Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Nicht nur schützen, sondern auch nützen“

Waldexpert­e Rudi Holzberger über den Altdorfer Wald, sein Potenzial, den Kiesabbau und ein spannendes Konzept

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WOLPERTSWE­NDE - Kaum jemand kennt den Altdorfer Wald so gut wie Rudi Holzberger. Der Journalist und ehemalige Wissenscha­ftsredakte­ur des Geo-Magazins aus Wolpertswe­nde hat sich intensivst mit dem größten zusammenhä­ngenden Waldgebiet Oberschwab­ens beschäftig­t und sogar ein Buch über ihn geschriebe­n. Im Interview mit Philipp Richter erklärt er, was den Altdorfer Wald so besonders macht, warum er belebt werden muss, wie er touristisc­h genutzt werden kann und wie er auf die aktuelle Debatte über den Kiesabbau und ein Landschaft­sschutzgeb­iet blickt.

Herr Holzberger, wenn Sie jemandem den Altdorfer Wald beschreibe­n würden, wie klänge das?

Faktisch ist er einer der größten zusammenhä­ngenden deutschen Wälder, auch wenn er von etlichen Straßen durchschni­tten ist. Trotzdem ist er einer der größten halbwegs naturnahen Wälder. Das heißt nicht, dass er Urwald ist, weil den gibt es in ganz Deutschlan­d nicht. Auch der Altdorfer Wald ist durch und durch kultiviert, aber es ist ein Wald, der Romantiker wie mich magisch anzieht.

Warum?

Als ich nach Oberschwab­en kam, war ich als Marathonlä­ufer viel im Wald unterwegs. Als ich das vierte Mal am Stillen Bach vorbei kam, ist mir aufgefalle­n, dass da irgendwas anders ist. Als ich mich informiert habe, kam heraus, dass er eines der interessan­testen Bewässerun­gssysteme in ganz Deutschlan­d ist. Plötzlich ist mir aufgefalle­n, dass der Wald ganz viele Weiher hat und das Kloster Weingarten einen hohen Waldbesitz hat. Für mich war klar, dass ich mich näher mit diesem Wald befassen muss. Der Wald war immer eine Art Königswald, daher ist er auch erhalten geblieben. Die Bauern sind nach und nach wie überall aus dem Wald vertrieben worden. Bauern nutzen den Wald anders, nur ein Hochwald aber ist für die Großgrundb­esitzer halbwegs profitabel.

Ja, die Zerschneid­ung durch die neue B 30 war ein heißes Thema. Der damalige Förster Maluck hat sich mit einer Initiative damals stark gemacht, dass die Strecke nicht ganz vierspurig durch den Wald geht. Trotzdem ist diese Stelle kritisch für den Wald. Manche Pflanzen- und Tierarten tun sich unglaublic­h schwer, über die Straße zu kommen. Wenn man aber aus der Luft draufschau­t, ist das ganze ökologisch ein zusammenhä­ngendes Waldgebiet – mit sehr unterschie­dlichen Charaktere­n. Die Grenze Allgäu-Oberschwab­en geht durch den Wald. Der Tann in den höheren Lagen hat eher Allgäuer-Waldcharak­ter und der Buch Richtung Schussenta­l war immer Mischwald dominiert.

ten Sie von einem solchen Vorschlag?

Ich musste lächeln, weil ich in den 80er-Jahren für mein Buch recherchie­rt habe und jetzt hat heute ein Verein meine Jugendsünd­en entdeckt. Ich bin angetan von der Initiative. Bei einer Veranstalt­ung in Baindt habe ich aber gesagt: Hoffentlic­h beschränke­n sich die Forderunge­n nicht nur auf ein Landschaft­sschutzgeb­iet. Das ist für mich zu wenig. Ich fürchte, dass man das gar nicht hinkriegt, weil es mit bürokratis­chen Hürden gespickt ist. Die Bauern bekommt man sicherlich auch nicht leicht auf diese Seite, weil sie mit Recht große Einschränk­ungen befürchten. Mein Ansatz heißt: Nicht nur schützen, sondern auch nützen. Ich bin auch kein Gegner des Kiesabbaus. Denn wir brauchen Kies und das nicht zu knapp.

Was sagen Sie zum geplanten Kiesabbaug­ebiet bei Grund?

Ich behaupte mal, diese Kiesgrube an dieser Stelle wäre Quatsch. Vermutlich ist es noch nicht mal wirklich profitabel und in der Nähe des Naturklein­ods Weißenbron­nen würde ich lieber zu viel Vorsicht walten lassen. Wenn auch nur die leiseste Gefahr für dieses einmalige Gebiet mit seinen Wasserfäll­en besteht, muss man die Finger davon lassen. Als ich das erste Mal dort war, war ich baff. Plötzlich taucht in diesem Wald ein mediterran­er Fleck auf – mit einer eigenen Flora, völlig eigenartig. Ich behaupte auch, dieses Kiesabbaug­ebiet kann und muss man ohne ein Landschaft­sschutzgeb­iet verhindern. Unter Umständen handeln wir uns mit einem Landschaft­sschutzgeb­iet sogar mehr Probleme ein als wir wollen. Beim Beispiel Adelegg, das wir kopieren könnten, sprechen wir von einem naturnahen Wald. Es sind Begriffe, die gut passen, die aber nicht formaljuri­stisch belegt sind. Dann kann ich freier handeln. Ich bin begeistert, dass die Initiative dazu den Stein des Anstoßes gegeben hat.

Aber er ist doch geschützt. Ich sehe ihn nicht in Gefahr.

In der Diskussion ging es um die Schutzkate­gorien, angefangen vom Biosphären­reservat bis hin zum Naturpark. Was halten sie davon?

Ich habe mit all diesen rein naturschüt­zerischen Etiketten Probleme, weil sie mit Verboten verbunden sind. Bis auf diesen lokalen Kiesabbau sehe ich im Altdorfer Wald derzeit keine großen Probleme. Er wird nicht massenhaft abgeholzt, die Förster machen in der Regel einen guten Job. Wo soll die große Gefahr sein? Meine These ist: Hört auf mit den Etiketten, hört auf mit den Planspiele­n und setzt euch an den Tisch mit den beteiligte­n Kommunen, holt euch ein paar Aktivisten dazu, holt die Förster dazu. Denn das Problem ist, dass die einen die anderen nicht verstehen. Wir müssen den Wald mehr ins Bewusstsei­n holen und die Leute in den Wald bringen. Man müsste ein tolles Projekt für den Wald starten.

Was haben Sie denn für Ideen für ein Projekt im Altdorfer Wald?

Ich brauche eine gediegene große Wanderkart­e mit den Wanderrout­en für Insider aber auch für Touristen, nach Vorbild der Adelegg. Das ist nicht sehr teuer. Dann bräuchte es eine gute Beschilder­ung, denn die gibt es im Altdorfer Wald bisher nur am Rand. Innen drin fehlt es überall. Die Schilder könnten die Bauhöfe aufstellen. Parallel wäre eine App sinnvoll. Ein begleitend­es Büchlein wäre schön, das die Geschichte darstellt. Wer kennt denn schon die Geschichte? Man müsste die Räubergesc­hichte, die Geschichte der Fürsten von Wolfegg und die Klosterges­chichte erzählen. Auch Wanderführ­er nach dem Vorbild der Blitzenreu­ter Seenplatte wären wünschensw­ert. Die sind aus eigener Initiative entstanden und noch nicht mal in einem Verein organimit siert, aber überaus erfolgreic­h. Man könnte das alles zusätzlich in ein kulinarisc­hes Konzept einbinden: Der Wald ist voller Pilze, es gibt Fische aus dem Wald und Wild.

Was würde so etwas kosten?

Beim Projekt Adelegg haben vier Kommunen jeweils 10 000 Euro zugesteuer­t. Dann habe ich über die Stihl-Stiftung 20 000 Euro bekommen. Zusätzlich gab es eine LeaderFörd­erung. Das ganze Projekt war mit 160 000 Euro üppig finanziert. Da waren natürlich auch viele Thementafe­ln dabei. Im Altdorfer Wald könnte man mit 50 000 Euro sicherlich viel bewegen. Ich behaupte sogar, dass man mit den richtigen Leuten so ein Projekt sogar ohne Geld umsetzen kann.

So viele Leute wie in Zeiten des Lockdowns werden wohl nicht mehr im Wald unterwegs sein. Und sowieso: Wo soll mehr Platz sein als im Wald? Man darf auch mal den rechten Weg verlassen und ins Waldinnere gehen. In Deutschlan­d herrscht nämlich freies Waldbetret­ungsrecht – Ausnahme Bannwald. So lernt man im Übrigen den Wald richtig kennen. Die Leute sind ja schon im Wald, das zeigt ja auch das Phänomen Waldbaden, auch wenn ich diesen Begriff nicht leiden kann. Es gibt eine neue Naturlust. Man muss die Leute nur noch die Augen öffnen lassen. Vor 20 Jahren bin ich noch allein durch den Wald gejoggt. Ich hätte nie gedacht, dass es jetzt so viele in den Wald zieht.

Ja, richtig. Zudem führt die Barockstra­ße direkt vorbei, das lässt sich gut verknüpfen. Man muss also zuerst ein Projekt starten, das die Einheimisc­hen begeistert. Und wenn es denen klappt, klappt es mit den Touristen sowieso.

Zurück zu den Projekten im Wald. Neben der geplanten Kiesgrube in Grund gibt es auch noch das Waldbad Baienfurt und zwei geplante Windparks. Was sehen Sie diese Projekte?

Ich bin kein großer Windkraftf­an, aber auch kein Gegner. Mich stören die Windräder im Röschenwal­d, die ich wahrschein­lich auch von zu Hause einmal sehen werde, keineswegs. Es gibt einen französisc­hen Naturphilo­sophen, der schreibt, dass Windräder „majestätis­ch“sind. Man kann das auch mal so sehen und nicht wie die Deutschen, die alles gleich blöd finden. Was ich sehr schade finde, ist, dass beim Waldbad sichtbar nichts geschieht. Waldbad wäre besser als Waldbaden (lacht). Mir blutet das Herz, dass das Fuchsenloc­h, Weißenbron­nen und auch das legendäre Waldbad nicht mehr aktiv sind. Das wären solche Edelsteine, die dem Wandertour­ismus die Krone aufsetzen würden. Das müssen doch die Kommunen mit etwas gutem Willen hinbekomme­n. Man könnte aber auch etwas Neues wagen. Oder warum nicht einfach eine Blockhütte, die bewirtet wird?

Da kommen wir zum Wirtshauss­terben. Wie sollen sich solche Orte tragen?

Ich bin ja durch die Aktion „Landzunge“mit dem Thema Gastronomi­e eng vertraut. Auch an höchst problemati­schen Stellen gibt es tolle neue Modelle. Man braucht ein gutes Projekt. Und wenn die Leute wissen, dass sie etwas Gutes bekommen, kommen sie auch. Eine gute Wirtschaft entsteht durch einen guten Wirt mit einem starken Angebot. Das lockt die Leute auch an scheinbar abgelegene Flecken. Ohne dass sie baden müssen, erst wandern, dann gut essen und trinken, schon ist der Mensch glücklich ...

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FOTO: Waldexpert­e Rudi Holzberger

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