Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Lucha lobt Luca
Südwest-Gesundheitsminister ist von der App überzeugt – Datenschützer sind skeptisch
STUTTGART/FRIEDRICHSHAFEN Die vom Stuttgarter Rapper Smudo („Fanastischen Vier“) beworbene Luca-App gilt als großer Hoffnungsträger in der Pandemiebekämpfung. Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) will sie flächendeckend zur Kontaktnachverfolgung einsetzen und im ersten Jahr mit 3,7 Millionen Euro finanzieren. Doch Datenschützer äußern Bedenken – zuletzt hat der Satiriker Jan Böhmermann eine Schwäche aufgedeckt.
In der Nacht auf Mittwoch war Böhmermann zusammen mit 100 weiteren Menschen im Osnabrücker Zoo. Zumindest laut der Luca-App. Tatsächlich war der Zoo geschlossen und Böhmermann hatte sich vom Sofa aus einen Spaß erlaubt – mit ernstem Hintergrund. Denn die App lässt sich austricksen. Prinzipiell ist vorgesehen, dass sich die Nutzer per QR-Code an den Orten, die sie besuchen, einloggen können. Das können Geschäfte sein, Restaurants, Konzerthallen oder auch Zoos. Der Code wird gescannt und die App weiß dadurch, wer wann vor Ort war. Stellt sich hinterher heraus, dass jemand infiziert war, können die Gesundheitsämter Kontakte nachverfolgen. Das werde dabei helfen, „die aufwändige Zettelwirtschaft abzulösen“, so Lucha. Das Problem: Die QR-Codes können, solange sie online verfügbar sind, von überall aus gescannt werden. Dafür reicht es, wenn jemand ein Foto des Codes ins Internet stellt. Nutzer können der App also vorgaukeln, an entsprechenden Orten gewesen zu sein. Organisierte OnlineCommunities könnten so die Kontaktverfolgung erschweren. Einen Vorgeschmack bekam dank Böhmermann ein Modegeschäft im niedersächsischen Bohmte: Mehr als 40 000 Besucher soll der Laden in der Nacht auf Mittwoch gehabt haben. Der Inhaber hatte den entsprechenden QR-Code versehentlich im Netz veröffentlicht, Böhmermann verbreitete ihn. „Ich stöbere jetzt ein wenig bei den Blusen und Jeans. Die App funktioniert tadellos und ist ihr Geld absolut wert“, schrieb der Satiriker dazu süffisant auf Twitter.
Die Entwickler der Luca-App räumen auf ihrer Website ein, dass solcher Missbrauch möglich sei. Der potenzielle Schaden sei allerdings gering. „Kein Gesundheitsamt der Welt wird 100 Leute kontaktieren, die nachts in einem Zoo waren“, schreiben sie. Es sei Aufgabe aller, „verantwortungsvoll mit den Hilfsmitteln umzugehen, die zur Pandemiebekämpfung zur Verfügung stehen“. Aus Datenschutzgründen wolle man die Scans nicht mit GPS-Daten abgleichen, was technisch möglich wäre. Doch was den Datenschutz angeht, häufen sich kritische Stimmen. Ein Forscherteam der Universitäten Lausanne und Radboud kommt in einer Analyse zu einem ernüchternden Ergebnis. Die App übermittle sensible Nutzerdaten an die Server im Hintergrund, die deren Betreiber auslesen könnten. Laut der Analyse ein mögliches Einfallstor für Missbrauch. Auch der nicht komplett einsehbare Quellcode wird bemängelt. Der Chaos-Computer-Club Freiburg kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Zudem könnten durch die App missbräuchlich Massenanrufe und Massen-SMS verschickt werden, so der Verein.
Der Südwest-Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink empfiehlt allerdings, die Nutzung der App zu ermöglichen. „Sie erfüllt die hohen Datenschutzstandards der Datenschutzgrundverordnung“, schreibt er. Zwar räumt Brink in seiner Analyse noch potentielle Schwachstellen ein, doch „insgesamt überwiegen aus unserer Sicht die Vorteile“.
Auch in Bayern setzt man auf die App. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verkündete nach einer Kabinettssitzung am Mittwoch, dass das Land eine Lizenz erwerbe. In BadenWürttemberg fungiert unter anderem der Bodenseekreis als Pilot-Region.
Kreissprecher Robert Schwarz zieht zum Nutzen der App ein erstes positives Fazit: „Die Übermittlung der Daten funktioniert im Test“, sagt er. Zu Datenschutzlücken könne man sich nicht äußern. Allerdings merkt Schwarz an, dass die Mitarbeiter des Gesundheitsamts einen Schwindel wie im Fall Böhmermanns bemerken würden. „Die Daten werden nicht blindwütig abgearbeitet, wir kontaktieren bei Infektionsfällen auch die Veranstalter oder Inhaber, um die Umstände kennenzulernen. Da würde so etwas auffallen.“