Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Debatte um Antirassismus-Unterricht
Frauen aus Oberschwaben fordern mehr Aufmerksamkeit für das Thema – Eltern skeptisch
RAVENSBURG - Samrawit Araya, Yasmin Nasrudin und Teresa Heinzelmann sind davon überzeugt, dass sich etwas ändern muss. „Ich habe zwei Kinder. Und ich will nicht, dass die zukünftige Generation das erleben muss, was ich jetzt erleben muss“, sagt Samrawit Araya. Für die Ravensburgerin und für die Frauen aus Biberach und Reutlingen ist Rassismus ein Thema, das vor allem der jungen Generation nähergebracht werden sollte. „Junge Menschen sind viel offener, Kinder sind nicht rassistisch“, sagt Araya. Deshalb haben sie die Petition „Black History in Baden-Württemberg“gestartet. Eine gleichlautende Aktion läuft in Bayern. Das Südwest-Kultusministerium sieht dafür jedoch keinen Bedarf – und auch Eltern warnen davor, Kinder in der Schule zu überfrachten.
Ziel der drei Frauen ist: den Lehrplan so abzuändern, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund darin wiederfinden können. Die Petition ist Teil einer deutschlandweiten Bewegung. Unter anderem solle die Kolonialgeschichte mehr Gewicht im Lehrplan bekommen und Lehrer sollen sich zum Thema Rassismus fortbilden. Weil der Lehrplan Ländersache ist, haben sich die Frauen an das Kultusministerium in Stuttgart gewandt.
Ein ganz wichtiger Punkt für die drei Frauen ist die Kolonialgeschichte. „Man schaut sich im Unterricht sehr stark die britische Kolonialgeschichte an. Aber wir vergessen sehr häufig, dass Deutschland auch Kolonien besaß und welche Konsequenzen das hatte“, sagt Yasmin Nasrudin. In den Geschichtsbüchern werde teilweise bei der Kolonialisierung von einem „Entdeckergeist“gesprochen. „Dabei vergisst man, wie schrecklich das für die Menschen damals war“, sagt Teresa Heinzelmann. Ebenso sei es wichtig, der Migrationsgeschichte in Deutschland im Unterricht genügend Raum zu geben. Außerdem müsse antirassistische Sensibilisierung bereits im Kindergarten und der Grundschule beginnen. Ein Punkt, der für die drei Frauen besonders wichtig ist: Die Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe sollen sich im Lehrplan
wiederfinden. Deshalb fordert die Petition, Literatur, Kunst und Wissenschaft anderer Länder und Kulturen im Unterricht zu behandeln. „Man kann sich nicht nur auf weiße oder eurozentrische Kultur konzentrieren“, sagt Yasmin Nasrudin.
Eine Sprecherin des badenwürttembergischen Kultusministeriums betont: „Rassismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem.“Am Lehrplan will das Haus von Susanne Eisenmann (CDU) dennoch nichts ändern. Lehrer und Schulleiter seien bereits durch Fortbildungen sensibilisiert. Außerdem werde Rassismus im Unterricht bereits thematisiert. In Fächern wie Politik oder Gemeinschaftskunde gelte das „Aktualitätsprinzip“: Lehrer sollen bei der Unterrichtsplanung aktuelle Geschehnisse mit einbeziehen – zum Beispiel die „Black Lives Matter“-Bewegung, die sich aus Protest gegen Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA gründete. Außerdem stehe der im Lehrplan unter der Leitperspektive „Bildung für Toleranz und Vielfalt“. Ziel: gegenseitigen Respekt und Wertschätzung von Verschiedenheit zu fördern.
Cord Santelmann hat eine differenzierte Sichtweise auf das Thema. Der Vorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg sagt, dass Antirassismus im Unterricht bereits eine große Rolle spiele. Als Geschichtslehrer begrüßt er jedoch den Vorschlag, die deutsche Kolonialgeschichte verpflichtend zu unterrichten: „ Es wäre durchaus sinnvoll, den deutschen Beitrag zur Kolonialgeschichte Afrikas samt seiner Schattenseiten sowie die aktuelle Diskussion um Spuren der Kolonialgeschichte in Namen von Straßen, Plätzen, Denkmälern oder Institutionen verbindlich vorzuschreiben.“Santelmann hat die Petition aber nicht unterschrieben. Denn verpflichtende Fortbildungen für Lehrer findet er nicht sinnvoll. Die Forderung stelle die Lehrkräfte unter einen „gewissen Rassismus-Generalverdacht“oder unterstelle, dass sie sich des Themas nicht genügend annehmen.
Michael Mittelstaedt, Vorstand des Landeselternbeirats, glaubt nicht, dass die Petition im Unterricht konkret etwas bewirkt: „Mir erscheint die Anzahl und der Umfang der dort aufgeführten Aufgaben vollkommen unrealistisch im Hinblick auf die Dinge, die sonst so anstehen.“Viel eher fehlten Konzepte, Kinder und Jugendliche so zu fördern, dass sie die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben. „Die Vergangenheit stets zu bejammern und zu beklagen nützt den jetzt lebenden Menschen nur wenig. Da spüre ich schon wieder einen erhobenen Zeigefinger und der hilft bei Kommunikation auf Augenhöhe nie“, sagt Mittelstaedt. Die stellvertretende Elternbeiratsvorsitzende in Bayern, Henrike Paede, berichtet: „Wir haben große Anstrengungen unternommen, den Rassismus-Sprech zu verbannen.“Der bayerische Lehrplan sehe zwar Wertevermittlung und politische Bildung vor. Das sei aber noch nicht genug, dafür setzte sich der Verband beim bayerischen Kultusministerium ein.
Die Oberbürgermeister von Biberach und Ravensburg wollen die Petition der drei Frauen unterstützen. Mittlerweile haben knapp 96 000 Menschen unterschrieben. Die Reaktion des Kultusministeriums überzeugt die Frauen nur zum Teil. Es sei gut, dass es dort einen Blick für die Bedeutung des Antirassismus gebe. Zu viel hänge vom Engagement einzelner Lehrkräfte ab, kritisieren die Aktivistinnen. Es sei sehr intransparent, welche Themen behandelt werden und welche nicht. „Das Thema Rassismus wird oft nur im Kontext mit Nationalsozialismus und Antisemitismus angesprochen“, erklärt Yasmin Nasrudin. Der Dialog mit dem Kultusministerium sei zwar noch nicht auf der gleichen Höhe, aber es gebe schon erste Entwicklungen. „Die sollen jetzt nicht stoppen“, sagt Nasrudin. Der nächste Bildungsplan sei fast fertig, dort müsse das Thema noch konkreter verankert werden.