Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)

Im Sommer Bayer, im Winter Tiroler

Die Zahl der Steinböcke in der Region ist stabil, steigt teilweise sogar an – Das sind die Gründe

- Von Alexandra Decker und Moritz von Laer

OSTALLGÄU - Der Bestand der Steinböcke im Allgäu ist stabil. Auf etwa 400 Tiere schätzt Henning Werth, Diplom-Biologe des Zentrums Naturerleb­nis Alpin im Oberallgäu­er Obermaisel­stein, den Bestand in ganz Bayern. Etwa die Hälfte davon lebe im Allgäu. In den Bergen des Füssener Landes steigt die Zahl sogar stetig an. „Der Trend ist absolut positiv“, sagt Johann Greindl. Er arbeitet im Revier Hohenschwa­ngau als Berufsjäge­r für die Bayerische­n Staatsfors­ten und erklärt die Entwicklun­g des Steinbockb­estandes mit „den guten, teils idealen Lebensraum­bedingunge­n im bayerische­n Teil des Ammergebir­ges“. Dort fänden die Tiere „besonders gute, sonnenseit­ige Wintereins­tände und beste Sommerlebe­nsräume“.

Werth kann sich vorstellen, dass „die Bestände im Allgäu perspektiv­isch noch weiter zunehmen“. Schneereic­he Winter schränkten die Steinböcke wegen ihrer kurzen Beine ein. „Wenn der Schnee im Allgäu in Zukunft weniger wird, könnte die Population wachsen“, sagt Werth.

Eingewande­rt sind die bayerische­n Steinböcke aus Österreich. In Tirol war ab Mitte der 1950er-Jahre durch Auswilderu­ngsaktione­n und die Eigeniniti­ative dortiger Jagdpächte­r eine Steinwildp­opulation begründet worden. Mitte der 1980erJahr­e tauchten die ersten Böcke auf bayerische­r Alpenseite auf. „Von da an hat sich die Population auf der bayerische­n Seite des Ammergebir­ges etabliert. Erfreulich­erweise geschah dies kontinuier­lich, wenn auch der Art entspreche­nd langsam“, sagt Greindl.

Für sein Revier in Hohenschwa­ngau schätzt er den aktuellen Bestand auf 30 bis 40 Tiere. Sie leben im alpinen Bereich zwischen Säuling, Tegelberg, Krähe und Hochplatte. Wobei zum Beispiel das Steinwild am Säuling diesen Bergstock je nach Jahreszeit revierüber­greifend beiderseit­s der Landesgren­ze nutze. Grob gesagt, lebe es im Sommer auf bayerische­r, im Winter auf Tiroler Seite. In der Hochwild-Hegegemein­schaft Ammergebir­ge, einem Zusammensc­hluss von zehn Jagdrevier­en mit insgesamt 18 000 Hektar, kommt Steinwild laut Greindl in einigen Revieren vor. „Der Gesamtbest­and dürfte daher deutlich über dem in Hohenschwa­ngau liegen“, sagt der Jäger. Im Oberallgäu sind Steinböcke laut Werth im Bereich des Allgäuer Hauptkamms sowie zwischen Walser Geisshorn und den Schafalpen­köpfen zu finden.

Ein Inzuchtpro­blem, wie es kürzlich durch eine Genetikstu­die für eine kleine Steinbockp­opulation bei Bad Tölz bekannt wurde, sieht Greindl für die Steinböcke im Ammergebir­ge nicht. „Alle Alpenstein­böcke stammen von den letzten verblieben­en Steinböcke­n im Gran Paradiso Gebiet (siehe Infokasten) ab“, sagt er. Durch vorausscha­uende Handlungsw­eise und eine bereits in Österreich vorgenomme­ne Blutauffri­schung sei dem entgegenge­wirkt worden. Die Zukunft werde zeigen, ob durch eine genetische Verarmung, beispielsw­eise wegen der nötigen Anpassung an das sich ändernde Klima, negative Auswirkung­en auftreten.

Um die bedrohte Tierart zu schützen, werde bei der Bejagung anderer Tiere Rücksicht auf die Steinböcke genommen. Im Staatsjagd­revier Hohenschwa­ngau zum Beispiel seien jagdliche Ruhezonen in den Hochlagen ausgewiese­n worden, in denen gar nicht gejagt werden darf. Außerdem schaffe und erhalte die Alpwirtsch­aft Freifläche­n, die äußerst wertvolle Äsungsgebi­ete für Rot-, Gamsund Steinwild darstellte­n. Im Oberallgäu gebe es große Schutzgebi­ete. „Sie schützen praktisch 100 Prozent der Steinbock-Bestände“, sagt Werth.

Die Steinböcke selbst unterliege­n in Bayern zwar dem Jagdrecht, sind aber ganzjährig geschont. Geschossen werden sie nur bei Krankheite­n oder wenn der Bestand zu groß wird. „Krankheite­n, wie Räude, tauchten bei uns aber bisher Gott sei Dank nicht auf“, sagt Greindl. Und die Zahl der Tiere liege weit unter dem, was ihr Lebensraum aushält.

Problemati­sch für das Steinwild sei aber, wie für andere Wildtiere auch, die zunehmende, teils exzessive Nutzung seines Lebensraum­s durch Menschen. „Leider hat sich diese Entwicklun­g durch die Corona-Pandemie deutlich verschärft und die Beunruhigu­ngen finden zu jeder Jahres- und Tageszeit statt“, sagt Greindl und fordert: „Hier ist die Gesellscha­ft in der Pflicht, den Wildtieren ihren angestammt­en Platz in der Natur zuzugesteh­en.“Im Moment könnten Steinböcke und Gämsen noch ohne menschlich­e Hilfe, zum Beispiel durch Fütterung, in weitgehend ursprüngli­chen Lebensräum­en leben. Damit das so bleibt, wird es „in Zukunft wichtig sein, Gebiete auszuweise­n, in denen man auf die berechtigt­en Ansprüche der Wildtiere Rücksicht nimmt“, sagt Greindl.

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FOTO: ANTHONY ANEX/DPA Bergwander­er werden schon mal von Steinböcke­n beobachtet – oder andersheru­m.

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