Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Lieferkettengesetz in verschärfter Version
EU-Gesetzesvorschlag geht weit über deutschen Entwurf hinaus – Was das für hiesige Unternehmen bedeutet
BERLIN - Mühevoll hat sich die Bundesregierung auf das Lieferkettengesetz geeinigt. Dabei setzte die Union durch, dass nur größere Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten die Einhaltung der Menschenrechte in ihren ausländischen Zulieferfabriken kontrollieren müssen. Doch der vorläufig gelöste Konflikt könnte über den Umweg aus Brüssel nochmal auf die deutsche Tagesordnung kommen. Denn das Europäische Parlament beschließt in diesen Tagen einen Gesetzentwurf, der auch kleine Firmen auf die Menschenrechte verpflichtet.
Bis heute verkaufen hiesige Händler Textilien, Smartphones, Schokolade und andere Produkte, die oft unter schlechten sozialen und ökologischen Bedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern gefertigt wurden. Immer wieder gibt es Berichte über Kinderarbeit,
zu niedrige Löhne, Landraub oder Repression. Lieferkettengesetze auf nationaler und europäischer Ebene sollen solche Missstände zumindest teilweise beheben.
So berät das EU-Parlament seit Anfang dieser Woche seinen Bericht für ein EU-Lieferkettengesetz, den die niederländische Sozialdemokratin Lara Wolters federführend vorbereitet hat. Kommt das Vorhaben durch, sind die Mitgliedstaaten, auch Deutschland, daran gebunden. „Das Europaparlament fordert ein ehrgeiziges Lieferkettengesetz, das die Haftung der Unternehmen für ihre gesamte Wertschöpfungskette mit einschließt und somit viel weiter geht als der deutsche Vorschlag“, sagte die Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament, Anna Cavazzini.
Ein heikler Punkt ist dabei, dass im Artikel 2 des EP-Vorschlags nicht nur große, sondern auch „alle börsennotierten kleinen und mittleren
Unternehmen sowie kleine und mittlere Unternehmen mit hohem Risiko“aufgeführt sind. Als „Hochrisikosektor“verstehen die Abgeordneten beispielsweise auch die Textilbranche. In diesem Sinne müssten dann Importeure und Produzenten mit vielleicht 50 hiesigen Beschäftigten ihre Lieferanten in aller Welt kontrollieren. Allerdings sollen sie laut Gesetzentwurf „möglicherweise weniger umfangreiche und formalisierte Sorgfaltspflichtverfahren“anwenden.
Ob es wirklich so kommt, ist noch nicht klar. Mehrere Abgeordnete der Europäischen Volkspartei, der auch die Union angehört, haben Änderungsanträge eingebracht. Einer, den unter anderem die CSUAbgeordneten Marlene Mortler und Markus Ferber unterstützen, plädiert dafür, für kleine Firmen Ausnahmen zu schaffen. Das würde Unternehmen mit bis zu 250 Beschäftigten entlasten.
Außerdem enthält der Vorschlag mehrere weitere Regelungen, die ebenfalls über den hiesigen Gesetzentwurf von Union und SPD hinausgehen. So will das EP die gesamte Wertschöpfungskette erfassen, auch entfernte Vorlieferanten. Im deutschen Gesetz geht es vornehmlich um die Hauptzulieferer der einheimischen Unternehmen.
Laut Europäischem Parlament sollen auch Umweltschäden mehr Beachtung erhalten, hiesige Firmen leichter vor Gericht verklagt und bei schweren Verstößen gegen Menschenrechte Importverbote für bestimmte Produkte verhängt werden können.
Als Reaktion auf den vorliegenden Parlamentsbericht wird wohl im Sommer EU-Kommissar Didier Reynders einen eigenen Entwurf präsentieren. Dabei muss er die Interessen der Nationalstaaten im EURat berücksichtigen. In den nachfolgenden Dreiecksverhandlungen (Trilog) werden sich die drei Institutionen einigen – wahrscheinlich erst 2022. Das Bundeswirtschaftsministerium könnte versucht sein, die europäische Regulierung auf das deutsche Niveau zu entschärfen, besonders wenn es nach der Bundestagswahl in CDU-Hand bleibt.
Denn bei der Einigung auf das Liefergesetz hierzulande hatte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor zusätzlichen Belastungen für die deutsche Wirtschaft gewarnt. „Natürlich ist es mir als Wirtschaftsminister auch wichtig, dass die deutsche Wirtschaft am Ende stärker und nicht schwächer dasteht“, sagte Altmaier. Es müsse verhindert werden, dass sich deutsche Unternehmen aus der Produktion in einigen Staaten zurückziehen, weil sie Sanktionen fürchten. Wirtschaftsverbände hatten zuvor Druck gemacht, weil sie Wettbewerbsnachteile auf internationalen Märkten fürchten.