Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Ein Leben für die Bergwacht
Seit 100 Jahren gibt’s die Organisation in Bayern – Oberallgäuer Otto Möslang ist seit fast 55 Jahren dabei
IMMENSTADT - Eigentlich ist Otto Möslang aus dem Oberallgäuer Blaichach, früher beruflich als Maschinenbauer tätig, schon seit 14 Jahren im Ruhestand. Doch dieser Begriff ist für den 74-Jährigen ein Fremdwort. Denn als Vorsitzender der Bayerischen Bergwacht arbeitet er wöchentlich über 30 Stunden ehrenamtlich für die Organisation, die vor gut 100 Jahren gegründet wurde: Am 14. Juni 1920 hatten im Münchner Hofbräuhaus Bergfreunde einen Verein aus der Taufe gehoben, „um Sitte und den Anstand im Gebirge wiederherzustellen“.
Die Zustände nach dem Ersten Weltkrieg in den Bergen mit Wilderei, Hütteneinbrüchen sowie Viehund Holzdiebstählen veranlassten die Gründer, sich zusammenzuschließen zum „Schutz des Berges vor den Menschen“. Zuerst in München, dann auch im Allgäu. Die Geburtsstunde der Allgäuer Bergwacht schlug am 8. Juni 1923. Im Café Kohlhund in Immenstadt wurde sie gegründet. Und bereits im
September dieses Jahres gab es sieben Ortsgruppen: Blaichach, Hindelang, Immenstadt, Kaufbeuren, Oberstaufen, Oberstdorf und Sonthofen.
Im Laufe der Jahrzehnte wandelte sich die Organisation: Waren ursprünglich Schutz und Erhalt der Bergwelt die wichtigsten Aufgaben, so trat bald die Rettung von verunglückten Wanderern und Bergsteigern mehr und mehr in den Vordergrund.
Es war irgendwann Ende 1965, als Otto Möslang aus Blaichach sich für die Allgäuer Bergwacht zu interessieren begann. In einem Inserat in unserer Zeitung hatte er gelesen, dass dort Freiwillige gesucht werden. So trat er schließlich zum 1. Januar 1966 in die Bergwacht ein und hatte schon zum Jahresende die Ausbildung abgeschlossen. Seitdem ist er in der Bergwacht bis heute in vielen Funktionen tätig gewesen: unter anderem als Bereitschaftsleiter in Immenstadt, als Ausbildungsleiter für das ganze Allgäu, als Landesausbilder und seit 2017 als Vorsitzender der Bayewenn rischen Bergwacht. „In den ersten Jahren waren wir im Winter noch mit dem Hörnerschlitten unterwegs“, erzählt Möslang. Die Patienten seien auf den Schlitten gepackt und ins Tal gezogen worden. Dann begann die Luftrettung, später die Vermisstensuche mit Drohnen im Einsatz. Die Rettungsmethoden wurden immer ausgefeilter, die Technik immer besser.
Was bleibt, ist der Mensch, „und der steht bei uns im Mittelpunkt“, sagt Möslang. Egal, ob Unglück oder Leichtsinn: „Wir sind Retter, keine Richter.“Deswegen halte sich die Bergwacht auch zunehmend zurück, wenn es ums Kommentieren von Bergunfällen geht, wenn Geretteten in der Öffentlichkeit Leichtsinn vorgeworfen wird. Auch den Zeigefinger zu erheben und zu mahnen, gehöre nicht zu den Aufgaben der Organisation.
Und doch weiß Möslang genau: Eine gewisse Vollkasko-Mentalität greife immer mehr um sich. Im Notfall ließen sich Wanderer oder Bergsteiger eben ausfliegen. Weil sie eine sogenannte „Blockade“haben und am Berg weder vor- noch zurückkommen. „Jeder Bergrettungseinsatz ist eine neue Erfahrung“, sagt Möslang. Wie oft er bei Wind und Wetter draußen war, um Menschen im Gebirge zu retten, weiß er selbst nicht. Aber er ist überzeugt: Bei Regen, Schneefall, Hagel, Blitz und Donner, Lawinen und Steinschlag unterwegs zu sein, „das schweißt zusammen“. In solchen Situationen müsse sich jeder auf den anderen verlassen können. So seien tiefe Freundschaften entstanden.
In den Bergen liegen Freud und Leid oft eng beieinander: Bergwachtler können über einen geglückten Rettungseinsatz erleichtert sein oder aber trauern, wenn Verunglückte nur noch tot geborgen werden. „Besonders schlimm ist das natürlich dann,
Du einen Verunglückten selbst gekannt hast“, sagt Möslang.
Im vergangenen Jahr gab es für die Bayerische Bergwacht so viele Einsätze wie nie zuvor: 8976 waren es insgesamt. „Die Sommer-Einsatzzahlen
haben sich in den vergangenen zehn Jahren in etwa verdoppelt“, sagt Möslang. Das hänge natürlich auch mit dem Bergboom zusammen – heute seien weit mehr junge Leute beim Wandern als früher. Im Winter haben die Rodelunfälle bayernweit deutlich zugenommen. Eher selten waren spektakuläre Alpinunfälle in diesem Sommer – trotz des Wanderbooms wegen Corona. „Der Berg war gnädig“, zieht Möslang eine Bilanz.