Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kinder in der Natur erziehen
Bad Wurzach will einen Waldkindergarten errichten – Diese Bedenken hat der Gemeinderat
BAD WURZACH - „Ein tolles Projekt“: Einstimmig hat der Gemeinderat der Stadt Bad Wurzach am Montag die Errichtung eines Waldkindergartens beschlossen. Bis zu 20 Kinder sollen darin ab dem Kindergartenjahr 2021/ 2022 betreut werden.
Mit hörbar großer Begeisterung trug Julia Ritter die Pläne dem Gremium im Kursaal vor. Die Bad Waldseerin ist seit 1. Juli neue Mitarbeiterin im Fachbereich Bildung/Betreuung/Kultur. „Kindergärten sind seit 20 Jahren meine Passion“, stellte sie sich dem Rat vor. 16 Jahre lang habe sie verschiedene kirchliche und kommunale Einrichtungen geleitet und sich zuletzt mit einer Kinderkrippe in Bad Waldsee selbstständig gemacht.
Mit einem Waldkindergarten will die Stadt Bad Wurzach vor allen Dingen seine Angebotsvielfalt auf diesem Gebiet erweitern. Und das mit einem naturpädagogischen Ansatz, der sich hervorragend in das Gesamtkonzept der Stadt auf diesem Gebiet einfügt. Studien bewiesen, so trug Ritter vor, dass Kinder aus Waldkindergärten ausgeprägte motorische Fähigkeiten besitzen, ein hohes Maß an Stress-Widerstandskraft sowie eine ausgeglichene seelische und körperliche Konstitution mitbringen.
Im Gegensatz zu konventionellen Einrichtungen halten sich die Kinder und ihre Erzieherinnen den ganzen Tag über im Freien auf. Aktivitäten dort finden bei nahezu jeder Witterung statt. Ein beheizbarer Bauwagen ist nur für Extremsituationen vorgesehen. Handelsübliche Spielzeuge gibt es nicht, gespielt wird mit dem, was in der Natur gefunden wird. Geöffnet wird der Kindergarten vormittags, insgesamt 30 Stunden pro Woche. Betreut werden die Kinder von zwei Erzieherinnen und eventuell einer Praktikantin.
Als Standort hat die Verwaltung gemeinsam mit dem Forstamt und dessen hiesigen Revierleiter Andreas Kurth (Ritter: „Er brennt für diese Sache.“) eine Waldwiese an der Wengenreuter Straße ausgesucht. Dort gebe es eine abwechslungsreiche Bewaldung, genug Platz, um einen beheizbaren Bauwagen mit ausreichend Abstand zu den Bäumen aufzustellen, eine gute Zufahrt für Eltern, Rettungswagen und Schneepflug sowie einen guten Handyempfang.
Die Stadträtinnen und Stadträte stellten sich einhellig hinter das Konzept. „Super und toll“nannte es Armin Willburger (FW), Klaus Schütt (CDU) freute sich über einen „tollen Platz dafür“, Silvia Schmid (CDU) nannte die Pläne „großartig“, und Sibylle Allgaier (CDU) sagte: „Da freu’ ich mich drauf.“
Das Haar in der Suppe ist für den Gemeinderat die Löschwasserversorgung, vielmehr die Kosten dafür. Grundsätzlich ist der Waldkindergarten zwar eine finanziell günstige Lösung, um die Platzknappheit in den bestehenden Einrichtungen zu entschärfen. 100 000 Euro hat die Verwaltung als Investition angesetzt. Ein An- oder gar Neubau würde ein Vielfaches dieser Summe kosten. Die Betriebskosten liegen mit 4500 Euro pro Jahr und Kind in etwa auf dem Niveau eines üblichen Kindergartens.
Indes verschlingt der Bau einer Löschwasserzisterne mit einem Volumen von 30 Kubikmetern alleine 42 500 Euro. Mehrere Ratsmitglieder bezweifeln, dass diese Zisterne notwendig ist. 200 Meter von der Wiese entfernt befinde sich ein Teich, so Willburger. Norbert Fesseler (FW), der auch stellvertretender Kreisbrandmeister ist, verwies darauf, dass in Wilhelmsdorf und Leutkirch der Brandschutz über wasserführende Löschfahrzeuge, wie sie auch Bad Wurzach und Seibranz haben, gewährleistet werde. Und Bernhard Schad, auch er Feuerwehrmann, meinte zugespitzt, der Bauwagen sei im Ernstfall sowieso längst abgebrannt, bis die Feuerwehr eintreffe, und ihn abzulöschen schaffe man dann auch mit den wasserführenden Fahrzeugen. „Eine Zisterne sollten wir nur bauen, wenn’s eine knallharte Vorschrift ist.“
Eine solche ist es nach derzeitigem Kenntnisstand der Verwaltung, wie Stadtbaumeister Matthäus Rude und sein Mitarbeiter Andreas Haufler betonten. „Da oben gibt’s kein Wassernetz, und der Weiher ist nicht ganzjährig anfahrbar“, so Haufler.
„Die Zisterne ist erforderlich und nicht nur gewünscht“, so Rude.
Sorgen machen sich Klaus Schütt und Yvonne Reich (CDU) zudem um die Verkehrssituation. „Schon vor normalen Kindergärten herrscht Verkehrschaos“, sagte Schütt. „Wenn da oben 20 Eltern mit 20 Autos ihre Kinder bringen und abholen, haben die nie Platz.“Vorgesehen ist als Parkmöglichkeit bislang aber nur der der Wiese gegenüberliegende Waldweg.
Julia Ritter entgegnete auf diese Bedenken, dass die Bring- und Holzeiten länger als üblich seien. Zudem könnte man auf der Wiesenseite der Straße auch noch eine Parkbucht bauen. „Das ist der Joker, den wir in der Hinterhand haben.“
Yvonne Reich gab zu bedenken, dass zum einen auf der Wengenreuter Straße auch Lkw-Verkehr herrsche und es dort zum anderen bisher nur einen eingeschränkten Winterdienst gebe. „Das Problem des Winterdiensts wird natürlich gelöst“, sicherte Bürgermeisterin Alexandra Scherer (CDU) zu. Eine Gefährdung der Kinder durch den Verkehr sieht sie nicht, da der Bauwagen relativ weit weg von der Straße, auf der der Straße abgewandten Seite der Wiese steht. Aber die Stadt werde sich trotzdem für ein Tempolimit auf diesem Straßenabschnitt, der dort eine lange, gut einsehbare Gerade ist, einsetzen. Dafür sieht sie auch gute Chancen.
Auf Nachfragen von Hermann
Müller (CDU) und Franz-Josef Maier (MW) erläuterte Julia Ritter noch einige Teilaspekte des Waldkindergartens. So wird in der Kindergartenordnung ausdrücklich auf Risiken wie Zeckenbisse hingewiesen. Strom gewinnt man über ein Solarpaneel, Wasser zum Beispiel zum Händewaschen über einen Auffangbehälter für Regenwasser sowie über einen Frischwassertank. Trinkwasser müssen die Kinder selbst mitbringen. Der Bauwagen ist acht mal zwei Meter groß. Ausgestattet ist er mit einem Tisch und Bänken, auf denen laut Ritter die Kinder alle Platz haben, einem Gas- oder Holzofen samt Schutzgitter sowie Kisten für Utensilien der Kinder und der Erzieherinnen.
Dass entlang der Wengenreuter Straße viele Krötenwanderungen stattfinden, darauf wies Sibylle Allgaier hin. Dies, so die Bürgermeisterin, werde beachtet und im Verlauf des Baugenehmigungsverfahrens mit den Naturschutzbehörden abgeklärt.
Personal zu suchen, sei nun die große Aufgabe der Verwaltung, sagte Scherer. Sie hoffe aber, dass es bei einer solchen Einrichtung leichter ist als bei normalen Kindergärten. Tatsächlich liegen laut Julia Ritter auch bereits Bewerbungen von zwei Naturpädagoginnen vor.
All die Bedenken dämpften die Vorfreude des Gremiums auf die neue Einrichtung nicht. Der Grundsatzbeschluss wurde einstimmig ohne Enthaltung gefasst.