Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Erwin Hymer und Carthago haben ein Abgasproblem mit Fiat-Motoren
Fiat Chrysler Automobiles soll Dieselaggregate manipuliert haben – Staatsanwaltschaft ermittelt – Kunden klagen
BAD WALDSEE/RAVENSBURG - In den Skandal um möglicherweise manipulierte Abgasanlagen des Motorenherstellers Fiat geraten auch immer mehr Hersteller von Wohnmobilen, darunter die oberschwäbischen Branchenvertreter Erwin Hymer Group (EHG) aus Bad Waldsee und Carthago aus Aulendorf. Beide Unternehmen bestätigten auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“, dass gegen mehrere Händler als direkte Vertragspartner der Wohnmobilkäufer sowie gegen Fiat als Hersteller des Basisfahrzeugs Ansprüche geltend gemacht werden. Gegen die Erwin Hymer Group beziehungsweise deren Unternehmen und gegen Carthago wurden bisher aber keine Klagen eingereicht.
Hintergrund ist der Verdacht gegen Fiat und seine Schwesterfirma Iveco, illegale Abschalteinrichtungen in einer Reihe ihrer Dieselmotoren mit der Abgasnorm Euro 5 und Euro 6 verbaut zu haben. Diese sorgen bei Tests für saubere Abgaswerte, obwohl im Verkehr Grenzwerte überschritten werden. Seit dem vergangenen Jahr ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main in dem Fall. Betroffen sein sollen bundesweit mehr als 200 000 Fahrzeuge der Baujahre 2014 bis 2019, darunter auch eine Vielzahl von Wohnmobilen, die als Basis den bei Campern sehr beliebten Fiat Ducato haben.
Im Juli 2020 hatten Ermittlungsbeamte in Deutschland, Italien und der Schweiz mehrere Objekte von Fiat
Chrysler Automobiles (FCA), darunter auch die Schwesterfirma Iveco in Ulm, durchsucht. Seitdem gibt es in der Sache keine Neuigkeiten.
„Die Ermittlungen dauern an“, sagte Nadja Niesen, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Da der Hersteller des Basisfahrzeugs für die Typgenehmigung und die Einhaltung der ihn betreffenden EU-Vorschriften verantwortlich ist, richten sich die Ermittlungen gegen FCA und nicht gegen die EHG oder Carthago.
Laut EHG-Sprecherin Theresa Hübschle habe das Unternehmen am 23. Juli 2020 Kenntnis von den Ermittlungen erhalten. Sie verweist darauf, dass es sich bislang lediglich um einen Verdacht handele. Zudem habe Motorenlieferant Fiat der EHG gegenüber beteuert, dass an den Vorwürfen nichts dran sei. „Auf mehrfache Nachfragen bestätigte uns Fiat, dass die gelieferten FCA-Dieselmotoren nicht mit verbotenen Abschalteinrichtungen ausgerüstet sind und die geltenden EU-Vorschriften vollumfänglich erfüllen“, sagte Hübschle.
Ähnlich äußerte sich auch Alexander Wehrmann, Pressesprecher von Carthago: Man stehe mit Fiat als einem sehr wichtigen Partner in engem Austausch. Wehrmann zufolge liefern die Italiener mehr als die Hälfte aller Basisfahrzeuge für Carthago.
Gleichwohl ist nach Auskunft der in der Sache sehr aktiven Rechtsanwaltskanzlei Stoll & Sauer deutschlandweit inzwischen eine vierstellige Zahl an Klagen anhängig – sowohl gegen FCA als auch gegen Wohnmobilhändler im Rahmen der zweijährigen Sachmängelhaftungsfrist. Allerdings liegt ein Mangel erst dann vor, wenn bewiesen wäre, dass FCA tatsächlich eine Abschalteinrichtung in seinen Motoren verbaut hätte. In dem Fall wären Mängelansprüche wie beispielsweise eine Rückabwicklung des Kaufes möglich. „Dies ist jedoch noch völlig offen“, sagte EHGSprecherin Hübschle.
Eine erste direkt gegen FCA erhobene Klage vor dem Landgericht Freiburg wurde Ende Februar abgewiesen. In einem ähnlichen Fall vor dem Landgericht Koblenz bekam der Kläger eines Wohnmobils recht. Beide Urteile sind aber noch nicht rechtskräftig.
Drohende Fahrverbote oder Stilllegungen müssen Wohnmobilbesitzer laut ADAC zumindest Stand jetzt nicht befürchten. Eine Untersagung des Betriebs wäre möglich, wenn aufgrund eines verpflichtenden Rückrufs Änderungen am Fahrzeug vorgenommen werden müssten und der Halter diese nicht durchführen lässt. Einen verpflichtenden Rückruf seitens des Kraftfahrbundesamts (KBA) gibt es bislang aber nicht.