Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Der Brandbrief der CDU-Bürgermeister
Landespartei streitet über Erneuerungskurs – Zukunft von Landeschef Strobl offen
STUTTGART - „Wir brauchen eine neue CDU!“, schreiben drei CDUOberbürgermeister aus dem Südwesten in einem Offenen Brief an ihre Parteifreunde. Sie stechen damit in jenes Wespennest, das bereits die Parteispitze und am Montagabend auch 41 Kreisvorsitzende ausführlich begutachtet haben. Die verbreitete Meinung lautet: Die Union muss sich dringend erneuern – aber zuerst soll Landeschef Thomas Strobl die Partei in eine weitere Koalition mit den Grünen auf Landesebene führen. Wie lange er Vorsitzender bleiben darf, ist indes mehr als ungewiss.
Vor eineinhalb Wochen hat die CDU bei der Landtagswahl mit 24,1 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann kehrt aus Verantwortung der Politik den Rücken. Ihrer Partei hat die Kultusministerin aber schon am Wahlabend eine Hausaufgabe gegeben: „Vor dem Hintergrund kann die CDU nicht sagen ,Weiter so’.“Die Partei müsse analysieren, warum ihr seit zehn Jahren die Wähler davonlaufen.
Das fordern auch immer mehr Parteimitglieder ein. „Es ist Zeit aufzubrechen“, schreiben etwa Ravensburgs OB Daniel Rapp und seine Kollegen Margret Mergen aus Baden-Baden sowie Uli Burchardt aus Konstanz in einem Debattenbeitrag. Die Welt hat sich gewandelt, die Gesellschaft modernisiert – die CDU aber kaum, lautet ihre Analyse. „Was sie (die CDU) vermittelt, geht an dem heutigen Lebensgefühl und den Bedürfnissen der Menschen in unserem Land, vor allem in den Städten, vorbei“, erklären die OBs. „Wir brauchen einen Ruck der Modernisierung durch die gesamte Partei.“Die CDU müsse jünger, weiblicher und vielfältiger werden. Konkret brauche es mehr Engagement für Klimaschutz und mehr Unterstützung für Familien, und zwar für „alle Familienformen“. Angesichts der Skandale um Abgeordnete, die sich etwa durch Masken-Geschäfte bereichert haben, fordern die Oberbürgermeister zudem mehr Transparenz. „Wer Mitglied in einem Parlament ist, muss alle Nebenverdienste in Euro und Cent offenlegen. So einfach kann das sein.“
Erneuerung heißt bei der Südwest-CDU das Schlagwort der Stunde. Darüber haben auch die Kreisvorsitzenden am Montagabend vier Stunden lang diskutiert – und das offen und hart, wie der Sigmaringer Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Klaus Burger sagt. „Wir müssen akzeptieren, auch unsere Basis, dass sich die Gesellschaft ein Stück weit gewandelt hat. Wir müssen unsere Inhalte anpassen, ohne unsere Werte über Bord zu werfen.“Unterm Strich fasst Burger eine Erneuerung so zusammen: „Es muss eine Veränderung in Köpfen geben, aber auch inhaltlich muss etwas geschehen.“
Inhaltlich zeigt sich eine klare Mehrheit für den Weg, den die CDUOBs und Burger vorschlagen – und den die Landespartei im Programm zur Landtagswahl bereits eingeschlagen hat. „Das klassische Familienbild hat genauso seinen Platz wie andere Formen des Miteinanders“, heißt es da etwa. Es gibt aber auch sehr konservative Kreise in der Partei, denen ein modernerer Kurs zuwider ist. Ein lautstarker Vertreter davon, wenn auch mit wenig Einfluss, ist Alexander Mitsch, Vorsitzender der Strömung mit dem Namen Werte-Union. Als Konsequenz aus dem Wahldebakel hat er bereits den Rücktritt von Parteichef Strobl gefordert und für den Weg in die Opposition plädiert.
Letzteres steht für die Parteifunktionäre nicht zur Debatte. Am Ende der Sitzung votierten die Kreisvorsitzenden einstimmig für eine Neuauflage von Grün-Schwarz. „Heute wurde erneut deutlich: Unser Landesvorsitzender hat als Verhandlungsführer und darüber hinaus unser volles Vertrauen“, resümierte Generalsekretär Manuel Hagel im Anschluss. „Jetzt geht es um Stabilität und Verlässlichkeit
– dafür stehen Thomas Strobl und unsere CDU.“Auch Ravensburgs OB Rapp erklärt in seinem Anschreiben an die Parteifreunde, der Offene Brief soll „das Engagement von Thomas Strobl für eine erneuerte grünschwarze Koalition unterstützen“.
Wie lange Thomas Strobl die Südwest-CDU noch führen darf, liegt wohl nicht allein an ihm und seiner Partei, sondern auch an den Grünen. Strobl gilt als die wichtigste Brücke zum Koalitionspartner. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betont regelmäßig das vertrauensvolle und verlässliche Verhältnis zu seinem Vize Strobl. Ravensburgs Kreisvorsitzender und Bundestagsabgeordneter Christian Natterer erklärt: „Die Grünen setzen bei uns auch auf Kontinuität. Thomas Strobl hat ein Vertrauensverhältnis zu Winfried Kretschmann. Auch deshalb ist er unser Frontmann in den Verhandlungen und wird auch weiterhin in einer führenden Rolle sein. Wir können ja nicht verhandeln und anschließend das Personal auswechseln.“
Gelingt Strobl ein erneutes Regierungsbündnis, ist die Personalfrage nicht allzu drängend. Im Herbst stehen turnusgemäß Wahlen für die gesamte CDU-Spitze an. Und wenn sich die Grünen für eine Ampel entscheiden? „Dann werden wir als Partei nicht bis Oktober warten können“, sagt ein Kreisvorsitzender. „Wir brauchen einen Schub für die Bundestagswahl, deshalb müssen wir in diesem Fall den Parteitag vorziehen und uns gleich verjüngen.“
Im Verhandlungspoker stellt sich für die Grünen nun die Frage, wie lange Strobl ihr Ansprechpartner auf CDU-Seite sein wird. „Wir führen Sondierungen und da werden solche Fragen auch besprochen“, kommentiert Kretschmann die Vorgänge am Dienstag.
Ein Abgeordneter entwirft hierzu folgendes Szenario: Strobl schmiedet erneut ein grün-schwarzes Bündnis. Im Zuge der Erneuerung der CDU verliert er im Herbst zwar den Parteivorsitz, darf aber weiter Innenminister und Vize-Regierungschef sein – und somit weiter der wichtigste Partner der Grünen in der Regierung. In der Landtagsfraktion könnte CDUStimmenkönig Manuel Hagel aus Ehingen den Fraktionsvorsitz von Urgestein Wolfgang Reinhart übernehmen und frischen Wind in die Fraktion bringen. Und den Parteivorsitz könnte der Landesgruppenchef der Bundestagsfraktion Andreas Jung aus Konstanz übernehmen. Auch er steht klar für eine moderne CDU – im Gegensatz etwa zum Bundestagsabgeordneten Thorsten Frei. Ein Machtkampf zwischen den beiden scheint vorgezeichnet.