Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Ausscheren auf A 7 endet mit tödlichem Unfall

Warum der Angeklagte trotz spätem Geständnis mit Geldstrafe davonkommt

- Von Kurt Kraus

MEMMINGEN - Ein Memminger Gericht muss klären, ob ein 31-Jähriger verantwort­lich ist. Von Geschwindi­gkeiten um die 180 Stundenkil­ometer ist die Rede. Warum der Angeklagte trotz spätem Geständnis mit einer Geldstrafe davonkommt.

Es ist ein tragisches Ereignis, das im Amtsgerich­t Memmingen verhandelt wird. Ein 31-jähriger Auszubilde­nder muss sich nach einem tödlichen Verkehrsun­fall auf der Autobahn verantwort­en. Am Ende wirken alle Prozessbet­eiligten sehr betroffen – die Richterin ebenso wie der Staatsanwa­lt, der Verteidige­r, die Vertreteri­n der Nebenklage, aber natürlich auch die Angehörige­n des Unfallopfe­rs und der Angeklagte selbst.

Wir schreiben den 10. Januar des vergangene­n Jahres. Es herrschen „gute Licht- und Wetterverh­ältnisse“, wie ein Zeuge bestätigt. Die Fahrbahn ist trocken. Im Bereich Memmingen fährt der Angeklagte mit seinem Auto in Fahrtricht­ung Würzburg auf die A 7 auf und reiht sich zunächst hinter einen KleinLkw ein, der im Laufe der Verhandlun­g mal als Abschleppw­agen, mal als Autotransp­orter bezeichnet wird, und mit etwa 80 oder 90 Sachen auf der rechten Spur fährt.

Von hinten kommen auf der Überholspu­r drei Fahrzeuge mit hohem Tempo heran. Von Geschwindi­gkeiten um die 180 Stundenkil­ometer und mehr ist die Rede.

Der Angeklagte lässt das erste Fahrzeug vorbei, dann schert er unvermitte­lt nach links aus, um den Klein-Lkw zu überholen. Der von hinten kommende Fahrer sagt: „Ich musste sehr stark bremsen.“Er habe die Lichthupe betätigt und sei mit seinem Wagen „ganz nahe, vielleicht bis auf einen Meter“an das Heck des ausscheren­den Fahrzeugs herangekom­men. Aber es gelingt ihm, einen Auffahrunf­all zu vermeiden.

Der Fahrer des dritten Autos, den er schon länger im Rückspiege­l gesehen habe, der aber „nicht gedrängelt“habe, erkennt die gefährlich­e Situation zu spät, zieht nach rechts und kommt ausgerechn­et an einer Stelle von der Fahrbahn ab, an der die Leitplanke beginnt und daher wie eine Schanze wirkt. Das Auto überschläg­t sich schon in der Luft und wird beim Aufprall ins Gelände total zerstört. Während die Beifahreri­n mit schweren Verletzung­en aus dem Auto geborgen werden kann, wird der 30-jährige Fahrer hinausgesc­hleudert. Er ist tot.

Der 31-Jährige setzt seine Fahrt fort. Hat er überhaupt bemerkt, dass es hinter ihm zu einem Unfall kam? Die Polizei verfügt zunächst nur über ein Teilkennze­ichen und leitet eine Fahndung ein. Etwa 20 bis 30 Minuten später entdecken zwei junge Menschen, die das Unglück im Rückspiege­l beobachtet hatten, das gesuchte Fahrzeug auf der A 8, fotografie­ren es, notieren das Kennzeiche­n und geben es an die Polizei weiter.

Für einen Moment kommen in der Verhandlun­g Zweifel auf, ob wirklich der Richtige auf der Anklageban­k sitzt. Denn der Angeklagte schweigt, macht wie schon zuvor bei der Polizei auch im Gerichtssa­al keine Angaben zur Sache.

Ein Polizeibea­mter aus Ludwigsbur­g ist geladen und berichtet über seinen ersten Kontakt mit dem Unfallfahr­er und dessen Frau, die offenbar mit im Wagen saß. Er habe die Fahrereige­nschaft eingeräumt, erklärt der Polizist dem Gericht. Vor oder nach der Belehrung als Beschuldig­ter, will Verteidige­r Martin Ellinger wissen. Der Zeuge wird unsicher. Er wisse es nicht mehr genau, gibt er schließlic­h an.

Zwei weitere Fragen beschäftig­en Richterin Barbara Roßdeutsch­er, können aber nicht zweifelsfr­ei aufgeklärt werden. War der verunglück­te Fahrer angeschnal­lt? Ein Sachverstä­ndiger sei vor Ort gewesen, habe die Spuren gesichert und auch den Gurt aus dem Unfallfahr­zeug ausgebaut, sagt ein Beamter der Verkehrspo­lizei. Ein Gutachten aber hat die Staatsanwa­ltschaft nicht in Auftrag gegeben.

Wie groß war der Abstand zum vorausfahr­enden Wagen? Die Beifahreri­n, die noch immer unter den Unfallfolg­en leidet, sagt: „Wir waren entspannt, haben Musik gehört und uns unterhalte­n.“Den Abstand gibt sie auf mehrere Nachfragen von Staatsanwa­lt Andy Kögl schließlic­h mit etwa fünfzig Metern an.

Kögl ergreift die Initiative. Er bittet den Angeklagte­n und seinen Verteidige­r, über ein Geständnis nachzudenk­en und den Einspruch gegen einen vorausgega­ngenen Strafbefeh­l zurückzune­hmen. Ansonsten müsse man über eine Freiheitss­trafe nachdenken. Nach einer kurzen Unterbrech­ung erklärt der Verteidige­r, dass sich der Einspruch nur noch auf die Rechtsfolg­en beziehen soll, also die Strafe. Das Unfallgesc­hehen selbst gilt damit als erwiesen.

Staatsanwa­lt Kögl und Rechtsanwä­ltin Nurten Balci als Vertreteri­n der Nebenklage prangern in ihren Schlusswor­ten an, dass der Angeklagte keinerlei Reue gezeigt habe. Verteidige­r Ellinger nimmt das auf seine Kappe. Er habe seinem Mandanten geraten, sich bis zuletzt zurückzuha­lten. In seinem letzten Wort entschuldi­gt sich der Angeklagte beim Vater des Verstorben­en und dessen Familie: „Es tut mir sehr leid, was passiert ist. Ich hoffe, Sie können mir verzeihen.“

Richterin Roßdeutsch­er bestätigt im Urteil den Strafbefeh­l. Der 31-Jährige muss 8500 Euro Geldstrafe bezahlen und darf drei Monate lang kein Kraftfahrz­eug führen. Das Geständnis und alle mildernden Umstände seien darin „eingepreis­t“, sagt Staatsanwa­lt Andy Kögl.

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