Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Es gibt noch eine ganze Menge Leben
Mirjam Woggon und Udo Zepezauer begeistern mit ihrem Programm „Ab durch die Mitte – Midlife-Crisis unerwünscht“in der Leutkircher Festhalle
LEUTKIRCH - Ehrlichkeit ist im Showgeschäft eine überaus rare Münze. Umso mehr berührt der ehrlich wirkende Eingangssatz von Mirjam Woggon „Wir freuen uns sehr, richtige Menschen mit richtigen Geräuschen.“Die Freude war gegenseitig. Das sehr überschaubare Publikum (Begrenzung auf 99 als CoronaAuflage) amüsierte sich beim Programm „Ab durch die Mitte – Midlife-Crisis unerwünscht“in der Festhalle über die Malaisen des Älterwerdens köstlich. Der diesbezüglichen Übelstände sind es ja bekanntlich gar viele.
Mirjam Woggon und Udo Zepezauer amüsierten beim Exkurs über die Wandlungen der Annäherungsversuche im Lauf der Zeit und über die diesbezüglichen Schwierigkeiten, wenn er cool-entspannt für ein Facebook-Foto-posiert und sie fragt: „Hast du einen Schlaganfall?“Das ist witzig und bös auch, gemeinerweise oft auch treffend. Dass bei den sachte verblassten Erinnerungen an anno dunnemals und die Stehblues-Partys die Anbaggerhilfe „Dreams are my Reality“als musikalischer Background lief, verstörte allerdings etwas – aber vielleicht liebten es viele in jungen Jahren wirklich mal so schmalzig-schnulzig. Immerhin rangierte bei der Saalfrage nach ewiggrünen Idolen des verehrten Publikums Peter Kraus auf den vorderen Rängen.
Das Duo jongliert zwischen einfach gestrickten Ernährungstipps – „Ess ich vom Weizen einen Hauch, bläht sich bei mir der ganze Bauch“– und zartbitteren Realismen: „Und dann wacht man auf und stellt fest, dass man seinen Hund mehr liebt als seinen Mann.“Für solche Hundebesitzerinnen stellt sich die ewig junge Frage, ob man sich einen Hund oder einen Mann anschaffen soll: „Ruinier’ ich meinen Teppich oder mein Leben?“Nicht bloß Hundebesitzerin Mirjam hat diese existenzielle Frage der zweiten Lebenshälfte offensichtlich eindeutig pro Hund entschieden.
Etliche, allerdings nur sehr wenige Programmteile sind eher einfach gestrickt. Die Mehrzahl der Gags passt aber haargenau ins richtige Leben, vor allem wenn Udo in bester Richard-David-Precht-Manier den fürsorglichen Lebensberater gibt und das Publikum fragt: Wovon kann man sich in der Mitte des Lebens trennen? Dass als erstes die Antwort „Mann“kam, verwirrt wohl bloß unrettbare Illusionisten. Das mit dem „Bikini“als verzichtbares Accessoire spricht für einen ausgewachsenen Realitätssinn der Damen. Dass und wie Mirjam Woggon das Lebensberater-Geschwurbel in Gebärdensprache übersetzt, ist schlichtweg einsame Klasse. Selten so gelacht! Das rosarote Lebensberater-Fazit passte da wie der Faust aufs Gretchen: „Lachen Sie der Zukunft entgegen, und die Zukunft lacht zurück“. Dass die Zukunft einen ab einem gewissen Alter allerdings auch oft auslacht, quasi den Mittelfinger zeigt, das gehört halt mit dazu zum Älterwerden.
Das Duo tendiert durchaus ab und an auch zu grob gestrickten Humormustern, wobei sowohl Frauen im Klimakterium wie auch Männer im Viagra-Notstand ihr durchaus nicht immer dezent platziertes Fett abkriegten. Die heftig beklatschte, nicht immer ganz raumfüllende musikalische Unterfütterung – von „Dschingis Khan“über Udo Jürgens bis Howard Carpendale – passte ebenso zum Abend wie eine der existenziellen Fragen der Gegenwart: „Warum benützt niemand außer mir die Rettungsgasse?“
Gag as Gag can. Dass auf solche Comedy-Pointen eine feinherbe Elegie über das fraulichen Älterwerden („Ich werd‘ unsichtbar“) folgte, demonstriert die überdurchschnittliche Variationsbreite des Programms, das auch einen Sketch Marke „Kommt 'n Mann zum Arzt“vertrug. Die mehr als positive Reaktion des Publikums spricht für die bestens akzeptierte feine Mischung und die überdurchschnittliche Realitätsnähe, die vor allem in der Ballade von der gestressten Sabine, die zwischen mauligem Sohn, gestresstem Gatten und dementem Vater immer noch vergeblich den Sinn des Lebens sucht. Das frenetisch beklatschte Sabine-Fazit („Macht Euren Scheiß doch alleine“) sprach Bände. So isses.
Die programmatische Frage „Die besten Jahre – wann sind die eigentlich? Mit 20? Mit 30? Ab 40 aufwärts? Oder geht es ab 40 eigentlich nur noch bergab?“musste insofern logischerweise unbeantwortet bleiben, auch wenn Mirjam Woggon gar trefflich die Wandlung von der begehrten Signorina zur allzu respektierten Signora beschrieb. Dass Altwerden nichts für Feiglinge sei, ist nicht bloß eine zu Tode zitierte Erkenntnis diverser Prominenter, sondern vom Kabarett-Duo höchst originell übersetzte Philosophie. Der Zahn der Zeit nagt halt an uns allen. Es ist gar nicht einfach, beinahe zwei Stunden lang zwischen höherem Blödsinn und philosophischer Selbsterkenntnis zu pendeln. Den zweien von der Schwankstelle gelang es über weite Phasen einfach bravourös. Faltenbefall, Potenzprobleme und Haarausfall wurden nicht ausgespart. Die Frage („Was wechselt man in den Wechseljahren? Die Frau, den Mann? Die Haarfarbe? Den Geisteszustand?“) musste allerdings logischerweise auch unbeantwortet bleiben.
Nur eines sollte man wahrlich nicht wechseln, gerade in Tagen wie diesen: So ein Abendprogramm wie das freitägliche der Leutkircher Kleinkunsttage, weshalb der generationsübergreifende Trost kurz vor der Zugabe bestens platziert war: „Wir haben noch lange nicht alles ausprobiert.“Das lässt hoffen. Es gibt noch eine ganze Menge Leben. Probieren wir es aus!