Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Die Befreiung vom Hummerhammer
Die Selbstvergewisserung als Mensch in der großen weiten Welt geschieht oft nach dem Prinzip: „Haste was, dann biste was!“Diese Formel widerspricht zwar dem Wunsch vieler Leute nach mehr Leichtigkeit im Sein. Doch in der Praxis sammeln und horten wir. Kleben an Dingen und Sachen. Wer wollte schon die schönen leeren Gurkengläser entsorgen? Die feinsäuberlich aufbewahrten Plastiktaschen aus den Läden vergangener Zeiten, als Kunststofftüten noch nicht böse, sondern praktisch waren? Und wer weiß – vielleicht wird Omas
Stickbild von Dürers betenden Händen irgendwann doch noch was wert.
Jeder Haushalt verfügt über diese eine Küchenschublade, in der Utensilien oder Behälter ihr Schattendasein fristen. Gerätschaften, deren eigentlicher Zweck über die Jahre fast in Vergessenheit geraten ist. Etwa Eierschalensollbruchstellenverursacher. Bananenaufbewahrungsboxen mit amtlicher Krümmung. Austernbrecher, Schneckenzangen, Hummerhammer. Absonderlichkeiten für den Fall, dass die Tante beim nächsten Besuch zum Kaffee Austern, Schnecken und Hummer dabei hat.
Die Bewegung der Frugalisten und Minimalisten verkauft inzwischen eine Menge Bücher und Seminare, in denen Menschen lernen, solche Schubladen aufzulösen. Man solle sich beim Gerät für seine Dienste bedanken, auch wenn man es nie benutzt hat – und es dann verabschieden. Loslassen. Die Leichtigkeit des Seins spüren. Das Glück liege nämlich im Weniger. In der Befreiung von Schneckenzange und Plastiktüte, von Gurkenglas und Hummerhammer. (nyf )