Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Das Virus geht, die Fragen bleiben
Wie es den erkrankten Lindau Islanders geht und wie ein Virologe die aktuelle Situation einschätzt
LINDAU - Ein bisschen Husten, eine leichte Schnupfnase – mehr ist es nicht, was Sascha Paul von seiner Covid-19-Erkrankung spürt. Und dennoch geht es dem Sportlichen Leiter und Co-Trainer des Eishockey-Oberligisten EV Lindau Islanders derzeit alles andere als gut. Zu sehr beschäftigt ihn die schwierige Situation in seinem Club und in der Oberliga Süd. Nach einem ersten Verdachtsfall am Dienstag wurde am Freitag das wirkliche Ausmaß der Krise bekannt: Alle 20 Spieler plus Sascha Paul wurden positiv auf das Coronavirus getestet und sofort in Quarantäne geschickt.
Die gute Nachricht: „Die meisten haben keine oder nur leichte Symptome. Nur manche haben eine Art schwere Grippe und Schüttelfrost. Es sind aber durchweg alle auf dem Weg der Besserung“, sagt Paul, dem es selbst den Umständen entsprechend gut geht. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wie konnte es passieren, dass sich eine ganze Mannschaft infiziert? „Natürlich macht man sich Gedanken. Aber wir wissen nicht, wo es herkommt“, sagt der Sportliche Leiter und betont, dass das Team alle Vorgaben vonseiten des Gesundheitsamts und des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) stets eingehalten habe. „Wir haben unser Konzept sogar selber noch mal verschärft. Es sitzen maximal sechs Spieler in einer Kabine – natürlich mit ausreichend Abstand. Abseits des Eises tragen alle eine Maske.“
Auch das Gesundheitsamt des Landkreises Lindau kann kein Licht ins Dunkel bringen. „Wir geben zu einzelnen Infektionsgeschehen keine Auskünfte“, teilt das Amt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Klar sei aber, dass die Behörde durch derartige Massenausbrüche vor extreme Herausforderungen gestellt wird: „Generell ist es so, dass Infektionsgeschehen mit vielen Betroffenen unser Gesundheitsamt stark fordert, da innerhalb kürzester Zeit viele Menschen erreicht, befragt und gegebenenfalls unter Quarantäne gestellt werden müssen.“
Bislang gingen mehrere, meist von den Sportverbänden herausgegebene Studien davon aus, dass eine Ansteckungsgefahr beim Sport relativ gering sei – insbesondere beim Eishockey, wo die Spieler in einer Ganzkörpermontur inklusive Helm mit Visier und Handschuhen stecken. Die aktuelle Situation in der Oberliga Süd legt jedoch den Verdacht nahe, dass eine Übertragung beim Sport durchaus möglich ist. Schließlich wurden auch bei beiden jüngsten Lindauer Gegnern, den HC Landsberg Riverkings und dem Deggendorfer SC, im Nachgang ihrer Gastspiele am Bodensee mehrere Spieler positiv auf Covid-19 getestet. Die Deggendorfer vermeldeten am Samstag, dass sich ein Verdachtsfall bestätigt habe, bei den Landsbergern stieg die Zahl der Infizierten
am Montag auf neun Personen. Auch beim Höchstadter EC, Auftaktgegner des EVL am Freitag vor einer Woche, gibt es laut Vereinsangaben „mehrere infizierte Spieler“.
„Auch wenn das Risiko beim Sport, zumal wenn dieser im Freien stattfindet, sicherlich geringer ist, als in geschlossenen Räumen, ist Eishockey immer noch ein Kontaktsport mit starken körperlichen Anstrengungen, bei dem die Sportler schwer atmen“, erklärt Thomas Stamminger, Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Ulm. „Wenn da ein starkinfektiöser Spieler dabei ist, kann es auch beim Spiel zu Ansteckungen kommen.“Genauso gut könnte das Virus aber auch in der Kabine oder auf der Ersatzbank übertragen worden sein. „Wenn man sportlich abgekämpft ist, ist auch der Ausstoß an Aerosolen höher.“Ob das Klima auf dem Eis, ähnlich wie in den Schlachthöfen, wo es im Frühjahr einige Corona-Ausbrüche gab, die Verbreitung des Virus begünstigt, kann der Virologe nicht abschließend klären. „Insgesamt aber scheint klar, dass das Infektionsrisiko in der kalten Jahreszeit und bei hoher Luftfeuchtigkeit höher ist.“
Unklar ist auch, ob das Virus überhaupt von Lindauer Spielern auf die
Gegner übertragen wurde. „Es könnte genauso auch andersrum sein oder ganz wo anders herkommen“, sagt Sascha Paul. Schließlich seien die meisten der Spieler in der Oberliga Semiprofis, die neben dem Sport auch noch einer anderen Arbeit nachgehen und dort ebenso wie im Privatleben natürlich soziale Kontakte hätten, die mit dem Eishockey nichts zu tun haben. Vorwürfe der Vereine untereinander gebe es daher nicht, betont Lindaus Sportlicher Leiter: „Alle Vereine haben gewusst, worauf wir uns einlassen und dass solche Situationen eintreten können. Leider Gottes stehen wird jetzt überall ganz oben in den Schlagzeilen.“
Doch was bedeutet das für den Rest der Saison in der Oberliga? Klar ist, dass der Spielplan nur eine Woche nach Saisonstart gewaltig durcheinander geworfen wurde. Von den angesetzten Spielen am Wochenende konnten lediglich zwei stattfinden, alle ursprünglich für Dienstag geplanten Partien wurden abgesagt – lediglich die vier noch von Corona verschonten Clubs Regensburg, SC Riessersee, Füssen und Memmingen haben Begegnungen vorgezogen. Dennoch hält der DEB an einer Fortsetzung fest. „Wir werden Spieltag für Spieltag neu bewerten und durchführen, was durchführbar ist“, hatte Marc Hindelang, DEB-Vizepräsident und Präsident des EV Lindau, bereits am Freitag klargestellt.
Darauf setzt auch Sascha Paul. „Natürlich geht die Gesundheit vor. Aber wir müssen alles dafür tun, dass wir weiterspielen können.“Gemeinsam mit dem DEB wollen die Clubs ihre Hygienekonzepte weiter verbessern, um nicht noch mal in eine vergleichbare Situation zu kommen. Bis zum kommenden Wochenende sind die Islanders noch in Quarantäne, der Trainings- und Spielbetrieb ist bis mindestens 27. November ausgesetzt. Ob die Lindauer anschließend direkt wieder starten können, steht noch nicht fest. Zunächst müssen die infizierten Spieler eine gesundheitliche Prüfung überstehen und dadurch belegen, dass sie die Krankheit überstanden haben. „Es gibt ein Return-toplay-Konzept“, erklärt Paul. „Es wird keiner aufs Eis zurückkehren, wenn er nicht fit ist. Das wäre unverantwortlich.“