Schwäbische Zeitung (Leutkirch / Isny / Bad Wurzach)
Isnyer Nahwärmenetz geht in Betrieb
Innovative Energieversorgung im Neubaugebiet Mittelösch der Öffentlichkeit vorgestellt
ISNY - Knapp zwei Millionen Euro hat die „Bioenergie Isny“(BEI) laut Geschäftsführer Klaus Schwarz seit dem Planungsstart 2019 in die Hand genommen, damit die über 200 Wohneinheiten im Neubaugebiet Mittelösch „möglichst umweltverträglich und CO2-neutral“mit Nahwärme versorgt werden können.
Am Dienstag trafen sich die Hauptbeteiligten des Projekts zu einer „kleinen, inoffiziellen Inbetriebnahme“, um für das ganze Baugebiet „symbolisch den Schieber zu ziehen“, sprich: Die bisher ungenutzt in die Atmosphäre entweichende Abwärme aus den Kühlhallen der Firma Früchte Jork in die Versorgungsleitungen im Mittelösch strömen zu lassen. Bereits seit Mitte März kann das erste der beiden Mehrfamilienhäuser, die von der Isnyer Handwerkerzunft errichtet werden, versorgt und beheizt werden.
Klaus Schwarz erinnerte daran, dass in Arbeitsgruppen und im Gemeinderat „heiß diskutiert“wurde, bis seitens der Stadt ein „Benutzungszwang“beschlossen wurde. Er verpflichtet Bauherren im Mittelösch schon mit dem Grunderwerb, das Nahwärmenetz mindestens in den ersten zehn Jahren zu nutzen – private „Häuslebauer“ebenso wie die Investoren der zahlreichen Mehrfamilienhäuser. „Wenn nur 50 Prozent angeschlossen hätten“, betonte Schwarz, wäre das Großprojekt nie zu realisieren gewesen.Erstmals hätten BEI und Stadtverwaltung mit potenziellen Investoren in einem Neubaugebiet „vorab Workshops abgehalten zur Entwicklung einer Quartiers-Wärmeversorgung“, ergänzte Prokuristin Hellen Maus, die sich zugleich im Isnyer Rathaus um Energiebelange kümmert, etwa rund um den „European Energy Award“.
Größte Herausforderung im Mittelösch ist laut Schwarz gewesen, dass „alles auf der grünen Wiese geplant“werden musste. Dimensionen und Bedarf hätten zunächst nicht eingeschätzt werden können und sich mit Planungs- und Baufortschritt immer mehr erweitert. Ursprünglich sei das Netz mit einer Leistung von 560 Kilowatt (KW) geplant worden, „jetzt liegen wir bei 800 KW, weil wir eine ganz andere Bebauung haben und die Leitungen größer dimensioniert werden mussten“, erklärte Schwarz. Im Bestand, etwa beim Anschluss der Altbauten in der Isnyer Kernstadt an das BEIFernwärmenetz, sei eine Berechnung deutlich einfacher. Dagegen gingen im Mittelösch „heute noch Bauanträge“ein, die in ihrem Umfang zuvor nicht abzusehen waren und Nachjustierungen erforderten.
Die beträchtliche Investitionssumme schultert zunächst die BEI, die Refinanzierung soll im Laufe des nächsten Jahrzehnts über die Abnehmer erfolgen. Die Bauherren bezahlen einmalig einen „Anschlusskosten-Beitrag“. Rund 300 000 Euro hat laut Maus zudem „die BEI für diese innovative Wärmeversorgung mit einem ’lauwarmen Netz’ als Innovationsförderung über das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) im Rahmen der Projektträgerschaft
Umweltforschung des Landes Baden-Württemberg erhalten“.
Mit der Abwärme der Firma Jork wird den Wohnhäusern im Mittelösch im Sommer wie im Winter kontinuierlich auf rund 35 Grad erwärmtes Wasser zugeführt. Eine „Weiche“in einer neu errichteten „Energiebox“, der Pump- und Technikzentrale in einem kleinen Schuppen im Nordosten des Baugebiets direkt am Lärmschutzwall an der L 318, verteilt die Wärme in die Häuser.
Dort werden Wärmepumpen installiert, die die Wohnungen versorgen. Am effizientesten genutzt werden könnte die Energie mit Fußbodenheizungen oder Heiz- beziehungsweise Kühlplatten an Wänden oder Decken. Auch das Brauchwasser bringen die Wärmepumpen auf die gewünschten Temperaturen. „Um den Stromverbrauch zusätzlich so günstig wie möglich zu halten“, empfiehlt die BEI den Bauherren eine zusätzliche Fotovoltaikanlage, um den Eigenbedarf zu decken. Die „Energiebox“ist zur Sicherheit vor Ausfällen über eine „RedundanzLeitung“mit der Biomasse-Anlage der „Naturenergie Isny“in der Weidach verbunden.
Als „treibende Kraft“hinter dem Großprojekt wurde Joachim Jork hervorgehoben: „Er wollte die Wärme aus seinen Kühlhallen nicht mehr einfach in die Atmosphäre abblasen“, erläuterte BEI-Geschäftsführer Schwarz. Zwei Masterstudenten vom Institut für Gebäude und Energiesysteme der Hochschule Biberach hatten 2020 die Energieeffizienz bei Früchte Jork untersucht (ausführlicher Bericht folgt). Sie wollen 2022 auch ihre Abschlussarbeit in Isny schreiben, in die auch erste Erfahrungen mit dem Nahwärmenetz ebenfalls einfließen sollen.
Federführend und „massiv bei der Umsetzung über den Ingenieurbereich hinaus“, sei Jens Wieprecht gewesen, lobte BEI-Chef Schwarz. Der Handwerker habe mit seinem Fachbetrieb für Energiemanagement, Solaranlagen, Sanitär und Heizung sowohl die „Energiebox praktisch umgesetzt, als auch die Koordination der Hausanschlüsse übernommen.
In diesem Zusammenhang betonte BEI-Prokuristin Maus, alle Beteiligten könnten „stolz sein, dass lokale Mitstreiter diese Innovationen in der Region“selbst gemeistert hätten. Die Firma Simaka Energie- und Umwelttechnik in Göttlishofen habe spezielle Wärmepumpen für das „lauwarme Netz“im Mittelösch entwickelt.
Klaus Schwarz wie auch Bürgermeister Rainer Magenreuter hoben bei ihrem Dank an alle Beteiligten den Modellcharakter der Nahwärmeversorgung hervor: „Das Neubaugebiet wird wird von vielen beäugt, das Konzept ist innovativ und deutschlandweit ganz selten, zahlreiche Gemeinden sind interessiert, und wir geben aus Isny viel erworbenes Wissen über die Energieagentur des Landkreises Ravensburg weiter.“Bedauerlich sei deshalb, dass pandemiebedingt kein Startschuss mit einer öffentlichkeitswirksamen Einweihung gefeiert werden könne.