Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Zum Zocken in die gute Stube Kemptens?
In der Klostersteige will ein Wettbüro eröffnen – Stadträte fürchten, dass ein Spielbetrieb die gehütete Einkaufsmeile abwertet
KEMPTEN - Sportwetten werden immer beliebter. Bekannte Anbieter heißen „tipico“oder „b-win“. Mit ihren Agenturen drängen sie mehr und mehr in die Innenstädte. Einen entsprechenden Bauantrag gibt es jetzt auch für ein Geschäft in der Kemptener Fußgängerzone. Ablehnend reagierten darauf die Stadträte im Bauausschuss. Rechtlich ist die Lage indes verzwickt.
„Der Schuh“war lange Zeit zu Hause in der Klostersteige 8. Doch seit Ende 2019 steht der Laden leer. Die Einzelhandelsfläche soll nun umgenutzt werden in ein Wettbüro.
„Solche Spielbetriebe haben nichts verloren im Kernbereich der Fußgängerzone“, sagte Erwin Hagenmaier (CSU). „Unvorstellbar“ist für ihn an dieser Stelle der Anblick folierter Schaufenster, wie sie in ähnlichen Lokalen die Spieler üblicherweise vor den Blicken der Passanten schützen. Hans-Peter Hartmann (Freie Wähler/ÜP) sicht das ähnlich. Er überlegte, ob man den Betreibern mit eingeschränkten Öffnungszeiten „Handschellen“anlegen könnte. Ein Alkoholverbot brachte sein Fraktionskollege Alexander Buck ins Gespräch. Und Wolfgang Hennig (SPD) wollte über Stellplatz-Forderungen einen Hebel ansetzen.
In der Verwaltung haben sich die Experten aus Stadtplanung, Ordnungsamt und Baureferat dazu bereits Gedanken gemacht. Demnach hat der Antragsteller gute Karten. Vergnügungsstätten seien im Mischgebiet bis zu einer gewissen Größe zulässig – die beantragten 72 Quadratmeter Fläche lägen unterhalb der Grenze. Öffnungszeiten von 10 bis 23 Uhr akzeptiere der Gesetzgeber. Alkohol soll ohnehin keiner fließen. Und die Parkplatzfrage könnten die Betreiber mit der Ablösung eines Stellplatzes regeln. Dies abzulehnen, komme wegen des zu erwartenden geringen Verkehrs nicht in Betracht. Lediglich Werbeanlagen seien eigens zu betrachten. Das Ensemble genieße in Teilen Denkmalschutz.
In der Nachbarschaft wird das Vorhaben ebenfalls beäugt. „Natürlich
wäre mir ein feines Einzelhandelsgeschäft oder ein Café dort lieber“, sagt Annette Pickert, Geschäftsführerin des Traditionshauses Staehlin in unmittelbarer Nähe. Aus ihren Vorstands-Aktivitäten im Citymanagement und im Handelsverband Schwaben kennt sie die Diskussion. Auch in anderen Städten fürchte man eine Abwertung bester Lagen. Doch die gebeutelten Einzelhändler könnten die hohen Gewerbemieten kaum noch zahlen.
Eigentümer Lutz Lehner wohnt selbst im Haus. Er sieht den „tipico“Franchisenehmer zunächst als erfahrenen, solventen Mieter. Dessen Kunden verhielten sich an anderen Standorten in Süddeutschland problemlos. „Das ist doch allemal besser, als ein Euro-Shop oder ein Massage-Salon“, sagt Lehner. Und Wettleidenschaft habe nichts mit dem sozialen Stand der Menschen zu tun: „In England gibt der Bankdirektor genauso seinen Tipp ab.“Auch in Kempten werde sich die Innenstadt wegentwickeln vom Einkaufsschwerpunkt, weil Shoppen übers Internet funktioniere.
„Wir sehen die Gefahr schädigender Folgewirkungen“, sagt Oberbürgermeister Thomas Kiechle. Ein Wettbüro konterkariere die Bemühungen, den Einzelhandel im Zentrum zu schützen. Aber: „Baurechtlich ist das genau abzuwägen, das ist ein sensibler Bereich.“
Erst vor Kurzem wurde der Glücksspiel-Staatsvertrag neu geschlossen – mit gewissen Erleichterungen für die Ansiedlung von Wettbüros. Warnungen vor der Suchtgefahr für Spieler spielten dabei nicht die entscheidende Rolle.
Auf Hans-Peter Hartmanns Antrag hin wurde eine Entscheidung vertagt. Ein Ortstermin soll weitere Informationen liefern. Bis dahin soll abgefragt werden, wie die Gestaltung des Lokals gedacht ist. Auch das Gespräch mit dem Eigentümer will die Verwaltung suchen. Einen Appell an die „Verantwortung für das Funktionieren eines Gemeinwesens“kann sich der OB vorstellen: „Es ist nicht immer der letzte eingenommene Euro, der sich auszahlt.“