Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Amerika vor Zerreißprobe
Trump zweifelt Rechtmäßigkeit der Präsidentenwahl an – Biden liegt vorn – Ausgang ungewiss
WASHINGTON/BERLIN - Ein offener Wahlausgang und ein Präsident, der sich vorzeitig zum Sieger erklärt: Am Tag nach der US-Präsidentschaftswahl hat Amtsinhaber Donald Trump sein Land an den Rand einer politischen Krise gebracht, indem er die Rechtschaffenheit der Abstimmung anzweifelte. In einem bisher beispiellosen Schritt kündigte er nach Schließung der Wahllokale an, die noch laufende Stimmauszählung gerichtlich stoppen lassen zu wollen. Das Team von Herausforderer Joe Biden sprach von einem Skandal.
Bei der Stimmenauszählung hatten sich am Mittwoch leichte Vorteile für den Herausforderer Joe Biden abgezeichnet. Insgesamt schnitt der 74 Jahre alte Trump jedoch deutlich besser ab als nach den Umfragen erwartet. Der drei Jahre ältere Biden verfehlte den von den Demokraten erhofften klaren Wahlsieg und musste sich unter anderem in Florida und Texas dem republikanischen Präsidenten geschlagen geben. Gespannt wurde die Auszählung in mehreren Staaten im Mittleren Westen und im Süden verfolgt. Am Abend MEZ meldeten Medien einen wichtigen Sieg Bidens in Wisconsin. Im hart umkämpften Industriestaat Pennsylvania lag Trump vorn, allerdings war dort ein Großteil der Briefwählerstimmen noch nicht ausgezählt. Der US-Präsident wird nicht direkt von den Bürgern gewählt, sondern von Wahlleuten. Für den Einzug ins Weiße Haus sind 270 Stimmen nötig.
„Offen gesagt, wir haben diese Wahl gewonnen“, sagte Trump im Weißen Haus, obwohl der Ausgang der Wahl noch völlig unklar war. Der Amtsinhaber sprach von angeblichem „Betrug an der Nation“bei der Wahl. „Wir werden vor den Supreme Court ziehen. Wir wollen, dass alles Wählen endet.“Später legte Trump nach, auf Twitter prangerte er ein angebliches „Verschwinden“republikanischer Wählerstimmen an.
In Deutschland riefen die Reaktionen des Präsidenten auf das knappe Zwischenergebnis Empörung hervor. Politiker aus Koalition und Opposition warfen Trump einen Angriff auf die Demokratie vor. Verteidigungsministerin Annegret KrampKarrenbauer (CDU) nannte die unklare Situation „sehr explosiv“und sprach von einer „Schlacht um die Legitimität des Ergebnisses“.
Agnieszka Brugger aus Ravensburg, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, sagte der „Schwäbischen Zeitung“, mit seinem Verhalten trete Trump die Grundprinzipien der Demokratie mit Füßen. „Gerade jetzt braucht es mehr denn je eine Europäische Union, die sich für Demokratie, Menschenrechte und internationale Zusammenarbeit einsetzt“, so Brugger weiter.
Die Bundesregierung wollte sich angesichts des ungewissen Ergebnisses zunächst nicht zur Wahl äußern. Der CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter sagte hingegen im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“: „Ich baue nun auf die Gewaltenteilung in den USA, die ,Checks and Balances’. Aber klar ist auch: Vor uns liegen turbulente Wochen.“
Das befürchten auch Ökonomen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erklärte, eine länger andauernde Unsicherheit oder Auseinandersetzungen über die Legitimität der Wahl, würden ein Führungsvakuum in den USA schaffen, das für die US- und die Weltwirtschaft kritische Folgen hätte.
Weniger ungewiss sieht die Lage bei den gleichzeitigen Kongresswahlen aus, im Repräsentantenhaus konnten die Demokraten Prognosen zufolge ihre Mehrheit verteidigen, erlitten aber einen schweren Dämpfer im Kampf um den Senat.