Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Boden zu Bauland
Ein neues Gesetz soll den Wohnungsmarkt in Deutschland entspannen – Doch das Vorhaben ist höchst umstritten
BERLIN - Es geht um die große soziale Frage des 21. Jahrhunderts, wie Politiker über Parteigrenzen hinweg unisono betonen: bezahlbaren Wohnraum. Weil Wohnen aber bedingt, dass vorher etwas gebaut wurde, setzt eine Gesetzesnovelle aus dem Hause von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) genau an diesem Punkt an. Das sogenannte Baulandmobilisierungsgesetz soll es Kommunen erleichtern, Bauland auszuweisen. Gleichzeitig sollen aber auch Mieter, die sich kein Wohneigentum leisten können, davon profitieren. Was vernünftig klingt, birgt großes Konfliktpotenzial, nicht nur zwischen Union und SPD, sondern auch innerhalb von CDU/CSU und zwischen Bund und Ländern. Im Folgenden die wichtigsten Fakten zum neuen Baugesetz.
Warum soll das Baugesetz reformiert werden?
Auch wenn die Corona-Pandemie es seit geraumer Zeit überdeckt: Wohnen ist zu einem politischen Megathema geworden – und zwar nicht nur in städtischen Ballungsräumen wie München, Stuttgart oder Berlin. Die Stadt Ravensburg beispielsweise lag im Jahr 2019 auf Platz 25 in einem bundesweiten Vergleich von Mietspiegeln. Auch die Nachfrage nach Bauplätzen ist in Oberschwaben sehr viel größer als das Angebot. „In Kommunen wie Baindt und Baienfurt kommen auf einen Bauplatz zehn Bewerber“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Axel Müller. Wegen der Dringlichkeit des Themas hatte die Große Koalition bereits im Koalitionsvertrag festgehalten, die Kommunen bei der Beschaffung von Bauland zu unterstützen. Bis ein entsprechender Gesetzentwurf vorlag, brauchte es allerdings ein paar Jahre, einen prominent besetzten Wohngipfel, eine Baulandkommission und Kompromisse im Kabinett.
Was bringt die Reform des Baugesetzes den Kommunen?
Die Position der Städte und Gemeinden als Wohnraumbeschaffer soll durch dieses Gesetzespaket gestärkt werden – und zwar durch mehrere Vorhaben. Wie bereits in den Jahren von 2017 bis 2019 sollen Städte und Gemeinden auch künftig wieder mit vereinfachten Verfahren Baugebiete am Ortsrand ausweisen können – geregelt ist dies im Paragraf 13b Baugesetzbuch. Zudem sollen sie durch ein neues Vorkaufsrecht, vor allem in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt, einen besseren Zugriff auf brachliegende Flächen bekommen. Auch sogenannte Baugebote sollen in diesen Gebieten dazu beitragen, dass mehr Wohnraum entsteht. Das soll verhindern, dass Grundstücksbesitzer Flächen brach liegen lassen. Im Idealfall würden durch die Reform nicht nur neue Baugebiete an den Ortsrändern entstehen, sondern auch Baulücken im Kern der Kommunen geschlossen werden.
Warum ist der Paragraf 13b so umstritten?
Umweltschützer kritisieren, dass Paragraf 13b den Flächenfraß weiter vorantreiben wird. Auch die Grünen in Baden-Württemberg haben damit ein Problem. Der Paragraf müsse gestrichen werden, fordert Chris Kühn, Grünen-Bundestagsabgeordneter aus Tübingen und Sprecher für Bau- und Wohnungspolitik der Grünen. „Er privilegiert die Außen- vor der Innenentwicklung und leistet der ungebremsten Zersiedelung Vorschub“, teilt er mit. Der CDU-Politiker
Axel Müller lässt das Argument, dass 13b zwangsläufig dem Umweltschutz und der Artenvielfalt schade, nicht gelten. „Es liegt in der Planungshoheit der Kommunen, einen ökologischen Ausgleich auf diesen Flächen zu verlangen“, sagt er. Die Artenvielfalt könne sogar davon profitieren, wenn diese Flächen nicht mehr rein landwirtschaftlich genutzt würden. Der Verband „Haus und Grund“lehnt die Wiederbelebung des Paragrafen 13b ebenfalls ab – wenngleich auch aus anderen Gründen als die Grünen. Die Erweiterungen der Vorkaufsrechte und des Baugebotes seien „weitere Eingriffe in das Eigentum“, teilt ein Sprecher mit.
Bringt mehr Bauland automatisch mehr bezahlbaren Wohnraum?
Auch dieser Punkt ist politisch höchst umstritten. Denn verbunden ist damit die Frage, welche Gebäude auf neuen Baugebieten entstehen. Dass die Grünen im Einfamilienhaus nicht gerade die Wohnform der Zukunft sehen, hat Anton Hofreiter,
Fraktionsvorsitzender im Bundestag, vor wenigen Wochen in einem Interview mit dem „Spiegel“ausgeführt. Auch der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes BadenWürttemberg, Udo Casper, hält es für wenig zielführend, die ohnehin knappen Flächen in Gebieten mit angespannten Wohnungssituationen mit Einfamilienhäusern zu bebauen. „Für bezahlbaren Wohnraum braucht es eine effizientere Nutzung der Flächen“, sagt er. CDU-Politiker Müller sieht darin keinen Widerspruch zur Reform des Baugesetzes: „Die Kommunen haben es in der Hand, was gebaut wird, das wird oft ausgeblendet. Es liegt in ihrer Planungshoheit, ob dies Einfamilienoder Reihenhäuser sind – oder eben Geschosswohnungsbau.“
Wie funktioniert das in der Praxis – am Beispiel Ravensburg?
„Bei der Entwicklung neuer Baugebiete – auch in den Ravensburger Ortsteilen – steht nicht mehr das Einfamilienhaus im Vordergrund, ist aber auch nicht ausgeschlossen“, teilt Baubürgermeister Dirk Bastin mit. Um die knappen Flächen möglichst effizient zu nutzen, setzt die Stadt auf eine Durchmischung von Wohnformen und verdichtete Einfamilienhausformen wie „Ketten-, Doppel- Reihen- und Einfamilienhäuser auf deutlich kleineren Grundstücken“. Auch in den ländlichen Ortsteilen sollten künftig höhere und dichtere Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Die Nachverdichtung von bereits bestehenden Stadtquartieren beschreibt Bastin als schwierig, auch wegen des Widerstands der „alteingesessenen Bevölkerung“, wenn beispielsweise Gebäude im Umfeld erhöht würden.
Warum streitet die Union über das neue Baugesetz?
Das liegt an Paragraf 250 Baugesetz, den Horst Seehofer als Bauminister in den Gesetzentwurf übernommen hat. Darin geht es weniger ums Bauen als um Mietwohnungen in Gebieten mit Wohnungsnot. Befristet bis Ende 2025 sollen Kommunen künftig gegen die Umwandlung von Mietund Eigentumswohnungen vorgehen können. Warum die Sozialdemokraten
darauf bestanden haben, erklärt der SPD-Obmann im Bauausschuss, Bernhard Daldrup. „Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist für große Immobilienkonzerne zum Geschäftsmodell geworden. Nach der Umwandlung in Eigentumswohnungen steigen die Mietpreise aufgrund von Sanierungen oft ins Unermessliche – mit dem Ergebnis, dass die Mieter ausziehen müssen. Ebenso wenig sind die Mieter in der Lage, die teuren Wohnungen zu kaufen und sie sind oftmals einer Eigenbedarfskündigung ausgesetzt. Wir wollen die Mieter davor schützen, dass sie ihr Zuhause verlieren.“Da Wohnen „keine x-beliebige Ware“sei, hält er diesen Eingriff in die Rechte der Eigentümer für angemessen – zumal es eine temporäre Regelung sei. In Teilen der Union wird dies anders gesehen, auch Seehofer hatte den Paragraf 250 zwischenzeitlich aus der Kabinettsvorlage herausgestrichen. Axel Müller teilt die Vorbehalte einiger CDU/ CSU-Mitglieder nicht. „Wir sind nicht nur die Partei der Eigentümer, sondern auch die Partei der Mieter“, sagt er. „Man sollte ein so gutes und umfängliches Gesetz nicht komplett infrage stellen, nur weil man sich an einem einzigen Paragrafen reibt. Im Übrigen werden Umwandlungen ja nicht unmöglich, sondern nur deutlich erschwert – eben zum Schutz der Mieter.
Wie lange wird es noch dauern, bis das Gesetz in Kraft tritt?
Der Zeitplan steht eigentlich. Mitte April soll der Gesetzesentwurf vom Bundestag verabschiedet werden, Anfang Mai steht die zweite Beratung im Bundesrat an. Die Debatten könnten zu einem parlamentarischen Schlagabtausch führen – denn die Widerstände sind groß. Der Gesetzentwurf werde weder das Wohnen im Land wieder bezahlbar machen noch die Preisspirale, insbesondere bei den Bodenpreisen durchbrechen, kritisiert Chris Kühn, Grünen-Abgeordnter und Wohnungspolitik-Experte aus Tübingen. Auch innerhalb der grünschwarzen Landesregierung BadenWürttembergs birgt die Baugesetznovelle Konfliktstoff – gerade wegen der Paragrafen 13b und 250. Dass es Widerspruch von verschiedenen Seiten – auch von Lobbyverbänden – gibt, bestärkt Axel Müller darin, dass das Vorhaben richtig ist. „Meine Haltung ist bekannt. Ich bin der Meinung, dass das gesamte Gesetzeswerk ein guter Kompromiss ist“, sagt er.