Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Musikkapellen kämpfen um Mitglieder
Was die Musikerinnen und Musiker unternehmen, wenn das Vereinsleben stillsteht
ISNY - Das Gespräch mit den Vorsitzenden der Musikkapellen (MK) Beuren, Bolsternang, Rohrdorf und Isny spiegelt ein ziemlich einheitliches, schicksalhaftes Bild. Voller Frustrationen, aber auch voller Bemühungen, die Musikerinnen und Musiker beieinander zu halten und zu motivieren für die Zeit danach, wenn sie wieder gemeinsam für einen Auftritt üben. Wenn sie nicht nur für sich selber musizieren können, sondern vielen Zuhörern wieder eine Freude machen können.
zweiter Vorsitzender der MK Rohrdorf, fällt ein Titel der Egerländer ein: „Bis bald, auf Wiedersehn“. Im Text gehe es zwar um die Beziehung zur Geliebten, er selber will ihn gerne als Wunsch an die Kameradinnen und Kameraden und an alle Blasmusikfreunde schicken, um ihnen allen zu signalisieren: „Auch wenn wir grade ausgebremst sind, es gibt uns noch, haltet durch!“
Die Verantwortlichen der MK sind davon überzeugt: Wer seither seiner MK die Treue gehalten hat, der werde auch noch nach dieser Durststrecke dazugehören. Jeder drückt in eigener Weise seine Dankbarkeit aus für die Treue sowohl der Musikerinnen und Musiker, als auch aller Zuhörern, Einheimischer und Gäste.
„Es mag wohl sein, dass der eine oder die andere unter den Musikern, die vorher schon nur mit halber Leidenschaft dabei waren, durch den Corona-Stillstand vollends die Lust verliert, aber ein stabiler Kern wird durchhalten“, so die Überzeugung einiger Vorstände. „Vielleicht werden die Musikkapellen als die ,kulturtragenden Säulen’ dann ein bisschen dünner sein, aber die Tragfähigkeit wird bleiben“, so
aus Beuren. Dieser Sicht schließen sich alle an. Martin Käser von der Stadtkapelle ergänzt: „Manche Musikerin und mancher Musiker spürt im Lockdown vielleicht, was ihr oder ihm jetzt fehlt, wird dann seine Zugehörigkeit neu beweisen und danach sogar regelmäßiger zur Probe kommen.“
Die Vorstandsmitglieder seien seit dem vergangenen Frühjahr teils
„richtig kreativ“geworden, haben richtig lustige Ideen entwickelt, um die Leute beieinander zu halten und zu motivieren, berichtet von der MK Bosternang. Wobei die Bolsternanger allerdings gegenüber den andern MK den Vorteil haben, dass sie regelmäßig auf Einladung der Klinik Überruh mit kleiner Besetzung dort in der Halle oder im Freien auftreten dürfen und dafür auch eine Spende bekommen.
Die andern Vorstände berichten, dass sie sich monatlich per Videokonferenz treffen. Einige haben ihre Musikerinnen und Musiker aufgefordert, zu Hause eine Videoaufnahme mit derselben Notenliteratur zu machen, sie zum Dirigenten zu schicken, der dann alle Stimmen zum Orchester zusammenfügt. Alle konnten dann digital das Ergebnis ansehen und anhören. Erstaunliches sei dabei herausgekommen.
Simon Reischmann berichtet, was in ähnlicher Weise alle anderen Vorstände auch gemacht haben. Zu Weihnachten gab es für alle eine „Musikprobe im Täschle“: mit Noten, Bleistift, Süßigkeiten, Nervenwässerle und einer Flasche Bier. Die Beurener haben zu Silvester Neujahrswunschkarten in die Häuser getragen, versehen mit einem QR-Code, mit dem die Musikfreunde dann online einen Rückblick ins Vereinsjahr anschauen konnten. Eine ganz klein gedruckte Bitte um eine Spende auf das MK Konto habe freilich auch nicht fehlen dürfen. „Wir waren danach sehr positiv überrascht.“
und berichten von ihrer Aktion „Instrument abstauben“, mit der sie ans nötige Üben daheim erinnerten. Oder ans „Uniform lüften“, sich also in der Öffentlichkeit in Tracht zu zeigen, um zu erinnern, dass es die Stadtkapelle noch gibt. Die geplante „Musikmeile“mit kleinen Musikgruppen durch die Stadt sei in letzter Sekunde leider „abgeblasen“worden.
Alle berichten rückblickend von der Umsetzung der Corona-Auflagen zu Beginn des ersten Lockdowns. Da sei draußen geübt worden, in der Halle, gar in der Reithalle, oder in kleinen Gruppen und zeitlich versetzt. Da seien mit Straßenkreide weite Kreise um den Dirigenten gezogen und Sitzplätze markiert worden.
Als im Sommer die Einschränkungen aufgehoben waren, habe man den damals befürchteten Schrumpfungsprozess ein bisschen wahrgenommen, teilt Reischmann mit. Für den Rohrdorfer Vorsitzenden
liegt die Begründung darin: Wenn Ziele und Projekte fehlen, dann leidet verständlicherweise auch die Motivation. „Ich vermute, dass wir alle noch glimpflich aus der Krise herauskommen. Wir sollten nicht vergessen, dass es anderen viel dreckiger geht. Die ,Säule’ Musikkapelle wird auch nachher noch stabil stehen.“Sein eindringlicher Wunsch an „die da oben“: „Bei der Aufhebung des Lockdowns sollten keine Unterschiede gemacht, sondern alle gleich behandelt werden.“Bevorzugungen könne man teils nicht nachvollziehen und schaden dem Vertrauen.
Sorgen bereitet allen vier MK die Rekrutierung des Nachwuchses: Die Bläserklassen seien im vergangenen Frühjahr abgebrochen worden. Und dieses Jahr würden sie wahrscheinlich gar nicht starten können. Die weiter Fortgeschrittenen sitzen allein zu Hause. Ohne die Erfahrung von Kameradschaft und einer Gruppendynamik, die mitzieht, würden sie leicht die Lust verlieren, so vermutet Monika Spieler. Dass die Vorstände mit ihren Dirigenten nicht planen können, weil niemand weiß, wie es mit der Pandemie weitergeht, das macht genauso Sorgen. „Wer weiß denn, wann wir alle über dem Berg sind?“, fügt
dazu.
Einen kleinen Lichtblick erlebten alle vier Vorstände im vergangenen Sommer: Alle vier Musikkapellen durften in Kleinstbesetzung auftreten – beim Mini-Kinderfest 2020, unter strengen Auflagen veranstaltet von den Familien Stolz und Grubart auf dem Brauereigelände. Die Brauerei Stolz sei außerdem in den Lockdown-Zeiten auch bereit gewesen, die Getränke zurückzunehmen, die von den Musikern nicht mehr konsumiert werden konnten.