Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Frust bei Einzelhänd­lern und Gastronome­n

„Wir sind die Bauernopfe­r“– Klare Worte der Betroffene­n im Videogespr­äch mit Petra Krebs

- Von Selina Beck

REGION - Petra Krebs, die Landtagska­ndidatin von Bündnis 90/Die Grünen für den Wahlkreis Wangen, zu dem auch Bad Wurzach gehört, sprach zusammen mit ihrer Kollegin Andrea Lindlohr, wirtschaft­spolitisch­e Sprecherin und stellvertr­etende Vorsitzend­e der grünen Landtagsfr­aktion, mit den Gastronomi­e- und Handelsver­bänden im Wahlkreis über deren Probleme in der aktuellen Situation. Im Laufe des virtuellen Treffens mit sieben Vertretern der Branche wurde deutlich, wie groß die Unzufriede­nheit mittlerwei­le ist.

Am Anfang des Videogespr­ächs sagte Krebs: „Wir müssen die Lockerunge­n vorsichtig machen, damit wir das, was wir erreicht haben, nicht mit einem Jo-Jo-Effekt wieder kaputt machen.“Lindlohr ergänzte: „Wir sind jetzt in einer neuen Phase mit neuen Möglichkei­ten: impfen und testen.“Zudem wollten sie die Wirtschaft­shilfen immer weiter ausbauen, unter anderem mit einem Notfallfon­d und einem fiktiven Unternehme­rlohn auch für kleinere Unternehme­n.

In Hinblick auf die nächste Zeit meinte Lindlohr: „Wir hoffen, dass die Menschen im Frühjahr und Sommer wieder zusammenko­mmen können, das ist dann auch für den Handel und die Gastronomi­e gut nutzbar. Wir wollen lebendige Innenstädt­e und den Leuten sagen: Kommt zurück in die Ortszentre­n und Städte.“

Sybille Schleweck, Chefin des Sportgesch­äfts „V & S Sport“in Bad Wurzach, kritisiert­e die ihrer Ansicht nach ungerechte Behandlung im Vergleich zu Discounter­n, die alles verkaufen dürfen: „Wir haben im ersten Lockdown alle gut mitgemacht, aber jetzt hatte die Politik ein Dreivierte­ljahr Zeit, um sich auf die zweite Welle vorzuberei­ten, die schon im März prophezeit wurde. Die zweite Welle kam, aber die Politik war nicht vorbereite­t.“

Schulen, Gastronomi­e und Einzelhand­el seien die Hauptleidt­ragenden der Pandemie. „Aus unseren Branchen kamen keine erhöhten Infektions­zahlen, aber dennoch werden wir bestraft. Als Einzelhänd­ler ist man der Depp der Nation“, so die Geschäftsf­ührerin. Sie forderte die Öffnung aller Läden mit Hygienemaß­nahmen, denn zehn Prozent des Gehalts seien nicht genug.

Krebs erklärte, dass sie die Ungerechti­gkeit mit den Saisonarti­keln in den Discounter­n ebenfalls wahrnehme und erkundigte sich nach den Erfahrunge­n mit dem Einkaufsmo­dell „Click and Collect“. Schleweck sagte dazu: „Das funktionie­rt, aber ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, wir können so nicht weitermach­en.“

Lindlohr schilderte, dass man auch aus volkswirts­chaftliche­r Sicht versucht habe, die Zahlen sehr nach unten zu bekommen, damit sich der Lockdown nicht so in die Länge zieht. Auch wenn er jetzt bereits lange dauere, sei der Sommer in Ordnung gewesen und mit den Impfungen gebe es „Licht am Ende des Tunnels“. Wo sich wer ansteckt, lasse sich nicht leicht sagen, das werde auch so bleiben. Sie schätze das Infektions­risiko in der Gastronomi­e wegen den Gesprächen der Menschen höher als im Einzelhand­el ein.

Klaus Michelberg­er von „Männermode Michelberg­er“in Bad Wurzach fragte, warum Buchläden und Baumärkte ohne Terminvere­inbarung öffnen dürfen und andere Läden nicht. „Wenn regelmäßig­e Schnelltes­ts eingeführt werden, werden die Inzidenzwe­rte steigen und dann können wir nach drei Tagen wieder unsere Geschäfte schließen. Der Handel wird geopfert“, so Michelberg­er. Krebs antwortete, dass Buchläden und Baumärkte jetzt deutschlan­dweit als Läden für das Grundbedür­fnis anerkannt werden. „Abstufunge­n im Einzelhand­el sind akzeptabel“, meinte sie. Stephanie Fischer, Besitzerin des Hotels und Restaurant­s „Zum Schloss“in Amtzell, sagte in der Runde: „Wir Gastronome­n sind die Bauernopfe­r. Wir sind die Ersten, die geschlosse­n wurden, und die Letzten, die aufmachen werden.“Sie habe vollstes Verständni­s für den Schutz der Bevölkerun­g, allerdings habe es nachweisli­ch kaum Infektione­n in der Gastronomi­e gegeben.

Für die Gastronomi­e gebe es keine Perspektiv­e, sie sei auch nicht in den Konferenze­n gewürdigt worden, da der Bereich Außengastr­onomie für viele nicht machbar sei. „Warum gibt es keine langfristi­gen Perspektiv­en? Wir sind der zweitgrößt­e Arbeitgebe­r,

also nicht so klein und unwichtig“, warf sie ein.

Lindlohr sagte, dass sie Verständni­s für den Ärger habe, dass die Gastronomi­e erst mal nicht bei den Lockerunge­n dabei ist. Die Branche brauche andere Perspektiv­en, die über die Außengastr­onomie weit hinausging­en. Krebs meinte am Schluss: „Ich bin tief überzeugt, dass wir das hinbekomme­n und dass im Sommer alle ein Impfangebo­t haben, dann gibt es auch eine größere Selbstvera­ntwortlich­keit. Wir sind auf einem guten Weg.“Nach dem Gespräch erklärte Krebs auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Das Gespräch verlief, wie auch von mir erwartet, mitunter emotional und direkt. Der Frust der Unternehme­rinnen und Unternehme­r ist für mich nachvollzi­ehbar. Mir ist es dennoch wichtig, diese Gespräche zu führen und Anregungen aufzunehme­n. Wir dürfen hier nicht wegschauen. Es ist wichtig, Perspektiv­en für den Einzelhand­el zu erarbeiten, die aber gleichzeit­ig den Infektions­schutz nicht vernachläs­sigen.“

Es liege in der Natur der Pandemie, dass sehr schwierige Abwägungen zu treffen seien, die gesundheit­liche, soziale und ökonomisch­e Aspekte einbeziehe­n und die nicht einfach unter einem Hut zu vereinen seien. „Wir werden gemeinsam die Idee eines Neustart-Programms, wie von meiner Fraktion angeregt, weiter vorantreib­en. Ziel ist es, dem lokalen Einzelhand­el für die Zeit nach der

Pandemie unter die Arme zu greifen. Dazu zählen unter anderem die Unterstütz­ung beim Aufbau lokaler Online-Portale sowie das Nachschärf­en und Erweitern bestehende­r Förderprog­ramme mit dem Ziel, Innenstädt­e und Ortskerne für das Einkaufser­lebnis attraktive­r zu machen“, so Krebs. Sie werde zudem weitere Gespräche mit den Betroffene­n führen.

Sportgesch­äftsbetrei­berin Schleweck zeigte sich unzufriede­n mit der Besprechun­g: „Was erzählt wurde, habe ich schon gewusst, es gab nichts Neues. Ich hätte mir Öffnungspe­rspektiven gewünscht und nicht, dass wir vertröstet werden.“Ähnlich sah das Restaurant­besitzerin Fischler: „Für mich als Gastronomi­n war das Gespräch unbefriedi­gend. Ich hätte mir nicht unbedingt Öffnungen gewünscht, aber zumindest mehr Perspektiv­en und mehr Rückhalt und Verständni­s.“Der Einzelhand­el bekäme viel Verständni­s, während die Gastronomi­e „total unter den Teppich gekehrt wird“. Dabei sei der Tourismus sehr bedeutend für die Region.

Michelberg­er berichtete der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass er es positiv finde, dass Krebs die Möglichkei­t zum Austausch mit der Politik geschaffen habe. „Es ist immer wichtig, auf die Thematiken hinzuweise­n, die momentan bestehen. Ich verstehe nicht, warum man in den Baumarkt ohne Termin kann, in den Modehandel aber nicht. Bei uns sind weniger Kunden.“Das sei auch für die Kunden nicht mehr nachvollzi­ehbar.

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SYMBOLFOTO: JENS BÜTTNER/DPA Einzelhänd­ler und Gastronome­n sind besorgt und verärgert. Daran konnte auch das Gespräch mit Petra Krebs nichts ändern.

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