Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
„Rassismus ist ein Problem in Deutschland“
Imam Wajahat Ahmad spricht über Alltagsrassismus, Lösungsansätze und verurteilt radikale Tendenzen
WEINGARTEN - Seit 1990 gehört die Gemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) zu Weingarten. In Zeiten, in denen rassistische Anfeindungen gegenüber Muslimen präsenter werden, will die Gemeinde ein Zeichen setzen. Unter dem Titel „Islam gegen Rassismus“wird Imam Wajahat Ahmad am 24. März einen Vortrag halten, um auf das Problem hinzuweisen und ins Gespräch zu kommen. Im Interview mit Oliver Linsenmaier spricht er über Rassismus in Deutschland, verurteilt jede Art von Diskriminierung und Gewalt und erklärt, welch wichtige Rolle allen Bürgern, aber auch den Muslimen selbst zukommt.
Warum setzen Sie das Thema „Islam gegen Rassismus“?
Unsere Gemeinde ist in der Gesellschaft angekommen. Daher wollen wir einen Beitrag leisten. Denn Rassismus ist ein Problem in Deutschland. Dagegen wollen wir uns stellen, genau wie gegen Antisemitismus, Terrorismus und jegliche Art von Diskriminierung.
Wie erleben Sie Rassismus in Deutschland?
Ich selber wurde glücklicherweise noch nie extrem angefeindet. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber durch Gespräche mit unseren Gemeindemitgliedern habe ich gemerkt, dass einige von uns Alltagsrassismus erleben. So zum Beispiel bei der Wohnungssuche oder beim Arbeiten an der Kasse. Da entsteht Hetze. Man findet kleine Mikroaggressionen im Alltag. Außerdem werden wir gezielt viel öfter von der Polizei kontrolliert.
Das hört sich ja eher nach indirektem Rassismus an. Gibt es hier in der Region auch offene Anfeindungen?
Das erleben wir glücklicherweise nicht. Wir sind aber auch sehr präsent und bekannt und machen viel für den interreligiösen Dialog. Viele Mitglieder engagieren sich sozial oder politisch.
Ist gesellschaftliches Engagement ein wichtiger Schlüssel, um Rassismus entgegenzuwirken?
Auf jeden Fall. Es ist wichtig, dass man als Vorbild agiert. Auch wir Muslime müssen uns von unserer besten Seite zeigen. Das Motto unserer Gemeinde lautet: ,Liebe für alle, Hass für keinen’. Der Islam ist keine Religion des Rassismus oder der Gewalt, sondern ein Befürworter von gegenseitiger Liebe und Zuneigung. Der Islam lehrt Sicherheit auf jeder Ebene und zeigt, wie Völker und Nationen friedlich miteinander leben können.
Das hört sich sehr weltoffen an. Nun gibt es auch radikalere Interpretationen des Islam. Wie bewerten Sie das?
Wir Muslime sind die größte Zielscheibe von Rassismus, müssen uns aber immer von Terrorismus distanzieren. Das finde ich schwierig. Aber natürlich gibt es ein paar wenige radikale Muslime. Dieses Problem haben wir in Deutschland und in der ganzen Welt. Das ist falsch. Aus dem Koran geht klipp und klar hervor, dass der Islam immer Liebe gelehrt hat und der Prophet Mohammed das auch in der Praxis gelebt hat. Alle Muslime, die sich anders verhalten, entsprechen damit nicht den Werten und den Aussagen des Koran. Diese Menschen handeln politisch und aus eigenen Interessen. Das ist nicht mit dem Islam vereinbar. Das lehnen wir auch ab. Laut dem Koran ist jegliche Art von Gewalt im Namen der Religion verboten.
Das Wichtigste für uns Muslime ist Dschihad. Leider wird das oft mit dem Heiligen Krieg übersetzt. Aber für uns Muslime kann ein Krieg niemals heilig sein. Ein Krieg ist nicht heilig. Im Krieg sterben so viele unschuldige Menschen. Das arabische Wort Dschihad bedeutet, dass man sich anstrengt. Und aus der islamischen Terminologie bedeutet das, dass man Gott und seinen Geschöpfen dient, dass man sich um seine Mitmenschen kümmert, dass man Armen hilft, dass man nicht nur an sich denkt. Das ist der größte Dschihad, den uns der Islam lehrt. Und nach diesem sollten wir uns auch richten.
Rassismus. Was macht das mit Ihrer Gemeinde?
Das ist sehr traurig und spaltet die Gesellschaft. Oftmals hat das mit Unwissenheit zu tun. Die meiste Angst vor Muslimen herrscht in Gegenden, wo nur wenige Muslime leben. Doch man sollte vor dem Fremden nicht Angst haben, sondern offen sein und ins Gespräch kommen. Man sollte weniger übereinander und mehr miteinander reden.
Hat der Rassismus in den vergangenen Jahren zugenommen?
Ich glaube nicht, dass er zugenommen hat, aber er ist präsenter. Das hat auch mit den sozialen Medien zu tun. Man nimmt es einfach stärker wahr.
Wohin führt das?
Die meisten Menschen sind vernünftig und können zwischen Gut und Schlecht unterscheiden. Leider gibt es aber auch Menschen, die nicht genügend Bildung erfahren oder Menschen mit Migrationshintergrund kennengelernt haben. Das führt zu einer inneren Wut und reicht bis hin zu Hass. Und da muss man einfach mit den Menschen sprechen.
Sie gehen mit ihrer Aufklärungsarbeit voran. Welchen Beitrag können die Bürger leisten, ganz unabhängig von der jeweiligen Religion?
Das ist eine sehr gute und wichtige Frage. Zunächst sollten alle Bürger solidarisch untereinander sein. Neben dem Dialog geht es um Offenheit für das Fremde. Jeder von uns muss erkennen, dass nicht jeder Mensch in Deutschland die deutsche Kultur widerspiegelt. Jeder Mensch hat seine eigene Kultur, die er auch mitbringt. Und solange diese Kultur nicht gegen das deutsche Grundgesetz ist, sollte man dies auch zulassen. Und zu den Aspekten des Islam gehören beispielsweise das Kopftuch der Frau oder der Bart des Mannes. Aber das ist nichts Negatives. Man sollte versuchen, gewisse Dinge zu verstehen, anstatt sie direkt von vornherein abzulehnen. Daher zitiere ich unser geistliches Oberhaupt: ´Es gibt in der Welt keinen Raum für Diskriminierung in Glauben, Religion oder Ethnie einer Person`.“