Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Prominente Faktenleugner
Impfskepsis ist in Frankreich weiter verbreitet als in anderen Staaten
PARIS - Jung, weiblich und Anhänger einer populistischen Partei: So sieht laut der Stiftung Jean Jaurès das Profil jener Menschen aus, die besonders häufig eine Impfung gegen Covid-19 ablehnen. Der Widerstand ist im Land von Louis Pasteur, dem 1881 die weltweit erste Schutzimpfung gelang, größer als anderswo.
Nur 54 Prozent der Franzosen wollen sich gegen das Coronavirus impfen lassen. Damit ist Frankreich laut einer Ipsos-Umfrage Schlusslicht einer Liste von 15 Ländern, die von Indien mit 87 Prozent angeführt wird. Deutschland liegt mit 69 Prozent im Mittelfeld, die USA mit 64 Prozent auf dem vorletzten Platz. Die meisten Gegner finden sich bei populistischen Parteien wie der linksgerichteten France Insoumise (LFI) und dem Rassemblement National von Marine Le Pen, unter deren Anhängern 65 Prozent die Impfung verweigern.
„Seit einigen Jahren ist Frankreich zu einem der Länder in Europa beziehungsweise in der Welt geworden, wo die Skepsis gegen den Impfschutz am größten ist“, kommentiert der Politologe Antoine Bristielle die Ergebnisse. Er macht vor allem das Misstrauen in die Politik für die Impfmüdigkeit verantwortlich.
Die Zustimmungswerte für Mandatsträger sind extrem gering: In der Corona-Pandemie liegt das Vertrauen in den Kurs von Präsident Emmanuel Macron unter 40 Prozent und fällt damit niedriger aus als das seiner europäischen Kollegen. Zum Vergleich: Mit der Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel sind 74 Prozent der Wahlberechtigten zufrieden. Wer die klassischen politischen Institutionen ablehne, zeige auch gegenüber Wissenschaftlern Argwohn, warnt Bristielle.
Die Zustimmung für die Wissenschaft ist in den vergangenen Monaten stark gefallen: Im Frühjahr hatten noch 95 Prozent der Franzosen Vertrauen
in die Experten, inzwischen sind es nur noch 75 Prozent. „Diese Zahl ist absolut alarmierend“, kommentiert Bristielle. Der Regierung rät er, möglichst frühzeitig über die geplante Covid-Impfung zu kommunizieren und dabei auch die Kontrollen, denen eine solche Immunisierung unterliegt, herauszustellen. „Man muss nicht erst mit den Kampagnen anfangen, wenn ein Impfstoff verfügbar ist. Das muss sofort sein“, forderte der Politologe in der Zeitung „Le Monde“. Die Regierung zeigt sich besorgt über die Impfskepsis. Eine Impfpflicht, wie sie etwa der Grünen-Europaabgeordnete Yannick Jadot fordert, lehnt Premierminister Jean Castex ab.
Die Impfgegner sind mit ihren kruden Behauptungen in den sozialen Medien allgegenwärtig. So veröffentlichte Kim Glow, frühere Teilnehmerin einer Reality Show, auf ihrem Instagram-Account ein Video, in dem sie vor Nanopartikeln warnt, die angeblich durch die Impfung in den Körper gelangten und mithilfe des 5G-Netzes aktiviert würden, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Ähnlich wie bei Glow, die auf Instagram eine Million Follower hat, vermischt sich die Argumentation der Impfgegner oft mit Verschwörungsmythen. Dadür sind Franzosen empfänglich: Eine Umfrage aus dem Frühjahr 2019 ergab, dass jeder Fünfte zumindest einen Verschwörungsmythos unterstützt. Die Behauptung, die Regierung mache mit den Pharmakonzernen gemeinsame Sache, um die Schädlichkeit von Impfstoffen zu kaschieren, fand eine Zustimmung von 43 Prozent.
Nahrung erhalten die Verschwörungsmythen rund um die CoronaPandemie durch den Pseudo-Dokumentarfilm „Hold-up“, der vor einer Woche veröffentlicht und millionenfach angesehen wurde. Darin lassen die Autoren zahlreiche mutmaßliche Experten wie den früheren Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy zu Wort kommen, der sich inzwischen allerdings von der Produktion distanzierte. Die Aneinanderreihung falscher Behauptungen, die zahlreiche französische Medien inzwischen widerlegten, fand prominente Unterstützung: Die Schauspielerin Sophie Marceau warb auf ihrem Instagram-Account dafür – unterstützt von einem „Like“der Sängerin Carla Bruni-Sarkozy.