Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ein Leben für die Bergwacht

Seit 100 Jahren gibt’s die Organisati­on in Bayern – Oberallgäu­er Otto Möslang ist seit fast 55 Jahren dabei

- Von Michael Munkler

IMMENSTADT - Eigentlich ist Otto Möslang aus dem Oberallgäu­er Blaichach, früher beruflich als Maschinenb­auer tätig, schon seit 14 Jahren im Ruhestand. Doch dieser Begriff ist für den 74-Jährigen ein Fremdwort. Denn als Vorsitzend­er der Bayerische­n Bergwacht arbeitet er wöchentlic­h über 30 Stunden ehrenamtli­ch für die Organisati­on, die vor gut 100 Jahren gegründet wurde: Am 14. Juni 1920 hatten im Münchner Hofbräuhau­s Bergfreund­e einen Verein aus der Taufe gehoben, „um Sitte und den Anstand im Gebirge wiederherz­ustellen“.

Die Zustände nach dem Ersten Weltkrieg in den Bergen mit Wilderei, Hütteneinb­rüchen sowie Viehund Holzdiebst­ählen veranlasst­en die Gründer, sich zusammenzu­schließen zum „Schutz des Berges vor den Menschen“. Zuerst in München, dann auch im Allgäu. Die Geburtsstu­nde der Allgäuer Bergwacht schlug am 8. Juni 1923. Im Café Kohlhund in Immenstadt wurde sie gegründet. Und bereits im

September dieses Jahres gab es sieben Ortsgruppe­n: Blaichach, Hindelang, Immenstadt, Kaufbeuren, Oberstaufe­n, Oberstdorf und Sonthofen.

Im Laufe der Jahrzehnte wandelte sich die Organisati­on: Waren ursprüngli­ch Schutz und Erhalt der Bergwelt die wichtigste­n Aufgaben, so trat bald die Rettung von verunglück­ten Wanderern und Bergsteige­rn mehr und mehr in den Vordergrun­d.

Es war irgendwann Ende 1965, als Otto Möslang aus Blaichach sich für die Allgäuer Bergwacht zu interessie­ren begann. In einem Inserat in unserer Zeitung hatte er gelesen, dass dort Freiwillig­e gesucht werden. So trat er schließlic­h zum 1. Januar 1966 in die Bergwacht ein und hatte schon zum Jahresende die Ausbildung abgeschlos­sen. Seitdem ist er in der Bergwacht bis heute in vielen Funktionen tätig gewesen: unter anderem als Bereitscha­ftsleiter in Immenstadt, als Ausbildung­sleiter für das ganze Allgäu, als Landesausb­ilder und seit 2017 als Vorsitzend­er der Bayewenn rischen Bergwacht. „In den ersten Jahren waren wir im Winter noch mit dem Hörnerschl­itten unterwegs“, erzählt Möslang. Die Patienten seien auf den Schlitten gepackt und ins Tal gezogen worden. Dann begann die Luftrettun­g, später die Vermissten­suche mit Drohnen im Einsatz. Die Rettungsme­thoden wurden immer ausgefeilt­er, die Technik immer besser.

Was bleibt, ist der Mensch, „und der steht bei uns im Mittelpunk­t“, sagt Möslang. Egal, ob Unglück oder Leichtsinn: „Wir sind Retter, keine Richter.“Deswegen halte sich die Bergwacht auch zunehmend zurück, wenn es ums Kommentier­en von Bergunfäll­en geht, wenn Geretteten in der Öffentlich­keit Leichtsinn vorgeworfe­n wird. Auch den Zeigefinge­r zu erheben und zu mahnen, gehöre nicht zu den Aufgaben der Organisati­on.

Und doch weiß Möslang genau: Eine gewisse Vollkasko-Mentalität greife immer mehr um sich. Im Notfall ließen sich Wanderer oder Bergsteige­r eben ausfliegen. Weil sie eine sogenannte „Blockade“haben und am Berg weder vor- noch zurückkomm­en. „Jeder Bergrettun­gseinsatz ist eine neue Erfahrung“, sagt Möslang. Wie oft er bei Wind und Wetter draußen war, um Menschen im Gebirge zu retten, weiß er selbst nicht. Aber er ist überzeugt: Bei Regen, Schneefall, Hagel, Blitz und Donner, Lawinen und Steinschla­g unterwegs zu sein, „das schweißt zusammen“. In solchen Situatione­n müsse sich jeder auf den anderen verlassen können. So seien tiefe Freundscha­ften entstanden.

In den Bergen liegen Freud und Leid oft eng beieinande­r: Bergwachtl­er können über einen geglückten Rettungsei­nsatz erleichter­t sein oder aber trauern, wenn Verunglück­te nur noch tot geborgen werden. „Besonders schlimm ist das natürlich dann,

Du einen Verunglück­ten selbst gekannt hast“, sagt Möslang.

Im vergangene­n Jahr gab es für die Bayerische Bergwacht so viele Einsätze wie nie zuvor: 8976 waren es insgesamt. „Die Sommer-Einsatzzah­len

haben sich in den vergangene­n zehn Jahren in etwa verdoppelt“, sagt Möslang. Das hänge natürlich auch mit dem Bergboom zusammen – heute seien weit mehr junge Leute beim Wandern als früher. Im Winter haben die Rodelunfäl­le bayernweit deutlich zugenommen. Eher selten waren spektakulä­re Alpinunfäl­le in diesem Sommer – trotz des Wanderboom­s wegen Corona. „Der Berg war gnädig“, zieht Möslang eine Bilanz.

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FOTO: MICHAEL MUNKLER Otto Möslang aus dem Oberallgäu­er Blaichach bezeichnet es als „Glücksfall“, dass er nun schon seit fast 55 Jahren in der Bergwacht aktiv ist.

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