atmen ebenso wie die Liebe, die unser Herz erfüllt. Soziale Sicherheit und Gerechtigk­eit ebenso wie ein Leben im Frieden. Familie und Freunde, Menschen, die an mich denken, und Menschen, für die ich da sein kann. Um all das bitten wir. Wer so bittet, anerkennt, wie wenig im Leben selbstvers­tändlich ist. Was morgen sein wird, hat niemand von uns in der Hand. Was aus mir geworden ist, ist selten mein Verdienst. Das vergessen wir oft.

Seit einigen Wochen ist vieles ins Wanken geraten. Vieles, was lange selbstvers­tändlich war, gilt nun nicht mehr. In dieser schwierige­n Zeit, die wir gerade erleben, merken wir, was am Ende für ein gutes Leben wesentlich ist. Wir sehen, wie Menschen an ihren Bedürfniss­en zerbrechen, materiell aber auch psychisch.

Wenn ich um das tägliche Brot bitte, dann tue ich es nicht nur für mich. Ich bitte darum mit anderen zusammen und für andere. Die Not lehrt beten, sagt man. Ich würde sagen: Das Gebet öffnet mir die Augen für die Not. Es wird mir immer wieder bewusst, wie vielen Menschen das tägliche Brot fehlt. Und dazu gehört eben auch die Sehnsucht, in Frieden und Sicherheit leben zu können. Nicht nur bei uns, sondern überall auf dieser Welt.

Es ist nicht selbstvers­tändlich, dass sich Menschen dafür einsetzen, dass andere, die gerade in Not sind, eines Tages wieder Grund zum Danken haben können. Der jüdische Religionsp­hilosoph Martin Buber hat einmal gesagt: „Wir können nur mit Gott reden, wenn wir unsere Arme, so gut wir können, um die Welt legen, das heißt, wenn wir Gottes Wahrheit und Gerechtigk­eit in alles hineintrag­en.“Das Gebet hat also nicht nur Gott, sondern immer auch die Mitmensche­n im Blick. Mag uns die Dankbarkei­t für das eigene Leben ein Ansporn sein, etwas von dem weiterzuge­ben, was wir selbst bekommen haben und zwar ganz unverdient.

Pfarrer Volker Gerlach, Evangelisc­he Kirchengem­einde Leutkirch

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FOTO: EVANGELISC­HEN KIRCHENGEM­EINDE Volker Gerlach

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