Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Impfziel soll zum Sommer erreicht werden
Ursula von der Leyen droht Richtung London und kündigt Covid-Pass für den Sommer an
BRÜSSEL - Das Ziel, 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung bis Ende des Sommers zu impfen, sei weiterhin erreichbar, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern. Zum ersten Mal gab sie ausführliche Einblicke in die der EU zur Verfügung gestellten Produktionsmengen und die aus dem Binnenmarkt exportierten Impfdosen. Das sei dank der vor sechs Wochen eingeführten Meldepflicht für Exporte nun möglich. An Großbritannien richtete sie die scharfe Warnung, die Einfuhr von Astra-Zeneca-Impfstoff aus den dortigen zwei Produktionsstätten nicht weiter zu behindern.
Auf die einigermaßen absurde Konstellation, dass Astra-Zeneca zwar deutlich hinter seinen vertraglichen Zusagen zurückbleibt, einige Millionen Dosen ungenutzten Impfstoffes in mehreren Ländern aber wegen ungeklärter Thrombosefälle auf Eis liegen, ging die Kommissionschefin nicht ein. Ihr geht es ums Prinzip: „Es ist schwer, unseren Bürgern zu erklären, warum wir in Länder exportieren, die selbst Impfstoff herstellen und ihrerseits nichts aus dem Land lassen“, so von der Leyen. „Natürlich zählen nicht nur unsere Interessen, aber ich bin die Präsidentin der Europäischen Kommission, und das sind die Interessen, die ich auch verteidigen muss.“
Auf die Frage, ob diese Aussage auf die USA und Großbritannien gemünzt sei, sagte von der Leyen ganz deutlich: „Mit den USA verlaufen die Warenströme reibungslos.“Es würden wechselseitig keine Impfdosen geliefert, aber Vorprodukte erreichten ohne jede Beschränkung ihren Bestimmungsort. Nach Großbritannien hingegen habe man in den vergangenen sechs Wochen Ausfuhren über zehn Millionen Dosen von Biontech/Pfizer genehmigt, warte aber noch immer auf Astra-Zeneca-Lieferungen aus britischer Fabrikation, die sogar ausdrücklich in die Verträge mit dem Unternehmen eingeschlossen sein. „Nun laden wir Sie ein, Ihre Zusagen zu erfüllen.“
Laut Melderegister seien in den vergangenen sechs Wochen 315 Ausfuhranträge gestellt worden, von denen 314 genehmigt wurden. Insgesamt wurden 41 Millionen Impfdosen an 33 Länder weltweit geliefert. Damit erfülle die EU ihre Zusage, sich um ärmere Länder zu kümmern. Notfalls werde sie Artikel 122 EUVertrag in Anspruch nehmen, der die Mitgliedsstaaten bei Versorgungsengpässen zu außergewöhnlichen Maßnahmen wie Zwangslizenzen ermächtigt.
Von den Problemen mit Astra-Zeneca abgesehen, zeichnete von der Leyen aber gestern ein äußerst positives Bild der Lage. Von Biontech/ Pfizer würden im 1. Quartal dieses Jahres 66 Millionen Impfdosen geliefert – mehr als zunächst angekündigt. Moderna produziere im gleichen Zeitraum zehn Millionen Dosen für die EU. Das mache teilweise wett, dass Astra-Zeneca von den zugesagten 90 Millionen Dosen nur ein Drittel liefere. Im zweiten Quartal sei mit 55 Millionen Dosen von Johnson&Johnson zu rechnen, die nur einmalig verabreicht werden müssen. Biontech habe bis zum Sommer weitere 200 Millionen Dosen angekündigt, Moderna 35 Millionen Dosen.
Für die Sommerferien schlägt die Kommission ein Zertifikat vor, mit dem Reisende nachweisen können, dass sie entweder bereits gegen Covid-19 geimpft sind, nach einer Erkrankung Antikörper gebildet haben oder ein aktuelles negatives Testergebnis vorweisen können. Das Dokument, das elektronisch oder auf Papier mitgeführt werden kann, soll von allen Mitgliedsstaaten anerkannt werden und Auslandsreisen innerhalb der EU wieder möglich machen. Staaten wie Kroatien oder Griechenland, die stark vom Tourismus abhängig sind, fordern eine solche Lösung seit Langem.
Doch noch immer können Virologen nicht mit Sicherheit sagen, ob die Impfung auch Dritte vor Ansteckung schützt. Ebenfalls ungeklärt ist, wie lange nach einer überstandenen Covid-Infektion
eine Person immun gegen das Virus ist. Auch technisch ist das neue Zertifikat eine Herausforderung, die wohl kaum bis zum Sommer bewältigt werden kann. Die EUKommission will die Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, die nötige Software zu entwickeln, um die Dokumente prüfen und die Informationen auslesen zu können. So würde man beispielsweise am Flughafen entweder – wie bei einem Online-Ticket
– den QR-Code auf seinem Smartphone vorzeigen oder ein Dokument in das Datenlesegerät schieben. Auch Nicht-EU-Mitglieder wie Norwegen oder die Schweiz sollen möglichst einbezogen werden. Die dafür nötige Infrastruktur europaweit kompatibel zu machen ist allerdings eine Aufgabe, die deutlich mehr als drei Monate in Anspruch nehmen dürfte – vom Gesetzgebungsverfahren ganz zu schweigen.