Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Alt und Jung werden Brieffreunde
„Herz und Gemüt“und Werkrealschule Bad Wurzach bringen Jugendliche und Senioren zusammen
BAD WURZACH - Ein neues Projekt haben Susanne Baur von der Aktion „Herz und Gemüt“und Schulsozialarbeiter Edmund Butscher in Bad Wurzach ins Leben gerufen.
Schon seit langem engagieren sich die beiden, um Alt und Jung zusammenzubringen. Bis die Pandemie es unmöglich machte, unterstützten Jugendliche der neunten Klasse der Werkrealschule zum Beispiel in ihrer Freizeit ältere Menschen mit Hilfsdiensten oder besuchten sie regelmäßig. „Nun mussten wir neu denken und kreativ werden“, sagt Susanne Baur. Und so entstand im Zusammenspiel mit Edmund Butscher im Herbst die Idee, Brieffreundschaften zwischen Alt und Jung zu vermitteln.
Mit einer Videobotschaft wurde den Schülerinnen und Schülern das Projekt vorgestellt. Und es traf auf große Gegenliebe. 24 Jugendliche der achten und neunten Klasse meldeten sich an, dazu stießen noch zwei Sechstklässlerinnen. Auch Susanne Baur hatte in ihrem Netzwerk keine Schwierigkeiten, Interessenten zu finden. „Von unserer Aktion ,Bad Wurzach schreibt’ im vergangenen Frühjahr wusste ich schon, wer gerne Briefe erhält und schreibt.“Mit einem Alter von Mitte 50 bis 92
Jahren sei das „eine bunt gemischte Gruppe“, so Susanne Baur.
Mitte Dezember gingen die ersten Briefe hin und her. Die Jugendlichen, Jungs und Mädchen gleichermaßen, erhielten dabei zunächst von Edmund Butscher eine Anleitung an die Hand, wie die Briefe inhaltlich gestaltet sein sollten. Einmal im Monat schreiben sich seitdem die Generationen. Eine Brieffreundschaft entstand darüber hinaus zwischen einer Schülerin und einem behinderten Mädchen.
Das Besondere an den Brieffreundschaften ist, dass der Kontakt weitestgehend anonym ist. „Man kennt sich nur beim Vornamen“, erläutert Susanne Baur. Die Briefe werden bei ihr oder bei Edmund Butscher abgegeben, die sie an den jeweiligen Adressaten weiterleiten. „Im Sommer soll es aber ein großes Kennenlernfest geben“, kündigt Susanne Baur voller Vorfreude an.
„Wir lesen die Briefe selbstverständlich nicht“, betont Edmund Butscher. „Wir leiten sie nur weiter.“Er und Susanne Baur freuen sich, dass so viele mitmachen und dabei sehr kreativ werden. „Es ist toll, wie liebevoll und wunderschön viele Umschläge gestaltet sind.“
„Dass Kinder sich bereit erklären, auch mal einen Brief mit der Hand zu schreiben, hat mich so sehr beeindruckt, dass ich gerne mitmache“, so ein Senior, der aus genannten Gründen hier namenlos bleiben soll. „Aber natürlich gilt das auch für uns Ältere. Auch wir schreiben heutzutage ja meistens mit dem PC.“
„Erstmal war ich von der Idee, einen Brief zu schreiben, ja nicht so begeistert“, gesteht die Werkrealschülerin der neunten Klasse. „Und mir hat beim ersten Mal danach die Hand ganz schön weh getan. Aber jetzt macht es mir richtig Spaß. Das letzte Mal habe ich sogar anderthalb Seiten geschrieben. Und ich freue mich jedesmal, wenn ich einen Brief erhalte.“
Auch der Senior ist angetan. „Briefe zu schreiben ist etwas ganz Besonderes. Man macht sich viel mehr Gedanken, was man schreibt, schließlich hat man ja keine Löschtaste.“Trotz der Anonymität des
Brieffreunds entstehe „eine unwahrscheinliche Verbindlichkeit“. Man erfahre durchs Fragenstellen und Antwortengeben viel voneinander. „Ich habe schon viel gelernt, wie es früher war“, pflichtet ihm die Schülerin bei.
Und weil man ja schon neugierig wird, wie denn der Briefpartner aussieht, freuen sich beide heute schon aufs „Blind Date“im Sommer.
Weil die Brieffreundschaften so gut angekommen sind, werde man die Aktion auch nach der Pandemie fortsetzen, sagt Butscher. „Die Achtklässler schreiben Briefe, in der neunten Klasse gibt es dann persönliche Treffen.“
„Soziales Engagement ist auch ein Bildungsziel der Schule“, erläutert der Schulsozialarbeiter den hohen Stellenwert dieser und ähnlicher Aktionen. Beide Generationen würden dadurch die Probleme und die Sichtweisen der jeweils anderen kennenlernen. „Und die Schüler lernen auch, zuverlässig, höflich und verbindlich zu sein.“„Die soziale Kompetenz zählt in meinen Augen am Ende mehr als eine 1,0 im Abschlusszeugnis“, sagt der Senior.
„Dieser soziale Aspekt hat in der Vergangenheit auch schon so manchem nach der Schule Türen geöffnet und Lebenswege aufgezeigt“, berichtet Susanne Baur von ihren Erfahrungen.
Edmund Butscher hebt dabei hervor, dass dieses soziale Engagement der Schüler in ihrer Freizeit erfolgt, auch wenn die Schulleitungen die Aktionen vorbildlich unterstützen und dafür auch mal eine Schulstunde für das Bewerben zur Verfügung stellen. „Als Belohnung gibt es für die Schüler nur einen gemeinsamen Ausflug oder ein gemeinsames Essen, und am Ende der Schulzeit ein Zertifikat, das bei der Abschlussfeier überreicht wird.“