Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Mit farbigen Socken kann jeder Solidarität zeigen
Zum Down-Syndrom-Welttag am 21. März gibt Leutkircherin Patricia Netti Einblicke in ihr vielfältiges Leben
LEUTKIRCH - Jedes Jahr ist der 21. März denjenigen Menschen gewidmet, die das 21. Chromosom drei- statt zweimal besitzen und daher von Geburt an mit Einschränkungen leben müssen. Zum Welttag des Down-Syndroms (auch „Trisomie 21“genannt) gibt es die europaweite Aktion „Menschen mit Down-Syndrom werden sichtbar“(siehe www.eufortrisomy.eu). An diesem Tag kann man Solidarität zeigen, indem man zwei verschieden farbige Socken trägt.
In der Region gibt es viele Menschen, die mit den körperlichen und geistigen Einschränkungen aufgrund des Gendefekts leben. Das Wichtigste ist ihnen, dass sie „dazu gehören“– zur Gesellschaft, zur Öffentlichkeit, zur Kunst und Kultur. Denn auch sie leben ihre Begabungen, haben Stärken, Wünsche, Hoffnungen und brauchen Anerkennung im Sinne der Inklusion.
Patricia Netti aus Leutkirch hat in dieser Beziehung viel Schönes, Spannendes und Erfolgreiches erleben dürfen, hat eine gute Unterstützung von der Familie und durch die Schulzeit bekommen, Netzwerke gefunden und sogar eine Kunstausstellung gemacht. Sie hält Vorträge und singt solo auf der Bühne vor Publikum – immer mit einem Lächeln im Gesicht und ganz ohne Lampenfieber. Die junge Frau, Jahrgang 1987, hat zwei ältere Brüder, ihre Eltern betreiben ein Lederwarengeschäft in der Marktstraße.
Seit Herbst 2014 arbeitet die 33Jährige als Angestellte halbtags für das Sekretariat der Gemeinschaftsschule am Adenauer Platz, die sie selbst sechs Jahre besucht hat. Sie betreut den Lehrerarbeitsraum samt Kopierer, verwaltet Papier und Kartonagen, erstellt Broschüren. Dazu der neue Schulleiter Jan Henning Gesierich-Kowalski: „Die Aufträge für die Lehrkräfte, die Verwaltung des Raumes und die Arbeiten am Kopierer erledigt sie in eigener Verantwortung. Den Kontakt zu Schülern und deren Unterstützung im Rahmen ihres Arbeitsfeldes meistert sie alleine oder auch mit Unterstützung im Sekretariat. In alle gesellschaftlichen Aktivitäten der Schule ist sie eingebunden.“ Angestellt ist sie bei der Stadt Leutkirch, doch wichtiger als der Verdienst ist für Patricia Netti die Wertschätzung: „Ich arbeite gerne hier, es ist ein nettes Team und ich habe immer wieder neue Aufgaben zu erledigen. Ich werde akzeptiert, und das fühlt sich gut an“, sagt Netti, die schon mehrfach ausgezeichnet wurde, unter anderem 2009 mit dem „Goldenen Chromosom“, einem deutschlandweiten Preis für besondere Leistungen, sowie 2011 mit dem Zertifikat für Moderation nach einem Qualifikationskurs.
Damals hat sie viel mit der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg zusammengearbeitet. Es ging um die Planung und Gestaltung von Zukunftsfesten für Menschen mit Down-Syndrom. Sie selbst hat drei solcher Feste für sich durchgeführt.
„Man lädt Menschen dazu ein, die für den weiteren Weg hilfreich sein können, die zu einer Beschäftigung oder zu einem Hobby beitragen oder vernetzen können, um die eigenen Stärken zu fördern“, erklärt Patricia Netti diese wichtigen Veranstaltungen. Dadurch entstand der Kontakt zur Kunstschule Sauterleute, wo sie von 2008 bis 2010 die Ausbildung zur Kunstschulassistentin absolvierte, die künstlerische Praxis mit verschiedenen Materialien und Techniken, unter anderem Aktmalerei, erlernte und sich persönlich künstlerisch weiterentwickeln konnte. Ihre Liste der eigenen Ausstellungen ist lang, es sind Orte in ganz BadenWürttemberg. Zuletzt waren ihre farbenfrohen, abstrakten oder bildlichen Werke 2018 beim Studientag „Lehrerbildung Plus – Kreativität grenzenlos“in Ludwigsburg zu sehen.
Auch bei der Sommer-Universität in Kroatien auf der Insel Brac hat sie schon teilgenommen mit Themen wie „Inklusion in der Bildung“oder „Heterogene Lern- und Lebensgruppen“. Patricia Netti ist schon viel unterwegs gewesen für ihre Sache, wegen Ideen und Möglichkeiten für Menschen mit Down-Syndrom. Die Toleranz der Umwelt sei besser geworden, meint sie und findet das wichtig. Ein großes Dankeschön spricht sie ihrer Lehrerin Edith Mang aus, die sie neun Jahre in der Integrationsklasse der Albert-SchweitzerSchule
am Oberen Graben und am Adenauer Platz „ganz toll“begleitet hat. Danach hat sie verschiedene Praktika gemacht, etwa bei der Stadtverwaltung und im Seniorenheim Carl-Joseph, wo sie drei Jahre lang noch wöchentlich unterstützend mitarbeitete.
Zu ihren Hobbys gehören Malen, Briefe schreiben und gestalten, Musik hören, lesen, schwimmen und Radfahren. Seit fünf Jahren lernt sie Alt-Flöte spielen, und schon als Kind hat sie gerne und viel gesungen. Durch ein Zukunftsfest kam sie vor einigen Jahren zur Bühnen- und Gesangsschule von Angelika Maier und singt dort immer wieder im Ensemble „Joy of Voice“. Sie schwärmt von der netten Gemeinschaft und erzählt von einem kurzen Solo bei einer Weihnachtsgala in Bad Grönenbach vor vollem Saal.
Ob mit der Strickliesel arbeiten, afrikanisch tanzen, Qi Gong bei der VHS, Bogenschießen lernen, Kaffeeund Kuchenverkauf für die Bolivienhilfe oder Mitbasteln für den Adventsbasar des Förderkreises für krebskranke Kinder – Patricia Netti hat viele Interessen und Ideen, ist gut vernetzt, geborgen in der Familie. Eigentlich haben sie nur die CoronaLockdowns von ihren Aktivitäten fernhalten können. Sie freut sich auf den Sommer in der Stadt und besonders auf ihre nächste kreative Woche in Bad Boll, wo die Evangelische Akademie Menschen mit und ohne Einschränkungen eine Woche mit vielerlei Workshops anbietet.