Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Schlachthof wehrt sich gegen Vorwürfe
Biberacher Betrieb ist vorläufig geschlossen – „Soko Tierschutz“verteidigt ihr Vorgehen
BIBERACH - Der Schlachthof Biberach bleibt nach der Veröffentlichung von Videoaufnahmen, auf denen tierschutzrechtliche Missstände zu sehen sein sollen (SZ berichtete), bis zur Aufklärung der Vorfälle vorläufig geschlossen. Dies hat das Ministerium für Ländlichen Raum in Abstimmung mit dem Landratsamt Biberach am Mittwochmorgen beschlossen. Auch der Schlachthof hat sich inzwischen zu den Videos geäußert.
Die Reaktion der Politik auf die Medienberichte über den Schlachthof Biberach erfolgte schnell. „Die Bilder aus einem Schlachtbetrieb in Biberach, die wir seit Dienstagabend aus den Medien kennen, decken sich nicht mit den rechtlichen Vorgaben für eine tierschutzgerechte Schlachtung. Bis zur Klärung der Frage, wie es zu solch untragbaren Szenen kommen konnte, dürfen an dem betroffenen Schlachthof keine Tiere mehr geschlachtet werden“, wird der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk (CDU), in einer Pressemitteilung zitiert.
In diesem Zusammenhang gehe es auch um die Verantwortung des Schlachthofbetreibers und seinen Mitarbeitern sowie die Rolle des amtlichen Kontrollpersonals. Das Regierungspräsidium habe am Montag eine unangekündigte Kontrolle, gemeinsam mit dem Veterinäramt Biberach, durchgeführt, bei der neue Mängel aufgetreten seien. Auch dies sei Grundlage für die vorläufige Schließung, so das Ministerium. Schlachthof-Geschäftsführer Michael Koch sowie sein Berater Erwin Salzgeber hatten hingegen am Dienstagmorgen gegenüber der SZ noch gesagt, dass die Kontrolle keine Verstöße im Tierschutzbereich ergeben habe.
„Die Schlachtstätte in Biberach war Teil unseres Schlachthofmonitorings aus dem Jahr 2018“, teilt Hauk mit. „Das Regierungspräsidium hatte damals von neun Mängeln berichtet, von denen zwischenzeitlich acht als erledigt gemeldet wurden. Offen war nach Aussage der Behörde lediglich noch der Punkt von fehlerhaften Aufzeichnungen im Zusammenhang mit dem Betäubungsgerät.“In den Fernsehbildern vom Dienstag sei offensichtliches und grobes menschliches Fehlverhalten zu sehen gewesen. Genauere Aufschlüsse seien durch das vollständige Filmmaterial zu erwarten, das den Behörden bislang jedoch noch nicht vorliege.
Minister Hauk forderte die „Soko Tierschutz“auf, den Behörden umgehend das gesamte Filmmaterial zur Verfügung zu stellen. Ebenfalls wurde das Regierungspräsidium Tübingen gebeten, bei der Staatsanwaltschaft Amtshilfe bezüglich des Videomaterials zu erbitten. „Wir setzen in Baden-Württemberg auf eine tierschutzgerechte und regionale Schlachtung. Dazu brauchen wir
Schlachthofbetreiber und Schlachthofmitarbeiter, die sich ihrer großen Verantwortung gegenüber den Schlachttieren bewusst sind und entsprechend tierschutzkonform handeln. Wir brauchen aber auch Kontrollpersonal vor Ort, dass die Vorgänge überwacht und bei Verstößen konsequent einschreitet und diese abstellt“, so Minister Hauk.
Auch der Schlachthof Biberach äußerte sich am Mittwoch in einer Mitteilung zu den am Dienstagabend im SWR und der ARD ausgestrahlten Videoaufnahmen. Er bestätigte die vorübergehende Aussetzung des Schlachtbetriebs definitiv für den Rest dieser Woche. „Wir wollen kurzfristig die Schlachtung wieder aufnehmen. Wir werden das aber nur dann tun, wenn wir alle geplanten Veränderungen umgesetzt haben. Wir werden uns gleichzeitig gegen jeden Vorwurf wehren, der uns zu Unrecht vorgehalten wird“, heißt es in einer am Mittwochnachmittag durch eine PR-Agentur versandten Presseerklärung.
Man habe das Videomaterial bei der Erstausstrahlung im TV am Dienstagabend das erste Mal gesehen. „Zuvor wurden wir von einem Fernsehredakteur massiv unter Druck gesetzt, ein Statement vor der Kamera abzugeben, während wir die Videosequenzen das erste Mal sehen. Ohne weitere Vorbereitung. Das hatten wir abgelehnt, und waren erschrocken über die aus unserer Sicht sehr parteiliche und voreingenommene Vorgehensweise des TV-Redakteurs“, heißt es in der Erklärung des Schlachthofs.
Man habe die Videosequenzen inzwischen gemeinsam mit Fachleuten begutachtet. „Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass wesentliche Vorwürfe, die von der Tierschutzorganisation gemacht werden, aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar sind.“So sei der Vorwurf, man könne auf den gezeigten Bildern erkennen, dass einem lebenden Tier Gliedmaßen abgetrennt wurden, ebenso falsch wie die Behauptung,
Tiere seien mit Elektroschocks getrieben worden.
„Es wurden auch Bilder aus einem anderen Betrieb ohne klare Kenntlichmachung in den Beitrag integriert und damit in Kauf genommen, dass der Zuseher dort gezeigtes Fehlverhalten dem Schlachtbetrieb in Biberach zuordnet“, heißt es in der Erklärung. Unklar ist, auf welchen TVBeitrag sich dies bezieht. Im Beitrag der ARD-Sendung „Fakt“waren offenbar auch Videoaufnahmen aus dem Schlachthof in Gärtringen zu sehen.
„Wir werden den gesamten Vorgang im Detail aufarbeiten und uns auch mit allen verfügbaren Mitteln dort wehren, wo man uns zu Unrecht an den Pranger stellt“, teilt der Schlachthof mit. Man sei gleichzeitig den Kunden und Mitarbeitern gegenüber verpflichtet, möglichen Schaden abzuwenden. „Und wir gehen sehr kritisch mit uns selbst und unserem Handeln um. Daher haben wir bereits begonnen, unseren gesamten Betrieb, die Organisation, die Technik und die Abläufe unter den Mitarbeitern umfassend zu überprüfen. Wir sind dabei alles auf den Prüfstand zu stellen. Und überall dort, wo wir Verbesserungen angehen müssen, werden wir das sofort und konsequent tun.“
Auch der Verein „Soko Tierschutz“wertet das von ihm beauftragte Videomaterial weiter aus, wie Vorstandsmitglied Friedrich Mülln der SZ am Mittwoch mitteilte. So gehe es neben den zu sehenden Missständen im Schlachthof auch um die Rolle des Veterinäramts, das die Abläufe dort zu kontrollieren hat. „Man sieht auf einigen Aufnahmen Leute, die durch den Schlachthof gehen und Fotos machen“, sagt Mülln. Ob dies Behördenvertreter gewesen sind, könne er im Moment nicht sicher sagen. „Es wäre aber der Hammer, wenn da jemand kontrolliert hätte und die Probleme nicht beseitigt wurden.“
Zumindest das defekte Bolzenschussgerät hätte ohne längere Überprüfung auffallen müssen, so Mülln. Sein Verein erarbeite gerade einen Fragebogen an das Landratsamt Biberach, unter dessen Dach das zuständige Veterinäramt angesiedelt ist. „Wir wollen wissen, wann kontrolliert und was dabei festgestellt wurde.“Man stehe hier auch in Kontakt mit dem Regierungspräsidium Tübingen und der Polizei.
Sowohl Schlachthof-Geschäftsführer Michael Koch, aber auch mehrere Leser in den sozialen Netzwerken hatten Kritik am Vorgehen der „Soko Tierschutz“geübt, ohne Wissen des Betreibers Videokameras in dessen Räumen zu installieren, aber die Missstände erst Wochen später öffentlich anzuprangern. „Wenn ich als Tierschützer der Meinung bin, dass schwere Missstände vorliegen, muss ich darauf sofort hinweisen und Anzeige erstatten, wenn der Tierschutz im Vordergrund stehen soll. Sonst steckt für mich ein anderer Sinn dahinter“, so Koch am Dienstagmorgen.
Er kenne die Kritik am investigativen Vorgehen seines Vereins, sagt Mülln. „Würden die behördlichen Maßnahmen vernünftig funktionieren, wäre das doch gar nicht nötig.“Den Vorwurf, sein Verein habe möglichen Tierschutzverstößen in Biberach zu lange zugesehen, bestreitet er. „Wir erhalten das Videomaterial nicht immer am Tag der Aufnahmen.“Das Biberacher Material habe er gesammelt vor rund zehn Tagen erhalten und zunächst sichten und aufbereiten müssen. „Wir haben keine Zeit vergeudet“, sagt Mülln. Es bringe aber nichts, den Behörden fünf Terabyte ungeschnittenes Videomaterial hinzulegen, „denn dann passiert da erst mal nichts“. Es brauche außerdem eine „kritische Masse“an Beweismaterial. „Es geht darum, zu dokumentieren, dass Verstöße kontinuierlich passieren“, sagt Mülln. Warum die „Soko Tierschutz“ausgerechnet den Schlachthof in Biberach ins Visier genommen hat? „Wir haben einen Tipp bekommen“, so Mülln.