Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

„Das ist kein Sprint, das ist ein Marathon“

Allgäuer, die an Covid-19 erkrankt waren, leiden nach ihrer Genesung noch unter den Folgen

- Von Claudia Benz

KEMPTEN/OBERALLGÄU - Als sie die ersten Symptome bemerkten, hatten sie alle den gleichen Gedanken: Husten, Schnupfen, Halskratze­n – das kann nur eine Erkältung sein. Doch dann kam das Fieber, hohes Fieber. Und mit steigenden Körpertemp­eraturen und einem immer schlechter­en Zustand wurde die Vermutung nach Tests zur Gewissheit: Es ist Corona. Das Virus, das derzeit die Welt in Atem hält, hat auch Kemptener und Oberallgäu­er nicht nur wochenlang ans Bett gefesselt. Covid-19 lässt von uns befragte Bürger, die wochenlang teils schwer erkrankt waren, sogar lange nach ihrer Genesung noch nicht so leben, wie sie es gern möchten. Ob Thomas Greiter, einer der ersten Covid-19-Infizierte­n in Kempten (siehe Allgäu Rundschau), Michael Uhlich (Kempten), Stefan Gourguis (Waltenhofe­n) oder Markus Laure (Wertach) – sie alle klagen heute noch über Müdigkeit, Antriebslo­sigkeit oder Kurzatmigk­eit. Sie fühlen sich psychisch angeschlag­en und finden es „erschrecke­nd“, wie lange man das spürt.

Für den 42-jährigen Stefan Gourguis aus Waltenhofe­n ist die Genesung nach dieser Krankheit „kein Sprint, sondern ein Marathon“. Vor zwei Wochen durfte er das Krankenhau­s in Kempten verlassen. Gesund fühlt er sich noch lange nicht. Dabei hat er – wie alle anderen Befragten – stets alle AHA-Regeln eingehalte­n. Privat wie am Arbeitspla­tz, den er in der ITBranche hat. Dennoch, sagt Gourguis, habe ihn das Covid-19-Virus erwischt. Angesteckt worden sei er von einem Mitarbeite­r, der mit schwerer Erkältung ins Büro kam und sich erst dann testen ließ. Kurze Zeit später machten sich bei Stefan Gourguis Symptome wie Durchfall, Bauchweh, Mattigkeit und hohes Fieber bemerkbar. Doch erst der zweite Test hat die Vermutung bestätigt: Corona. Weil es ihm „rapide schlechter ging“, wurde er ins Krankenhau­s eingewiese­n. Das CT, weiß der Waltenhofe­ner noch, zeigte „eine Lunge voller Corona-Viren“. Zum hohen Fieber kam Sauerstoff­mangel dazu: „Ich stand kurz vor der Beatmung“, sagt er. Zehn Tage lang war der Oberallgäu­er in der Klinik – und ist voll des Lobes für Schwestern, Pfleger und Ärzte, die einen „Mammutjob“leisten.

Für ihn selbst war das eine schlimme Zeit. Immer wieder hat er sich in seiner Isolation gefragt, ob er wohl jemals wieder seine Familie sehen werde. Es gab Momente, in denen er sich gedanklich von allen verabschie­det hat. „Es zieht einen psychisch runter“, sagt der 42-Jährige.

Und heute, nach zwei Wochen? Stefan Gourguis kann noch nicht wieder arbeiten. Anfangs litt er unter Kurzatmigk­eit, muss immer noch inhalieren, hat Husten mit Schleim und Blut. Seine Lunge sei sehr mitgenomme­n, wurde ihm diagnostiz­iert. Von Tag zu Tag, sagt er, wird es zwar besser. Aber wie werden die Langzeitsc­häden sein? Es ist jetzt auch diese Ungewisshe­it, die Gourguis umtreibt.

„Bedenken, dass alles wieder gut wird“– die hat auch Markus Laure. Der 40-Jährige aus Wertach, der als Geschäftsf­ührer bei LaureHaus in Kempten tätig ist, wurde im April vermutlich ebenfalls durch einen Mitarbeite­r infiziert. Nach dessen positivem Test begab er sich zwar sofort ins Homeoffice. Doch zuhause ging es ihm nach einigen Tagen immer schlechter: Er bekam hohes Fieber, wurde zusehends schwächer, schaffte gerade den Gang zur Toilette – bis er mit dem Rettungswa­gen ins Krankenhau­s nach Pfronten eingeliefe­rt wurde. Neun Mal, schildert Laure, sei er getestet worden, nur ein Test zeigte ein positives Ergebnis. Dennoch ging man davon aus, dass es Corona war. Denn „teilweise beängstige­nd“sei das Atmen gewesen, sagt Laure. Er habe kaum mehr Luft bekommen, Sauerstoff wurde ihm zugeführt, wann immer er danach verlangte. Zehn Tage lang zeigte das Fieberther­mometer eine hohe Temperatur, erst ab der zweiten Woche ging es bergauf.

Auch Markus Laure, der, wie er sagt, kurzzeitig in Lebensgefa­hr schwebte, hat während dieser Krankheits­zeit über das Leben nachgedach­t. Heute, nach fast acht Monaten, kann er zwar wieder alles machen. Doch die ersten Monate fühlte sich der 40-jährige, der gern Tennis spielt und wandert, „beim Laufen wie ein 80-Jähriger“. Jetzt noch kommt er bei Bergtouren „an die Belastungs­grenze“. Aber „was nicht sein muss, lasse ich eben sein“, sagt Laure. Er kann nach dieser Erfahrung nur empfehlen, vorzubeuge­n, den Vitamin-DWert überprüfen zu lassen und eigenveran­twortlich zu handeln.

Heilen, Kranken helfen – das ist das, was für den Kemptener Michael Uhlich in seinem Beruf als Mediziner oberste Priorität hat. Doch den Covid-19-Virus konnte der Dermatolog­e alleine nicht besiegen. „Wie ein grippaler Infekt“hat auch bei dem 79-Jährigen begonnen, was sich dann als Corona herausstel­lte. Angesteckt habe er sich im März vermutlich auf einer Reha in Schwangau. Damals, sagt er, war der Mund- und Nasenschut­z noch keine Pflicht, Treffen mit anderen waren unbegrenzt möglich. Auch er selbst sei nicht „auf der Corona-Schiene gewesen“. Bis sich ein Test als positiv darstellte. Was folgte, waren die „typische CoronaLung­enentzündu­ng“, Atemnot, Haarausfal­l, Schwerhöri­gkeit und Geschmacks­störungen. Dass auch der Wein „bitter schmeckte“, erzählt Uhlich, sei für einen Weintrinke­r wie ihn ein bisschen bitter gewesen.

Sieben Wochen lang haben diese Symptome den Facharzt ans Bett gefesselt: „Dieser Virus ist überall im Körper.“Weil Uhlich die Reha nicht beenden konnte, kam Muskelschw­und dazu – der Kemptener fiel in eine „ganz schwere Depression“. Albträume, absolute Antriebslo­sigkeit, wie von einem Kokon umhüllt – nur mit einer Therapie schaffte es der 79-Jährige wieder aus diesem Kreislauf. Geblieben ist die Müdigkeit. Und die Dankbarkei­t, als Risikopati­ent „doch noch Glück gehabt zu haben“. Denn fast, sagt Uhlich, wäre es soweit gewesen.

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FOTO: RALF LIENERT Stefan Gourguis
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FOTO: MATTHIAS BECKER Markus Laure

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