Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Basilika, das heilige Blut und Fasnet
Weingarten ist groß bei großen Anlässen, im Alltagsleben zeigt die Stadt Schwächen
WEINGARTEN - Spätestens an der großen Kreuzung zur Bad Waldseer Straße, wenn man sich Weingarten von der Abt-Hyller-Straße nähert, dann weiß man, was diese Stadt einzigartig macht: Groß und mächtig erhebt sich vor dem Betrachter die Basilika – wie auf einem Thron. Ein Bild, das beeindruckt, selbst wenn man mit Religion nur wenig am Hut hat. In dem Bauwerk, das der Bischof von Konstanz Johann Franz Schenk von Stauffenberg am 10. September 1724 den Kirchenpatronen St. Martin und St. Oswald weihte, befinden sich die Welfengruft, die Gablerorgel, eine der bedeutendsten erhaltenen Barockorgeln in Süddeutschland, und die Heilig-Blut-Reliquie, ein goldenes Doppelkreuz, in dem Blutstropfen von Jesus Christus aufbewahrt werden. Die Heilig-Blut-Verehrung blickt auf eine 925 Jahre alte Tradition zurück. Die Reliquie ist auch Anlass für den jährlich stattfindenden Blutritt, eine Prozession, an der immer am Freitag nach Christi Himmelfahrt knapp 2300 Reiter teilnehmen und zu der etwa 30 000 Gläubige pilgern. Bei der größten Reiterprozession Europas durften bislang nur Männer oder Ministrantinnen mitreiten. Ein Umstand, der in den vergangenen Jahren immer wieder zu Diskussionen geführt hatte, und der letztendlich dazu beigetragen hat, dass der Blutritt den Sprung auf die nationale Liste für die Anerkennung als Weltkulturerbe nicht geschafft hat. Vor Kurzem wurde nun aber beschlossen, dass künftig auch Frauen mitreiten dürfen.
Nicht weniger traditionsreich ist in Weingarten die Fasnet. Die Plätzlerzunft, deren Markenzeichen das weiß-rote Häs ist, glaubt, dass ihre Anfänge bis ins Jahr 1347 zurückreichen. Ist man Zeuge des Treibens, das mit der Rathausstürmung am Gumpigen Donnerstag seinen ersten Höhepunkt findet, dann ist man geneigt, selbst daran zu glauben. Was sich die Stadtverwaltung und die Plätzlerzunft da jedes Jahr einfallen lassen, ist an Kreativität kaum zu überbieten. Da wird der Oberbürgermeister schon mal an einem gespannten Drahtseil quer über die Kirchstraße vom Rathaus zum Amtshaus gebracht.
Es ist ein bisschen schade, dass sich diese ausgelassene Freude nicht auch im Stadtbild wiederfindet, wenn es keine großen Anlässe gibt. In einer knapp 26 000-EinwohnerStadt, in der fast 8000 Studierende an der Pädagogischen Hochschule und der Hochschule Ravensburg-Weingarten eingeschrieben sind, dürfte man ein bunteres Leben in der Innenstadt
mit ihren Kneipen und Geschäften erwarten – wenn nicht gerade Corona alles lahmlegt. Das zu realisieren hat die Stadtverwaltung bislang nicht geschafft, obwohl es an kulturellen Angeboten nicht mangelt. Eines hat sich Weingarten bewahrt: den familiären Charakter des Welfenfests. Da picknicken Familien im Stadtgarten während der Fahnenübergabe, und man fragt sich, wozu man für dieses Fest eigentlich ein Sicherheitskonzept braucht. Zwei Drittel der Besucher kennen sich eh persönlich.