Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Kisten statt Touristen
Ferienflieger wie Condor und Tui drängen wegen des mauen Reisegeschäfts in die Luftfracht
FRANKFURT/HANNOVER (dpa) Der Ferienflieger Condor steuert derzeit ungewöhnliche Ziele an. Shanghai, Lappland oder Marokko lauten die Destinationen, an Bord sind statt sonnenhungriger Touristen Corona-Test-Kits, Autoteile oder gleich ganze Testwagen. „Kisten statt Menschen“lautet das Konzept, dass nicht nur der Condor aus der Corona-Misere helfen soll.
Die Frankfurter haben die Hälfte ihrer 16 Langstreckenflugzeuge vom Typ Boeing 767 umgerüstet, wie Sprecherin Magdalena Hauser berichtet. Mit Hilfe des Frachtvermittlers ECS sind sie weltweit auf der Suche nach lohnenden Aufträgen.
Der Frachtmarkt ist dem WeltAirlineverband IATA zufolge einer der wenigen Lichtblicke im internationalen Luftverkehr. Das liegt in allererster Linie am knappen Angebot, denn zu normalen Zeiten wird rund die Hälfte der Luftfracht als Beiladung in Passagiermaschinen transportiert. Da diese wegen der zahlreich eingestellten Verbindungen aber nicht zu Verfügung stehen, sind die Frachtpreise schon im vergangenen Frühsommer in die Höhe geschnellt.
In der Zwischenzeit haben die Gesellschaften laut IATA ihre Kapazität in reinen Frachtmaschinen zwar global um 20 Prozent erhöht, die Angebotslücke
ist damit aber bei Weitem noch nicht geschlossen. In Europa fehlte im November ein Viertel des Vorkrisenniveaus, berichtete der Verband. Die Cargo-Raten bleiben daher absehbar hoch.
Sie sind für die Ferien-Airlines umso verlockender, weil auch am Boden stehende Jets hohe Kosten verursachen. Soll ein Jet langfristig eingemottet werden, sind umfangreiche und kostspielige Wartungsarbeiten vorgeschrieben. Zudem verfallen die Lizenzen des Personals, wenn nicht geflogen wird. Da kann es deutlich günstiger werden, einzelne Frachtflüge anstelle teurer Simulatortrainings zu absolvieren.
Auch die Airlines im Tui-Konzern versuchen, einen Teil der weggebrochenen Urlaubsflüge durch Frachtangebote zu ersetzen. Sie arbeiten dabei mit Cargo-Vermittlern zusammen, um eigene Maschinen vor allem auf Fernstrecken zum Transport etwa von Maschinenteilen oder Medizinprodukten zu nutzen. „Viele Unternehmen versuchen gerade, hier die Kapazitäten und Preise in den Griff zu bekommen“, sagt ein Tui-Sprecher.
Bereits im Frühjahr hatten mehr als 20 Maschinen der Tui-Gruppe beispielsweise Schutzmasken nach Deutschland gebracht. In den vergangenen Wochen habe es nun rund 30 Flüge in die USA, nach Mexiko oder nach Argentinien gegeben, um vor allem Zulieferteile für Auto- und Maschinenbauer nach Baden-Württemberg zu transportieren. Das Unternehmen nutzt auf solchen Verbindungen größere, nicht umgebaute Jets wie die Boeing 787 Dreamliner oder die Boeing 767, manchmal bis zu fünf an einem Tag.
Die Sitze bleiben in den allermeisten Prachtern (Passagierfrachtern) drin, berichtet auch die Lufthansa Cargo, die in der Corona-Krise zusätzliche Passagiermaschinen der anderen Konzern-Airlines einsetzt – vorzugsweise Boeing 777 und Airbus A340 mit vergleichsweise großen (Zu-) Laderäumen. „Das Problem sind die engen Türen auf dem Passagierdeck“, erläutert eine LufthansaSprecherin. Lediglich leichte Materialien wie Masken oder Schutzanzüge können auf den Sitzen gelagert werden, ansonsten bleibt die Kabine leer und die sperrige Fracht wandert in den Laderaum unterhalb.
In den meisten Jahren ist die Zeit zwischen dem christlichen Weihnachtsfest und dem chinesischen Neujahr (2021 am 12. Februar) in der Luftfracht eher ruhig, doch aktuell seien immer noch wenige Kapazitäten im Markt und die Erlöse hoch, versichert Lufthansa Cargo. Für einige Aufregung und zusätzliche Luftfracht-Aufträge sorgte bereits die temporäre Schließung des Lastwagenverkehrs von und nach Großbritannien.