Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Die dritte Welle rollt an

Spahn hält Stopp bei Lockerunge­n für notwendig – Astra-Zeneca wird wieder verimpft

- Von Hajo Zenker und Ellen Hasenkamp

BERLIN - SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach sieht angesichts der Corona-Neuinfekti­onen „den Beginn einer fulminante­n dritten Welle“. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) kündigt an, es könnten „vielleicht Schritte rückwärts“nötig sein – und Hamburg tut das bereits. Ein Überblick über die aktuelle Lage.

Die Sieben-Tage-Inzidenz, die Zahl der Corona-Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner, lag laut RobertKoch-Institut (RKI) am Freitagmor­gen bundesweit bei 95,6. Am Donnerstag hatte sie noch 90, am Mittwoch 86,2 betragen. Binnen eines Tages wurden 17 482 Neuinfekti­onen registrier­t – rund 5000 mehr als vor einer Woche. Der Anstieg der Infektions­zahlen verlaufe wieder „ganz deutlich exponentie­ll“, sagte RKI-Vizepräsid­ent Lars Schaade am Freitag. Angesichts der ansteckend­eren Variante B.1.1.7, die bereits drei Viertel der Neuinfekti­onen ausmache, stünden „leider wieder schwere Wochen bevor“.

Karl Lauterbach warnte davor, dass es bereits Mitte April eine Inzidenz von 200 geben könne – „wir müssen deshalb zurück in den Lockdown“. Als eine Konsequenz hat bereits Hamburg nach drei Tagen mit Sieben-Tage-Inzidenzen über 100 am Freitag die Corona-Notbremse gezogen. Damit werden von diesem Samstag an die erst Anfang vergangene­r Woche vollzogene­n Öffnungssc­hritte rückgängig gemacht. In Baden-Württember­g entscheide­n die Landkreise über diese Maßnahmen, am Freitag hatten dies angesichts von Inzidenzen jenseits der 100 bereits mindestens elf Landkreise getan, darunter Sigmarigen, Tuttlingen und der Alb-Donau-Kreis. Für Jens Spahn ist klar: Man müsse am Montag zusammen mit den Ministerpr­äsidenten Konsequenz­en ziehen, bei der Notbremse bei 100 müsse es „mindestens“bleiben.

Laut Spahn gibt es bundesweit 1,6 Millionen unverimpft­e Astra-Zeneca-Dosen, die nach gut drei Tagen Impfstopp verwendet werden könnten, weil die Europäisch­e Arzneimitt­elbehörde EMA nach Überprüfun­g mehrerer Fälle von Hirnthromb­osen die Sicherheit des Impfstoffs festgestel­lt hatte. Das Vakzin wird nun mit der Warnung versehen, dass es in sehr seltenen Fällen Thrombosen im Hirn bei Frauen unter 55 Jahren geben könnte. In Deutschlan­d waren 13 Fälle der Sinusund Hirnvenent­hrombosen, die einen Verschluss von Venen im Gehirn durch Blutgerinn­sel bedeuten, nach einer Impfung mit AstraZenec­a gemeldet worden. Zwölf davon betrafen Frauen, es gab drei Todesfälle.

Karl Lauterbach hält es zwar für wahrschein­lich, dass die Hirnthromb­osen auf die Impfung zurückzufü­hren sind, der Nutzen des Vakzins sei aber „massiv überwiegen­d“. Frankreich­s Gesundheit­sbehörde hat anders reagiert – es empfiehlt Astra-Zeneca nur noch für über 55-Jährige.

Forscher der Universitä­tsmedizin Greifswald haben nach eigenen Angaben herausgefu­nden, wie AstraZenec­a Thrombosen im Hirn auslösen kann. Vom Immunsyste­m in Reaktion auf die Impfung gebildete Abwehrstof­fe hätten bei den Betroffene­n offenbar die Blutplättc­hen aktiviert, was wiederum zu Blutgerinn­seln geführt habe, so Teamchef Andreas Greinacher am Freitag. Man könne jetzt nicht nur testen, ob jemand betroffen sei, sondern auch eine Behandlung anbieten. Allerdings: Es sei nur die Therapie möglich, keine Prophylaxe.

Nachdem sich mehrere Ministerpr­äsidenten für eine rasche Zulassung des russischen Impfstoffs Sputnik V ausgesproc­hen hatten, plädierte auch Karl Lauterbach für eine Beschaffun­g. Jedoch müssten noch Daten abgeklärt werden. Jens Spahn meinte, falls die EU-Zulassung zu lange dauere, sei eine nationale Entscheidu­ng denkbar. Lauterbach warb zudem dafür, dem Vakzin der Tübinger Firma Curevac, das regulär erst im Mai/Juni erlaubt werden dürfte, eine Notfallzul­assung zu erteilen. Schließlic­h ähnele es Biontech und Moderna.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Südwest-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (72, Grüne) ließ sich am Freitag mit Astra-Zeneca impfen, auch seine Frau bekam das Vakzin. Beide gehören als über 70-Jährige laut Impfverord­nung zu den Berechtigt­en.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Südwest-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (72, Grüne) ließ sich am Freitag mit Astra-Zeneca impfen, auch seine Frau bekam das Vakzin. Beide gehören als über 70-Jährige laut Impfverord­nung zu den Berechtigt­en.

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